Künftiger CDU-Wirtschaftsminister Bloß kein Ludwig-Erhard-Nostalgiker!

Die CDU darf wieder den Wirtschaftsminister stellen. Schon künden Prediger, das Haus müsse ordnungspolitisches Mahnmal wie unter Ludwig Erhard sein. Eine absurde Vorstellung, inmitten einer tiefen Krise ebendieses Mantras.

Ludwig Erhard, der „Vater des deutschen Wirtschaftswunders“

Freitag, 16.02.2018  
12:11 Uhr

Uns Deutschen wird ja ein gewisser Hang zur Romantik nachgesagt. Das lassen wir raus, wenn wir an den Wald denken, ebenso wie, etwas weniger erholsam, wenn es um das Gute in der Wirtschaftspolitik geht. Wer bei uns Fleißpunkte sammeln will, muss einigermaßen fehlerfrei bedeutungsschwangere Worte wie Ordnungspolitik aufsagen. Oder den Namen Ludwig Erhard. Da wallt die Luft.

Eine Art Romantik, die gerade wieder im Kommen scheint – seit im Rahmen der tragikomischen Versuche, unserem Land eine neue Regierung zu erarbeiten, der Plan bekannt wurde, einen CDU-Politiker mit der Führung des Wirtschaftsministeriums zu beauftragen. Dem Haus, das, richtig, früher mal besagter Erhard von der CDU geführt hat. Und dem ganz menschelnd seither der Heiligenschein des ordnungspolitischen Gewissens der Republik zugesprochen wird. Da müssten wir wieder hin, ist nun zu hören.

Womit wir bei zwei möglicherweise gravierenden Problemen sind:

1) Erstens bleibt beim Aufsagen der heiligen Worte doch ziemlich oft wolkig, was das im Einzelfall genau heißt – außer, dass Wettbewerb per se gut ist (ach); oder idealerweise immer Steuern senken (hallo); und irgendwie der Staat sich möglichst weitgehend raushält (yup). So einfach ist ja die Welt in der Regel nicht.

2) Und, Problem zwei, heute wahrscheinlich noch viel weniger als beim netten Zigarrenonkel Erhard in den Fifties und Sixties: in einer Zeit vor Google, Billigkonkurrenz, Erderwärmung und Finanztsunamis.

Nirgendwo hat es in den jüngsten Jahrzehnten so viel freies Treiben und angeblich tollen Wettbewerb gegeben, wie in der Finanzwelt samt Schattenbanken. Das Ergebnis: eine Jahrhundertkrise, die Millionen Unbeteiligte ihren Job gekostet hat. Weil Finanzakteure sich immer wieder in absurde Euphorie- und Panikattacken steigern.

Inmitten von Finanzblasen wirkt der Wettbewerb eben pervers: Da wollen alle mitmachen – und treiben die Kurse auf noch absurdere Höhen. Ich sage nur Bitcoin. Da hilft dann auch keine Ludwig-Erhard-Nostalgie. Solche Probleme hatte der Erhard gar nicht – und deswegen auch keine Rezepte dagegen.

Alles im Namen des heiligen Wettbewerbs

Zur Realität 2018 gehören Kollateralschäden, die der gepriesene Wettbewerb mit der schönen Billigkonkurrenz etwa aus China angerichtet hat – in Regionen wie dem sogenannten Rostgürtel in den USA, wo ganze Industrien und Städte wirtschaftlich dahingingen und die Leute jetzt Trump wählen. Auch da hilft keine Ludwig-Erhard-Gedenkminute. Als Erhard Kanzler wurde, gab es keinen globalen Billigkonkurrenz-Hype. Und da gab es bei uns Wachstum tatsächlich noch für (fast) alle.

Zur Wirklichkeit 2018 gehören historische Gefälle zwischen Reichen und dem Rest – die Folge von ein paar Jahrzehnten Vergünstigungen für Reiche und Deregulierung schlecht bezahlter Arbeit. Im Namen des heiligen Wettbewerbs.

Und die Exzesse von ein paar Jahrzehnten tollem Steuersenkungswettbewerb: mitsamt grotesken Steuervermeidungskonstruktionen auf fernen Inseln – zum Schaden ganzer Gesellschaften, die das Geld, das am Fiskus vorbeigeschifft wird, dringend bräuchten.

Und deutsche Wirtschaftsbosse, die den Cheerleader von Donald Trump geben – weil der mal wieder Steuern für Reiche senkt, obwohl Amerika sich das gar nicht leisten kann.

Wie wenig der heilige Wettbewerb heute noch zum Universalrezept taugt, lässt sich selbst bei den Versuchen beobachten, das drohende Klimadesaster zu stoppen: Auch hier galt lange Zeit das Mantra, dass das am besten geht, wenn Emissionszertifikate am freien Markt gehandelt werden. Heute sagen selbst ehemalige Verfechter des Rezepts, dass das nicht funktioniert hat, weil die Märkte einfach daran scheitern, rational künftige Schäden einzupreisen – und es dringend einen festgesetzten Preis bräuchte. So wie es der französische Präsident Emmanuel Macron kürzlich vorschlug.

Es hat etwas Skurriles, wenn Unionspolitiker da immer noch mit ulkigen ordnungspolitischen Sonntagssprüchen kommen. Das hat mehr mit einem unreflektierten Hang zu Alt-Ordo-Ideologie zu tun, als mit dem anständigen Versuch, Probleme zu lösen.

Es reicht noch nicht zu einem neuen Leitbild

Der Appell an den heiligen Erhard wird weder den Hang zu Finanzblasenbildung verschwinden lassen, noch die Ungleichverteilung von Einkommen oder die Erderwärmung. Entsprechend atemberaubend wirkt umgekehrt das Gezeter mancher Ordo-Päpste über den einen oder anderen Versuch der Großen Koalition, das Auseinanderdriften der Gesellschaft zu stoppen.

Ganz im Ernst: Wer die Einführung von Grenzen gegen Niedriglohnexzesse (Mindestlohn) oder Altersarmut (Mindestrente) als „ordnungspolitische Sünden“ beschimpft, hat offenbar nicht verstanden, in welcher Zeit wir gerade leben. Und dass zu einer funktionierenden Wirtschaft auch gehört, dass die Leute mitmachen – und nicht irgendwann Populisten nachlaufen, denen Ordnungspolitik egal ist. Wohlstand für alle – hieß das bei Erhard.

In den vergangenen Jahren hat just jenes Wirtschaftsministerium, um dessen Neubesetzung es gerade geht, aufgehört, sich vor allem als Vertriebsstelle für Grundsatzsprüche zur Allheilkraft von Wettbewerb zu verstehen – und sich stattdessen wieder mehr mit der Wirklichkeit beschäftigt. Zum Beispiel damit, wie man Wirtschaftswachstum für alle erreichen kann. Oder damit, wie öffentliche Einrichtungen am effizientesten investieren.

Das reicht noch nicht zu einem neuen Leitbild, aber immerhin: Es sind erste Versuche gewesen, das Dogma von der pauschalen Wunderwirkung von Wettbewerb und Deregulierung zu modernisieren. Und vielleicht sogar eine ganz neue Ordnungspolitik fürs 21. Jahrhundert zu entwerfen – eine Politik, bei der ordnungspolitische Rahmenbedingungen für Dinge gesetzt würden, für die Erhard noch keine ordnungspolitischen Rahmenbedingungen setzen musste. Weil es die Probleme damals noch nicht gab.

In diesem Sinne: Bitte bloß jetzt kein Retro-Revival, liebe CDU-Freunde.

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