Krieg und Frieden bei Sigmar Gabriel Fleisch ist sein Gemüse

Sigmar Gabriel redet derzeit viel über den Frieden und die Fleischfresser. Aber während der Nochaußenminister den Philosoph des Alltags gibt, rollt der Rüstungsrubel. Ein schlimmer Fall von GroKo-Heuchelei.

RONALD WITTEK/ EPA-EFE/ REX/ Shutterstock
Sigmar Gabriel

Montag, 19.02.2018  
13:37 Uhr

Sigmar Gabriel macht sich Sorgen um seine Zukunft. Darf er sein Amt als Außenminister behalten? Oder nimmt ihm seine Partei die Geschichte vom „Mann mit den Haaren im Gesicht“ doch zu übel? Wir erinnern uns, da ging es um Martin „Von-100-auf-Null-in-nur-einem-Jahr“ Schulz, der Gabriel sein geliebtes Außenamt streitig machte. Und da kann er dann ganz schön fies werden, der liebe Sigmar. Vielleicht erfinden die Genossen für ihn ein Ministerium der schönen Rede. Denn niemand liefert im Moment so kurzweilige Gedanken zum Auftanken wie der frühere SPD-Chef und vielleicht bald ehemalige Außenminister.

Zentraler Begriff in Gabriels außenphilosophischem Einmaleins ist das Wort vom „Fleischfresser“. Gabriel teilt die Welt in die Weisen und die Wilden. Die Weisen wissen, dass „Krisen und Kriege (…) am Ende nicht militärisch, sondern zivil und diplomatisch beendet und überwunden“ werden. Aber die Wilden folgen einer militärischen Konfliktlogik, in der Gewalt am besten mit Gewalt pariert wird. Das dürfe man nicht ignorieren: Denn „in einer Welt voller Fleischfresser haben es Vegetarier sehr schwer“. So hatte Gabriel es schon zu Jahresbeginn in einem SPIEGEL-Gespräch gesagt und es seitdem mehrfach wiederholt, zuletzt vor ein paar Tagen in einer Rede auf der Münchener Sicherheitskonferenz.

Die Macht des Stärkeren

Wenn ein so erfahrener Politiker sich in so kurzer Zeit so oft einer so markanten Terminologie bedient, muss man annehmen, dass er damit etwas bezweckt. Denn er wollte ja wohl nicht nur seine eigenen Diäterfahrungen verarbeiten. Fleischfresser? Wenn man Gabriel beim Wort nimmt, muss man sagen: Die Evolutionsgeschichte rät zum Verzehr von Fleisch. Fleisch liefert viel Energie in kurzer Zeit. Nur so konnten die Gehirne wachsen. Und die gemeinsame Jagd war die Grundlage für Gesellschaft und Sprache. Dank also an die Fleischfresser.

Das Eigenartige an Gabriels Worten ist die doppelte Botschaft. Einerseits lobt er die Europäer für ihre Kultur der zivilen Macht, setzt sich für eine Entspannung mit Russland ein und redet sich den Mund fusselig, dass „der militärischen eine zivile und diplomatische Logik“ entgegengestellt werden müsse – aber am Ende bleibt nur ein Wort hängen: das Wort von den Fleischfressern.

Unwillkürlich drängt sich der Gedanke auf, dass es in der Evolution ja nicht um die Moral geht, sondern ums Überleben – und in der Außenpolitik? Der Biologismus, den Gabriel mit voller Absicht nutzt, erzeugt diese Assoziation geradezu zwingend.

Rüstungsexporte steigen massiv an

Wenn die Fleischfresser gegen die Vegetarier ins Feld geführt werden, dann ist das auch ein sprachlicher Machismo. Es ist ja interessant, dass der Krieg auch bei den irgendwie Linken ganz schnell zum Männergeschäft wird. Als es vor ein paar Jahren um die Frage ging, ob der Westen die Kurden bewaffnen solle, sagte der Grüne Cem Özdemir, die kurdischen Peschmerga-Kämpfer hätten bereits Tausenden von Jesiden das Leben gerettet: „Das haben sie nicht mit der Yogamatte unterm Arm gemacht, sondern mit Waffen.“ Gemüseschwachmaten mit Yogamatten gegen Fleischfresser mit Sturmgewehr? Wenn es darauf ankommt, werden auch linke Männer plötzlich ganz altmodisch.

In dieser Woche…

Gestrichen voll
Deniz Yücel sitzt seit einem Jahr zu Unrecht in der Türkei im Knast. Tausende mit ihmInterview Jakob Augstein im Gespräch mit dem Menschenrechtsaktivisten Peter Steudtner über seine Zeit im türkischen GefängnisBerlinale Sind Filmfestivals die Retter unserer Kinokultur? Oder ihre Totengräber?, fragt Georg SeeßlenGroKo Union und SPD brüsten sich mit sozialer Gerechtigkeit als Kern des Koalitionsvertrags. Was ist da dran?
Diese Ausgabe digital lesen
Testen Sie den Freitag 3 Wochen kostenlos

Übrigens gilt das nicht nur für die Worte, sondern auch für die praktische Politik: Aus einer Antwort des Bundeswirtschaftsministeriums auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag geht hervor, dass die Genehmigungen für Rüstungsexporte während der GroKo-Ära deutlich zugenommen haben. Und zwar um satte 21 Prozent im Vergleich zur Vorgängerregierung. Die Genehmigungen für Exporte in Staaten außerhalb der Europäischen Union und Nato stiegen sogar um 47 Prozent.

Gabriel hat seine politische Würde verloren

Als er selber noch in der Opposition war, hatte Sigmar Gabriel geschimpft, es sei „eine große Schande“ für Deutschland, dass es zu einem der größten Rüstungsexporteure der Welt geworden sei. Die Regierung sei ein „Helfershelfer für die Aufrüstung von Diktaturen“ geworden. Als Minister sah das dann anders aus. Da hat Gabriel zwar weiterhin die zivile Konfliktlösung gelobt, aber als Wirtschaftsminister und Außenamtschef maßgeblich dazu beigetragen, dass der Rüstungsrubel rollte wie nie zuvor.

Es versteht sich beinahe von selbst, dass es auch im neuen Koalitionsvertrag unter der Überschrift „Für eine restriktive Rüstungsexportpolitik“ ungerührt heißt: „Wir schränken die Rüstungsexporte für Drittländer weiter ein, die weder NATO noch EU-Mitgliedsländer sind, noch diesen gleichgestellt.“

Um es klar zu sagen: Sigmar Gabriel ist ein Heuchler. Seine eigene Rüstungspolitik straft sein Gerede von der zivilen Macht Lügen. Zudem hat ein Mann, der seine kleine Tochter vorschickt, um einen politischen Konkurrenten aus dem Feld zu räumen, seine politische Würde verloren.

Gabriel hat sich einen Platz im Pantheon der politischen Niederträchtigkeiten verdient – aber nicht im Auswärtigen Amt.

Quelle