Urteil zum Dieselskandal Haben VW-Kunden jetzt die Chance auf einen Neuwagen?

Das Hamburger Landgericht hat einen VW-Händler dazu verpflichtet, ein manipuliertes Dieselauto gegen einen Neuwagen auszutauschen. Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig, trotzdem könnte es anderen Betroffenen helfen.

In einem VW-Autohaus (Symbolbild).

Freitag, 16.03.2018  
16:24 Uhr

Warum ist das Urteil in Hamburg so spektakulär?

Erstmals kam ein deutsches Gericht zu dem Schluss, dass ein VW-Händler ein Dieselfahrzeug eines Kunden mit Betrugssoftware zurücknehmen und dafür einen mangelfreien Neuwagen herausgeben muss. Der Kläger hatte sich im April 2015 einen VW Tiguan I gekauft und im Zuge der VW-Rückrufaktion ein Software-Update durchführen lassen.

Gab es nicht schon andere Urteile dieser Art?

Ja, aber mit dem Unterschied, dass bisher nur wenige VW-Fahrer mit manipulierten Autos ohne Software-Update einen Anspruch auf einen Neuwagen gerichtlich einklagen konnten. Nun entschied das Landgericht trotz des durchgeführten Updates für den Kläger. Bisher hatten die Gerichte geurteilt, dass durch das Aufspielen des Software-Updates der Mangel behoben sei.

Wie begründet das Hamburger Gericht die Entscheidung?

Der Hamburger Richter urteilte, dass das Software-Update allein keine ausreichende Nachbesserung darstelle, um den Mangel zu beheben und der Kunde Anspruch auf einen Neuwagen habe. Außerdem bleibe es laut Urteilsbegründung unzumutbar, ein Software-Update als Nachbesserung zu akzeptieren, dessen Wirksamkeit nicht wissenschaftlich erwiesen und das auf unabsehbare Zeit mit einem Makel behaftet sei. Das vom Hamburger Autohaus vorgebrachte Argument, der Tiguan I werde gar nicht mehr produziert, konterte der Richter damit, der Händler müsse dem Kunden stattdessen das aktuelle Modell Tiguan II zur Verfügung stellen.

Die Hamburger Entscheidung steht für einen bundesweiten Trend. Laut einer Auswertung des „Handelsblatts“ urteilen in jüngster Zeit immer mehr Gerichte im Sinne der Kläger. In den Anfängen des Abgasskandals sah das anders aus. Nach wie vor schlechte Karten haben Betroffene, die vor das Landgericht Braunschweig ziehen. Das gab bisher nämlich vor allem Volkswagen recht. Seit 2015 sind dort 1100 Klagen gegen VW eingegangen, rund ein Drittel sind bisher bearbeitet – Volkswagen bekam in 99 Prozent der Fällerecht.

Was bedeutet das Hamburger Urteil für andere Kläger?

„Das Urteil ist ein erfreulicher Sieg gegen VW und zeigt, dass derartige Klagen Erfolg haben können“, sagt Frederik Wietbrok, Rechtsanwalt des Klägers im aktuellen Hamburger Prozess. Das Urteil könne Auswirkungen auf laufende Prozesse von VW-Kunden haben, glaubt er. „Jedes Urteil, dass im Abgasskandal gegen Volkswagen ausfällt, bietet neue Argumentationen für andere Prozesse und eine bessere Chance, zu einem für den Käufer guten Ergebnis zu kommen“, so Wietbrok. „Fielen zahlreiche Urteile zu Beginn des Skandals noch zugunsten von VW mit der Begründung aus, ein Software-Update behebe den vorhandenen Mangel, wird diese Position zunehmend schwächer“ sagt Wietbrok.

Neue Klagen dieser Art wird es künftig aber nicht geben. Der in Hamburg geltend gemachte sogenannte Nacherfüllungsanspruch – also die Nachlieferung eines mangelfreien Autos – ist seit dem 31. Dezember 2017 verjährt. Laut Kaufrecht verfällt der Nacherfüllungsanspruch in der Regel zwei Jahre nach Übergabe des Produktes. Der Anspruch besteht überhaupt nur dann, wenn der Kunde beim Kauf nichts von den Mängeln des Produktes wusste. Bezogen auf den VW-Skandal konnten somit nur Käufer einen Nacherfüllungsanspruch geltend machen, die ihr Auto vor dem 15. September 2015 – dem Bekanntwerden des Betrugs durch VW – gekauft hatten. Nach dem Kaufrecht wäre der Anspruch also eigentlich bereits am 15. September 2017 verjährt. „Allerdings haben viele VW-Händler auf die Verjährungsfrist verzichtet und den Kunden Zeit bis zum 31. Dezember 2017 gegeben, mit ihrem Auto vorstellig zu werden“, sagt Rechtsanwalt Wietbrok.

Welche Schadensersatzansprüche können Käufer jetzt noch geltend machen?

„Seit 2018 kann nur noch der sogenannte deliktische Schadensersatz gegen die Volkswagen AG geltend gemacht werden“, so Wietbrok. Das bedeutet, dass der Kunde zwar keinen Anspruch auf einen mangelfreien Neuwagen hat, sondern stattdessen einen Teil des Kaufpreises erstattet bekäme, der sich an den gefahrenen Kilometern und der Gesamtlaufleistung bemisst. Ein Beispiel: Hat ein Kunde ein Auto mit einer vom Gericht prognostizierten möglichen Gesamtlaufleistung von 250.000 Kilometern gekauft, von denen er selbst 50.000 Kilometer gefahren ist, wird somit ein Fünftel als sogenannter Nutzungsersatz vom Kaufpreis abgezogen. Hat das Auto also beispielsweise 50.000 Euro gekostet, bekommt der Käufer 40.000 Euro erstattet.

Was kommt nun auf VW zu?

Volkswagen hatte bisher versucht, richterliche Urteile durch das Schließen von Vergleichen zu verhindern. Ob diese Strategie langfristig aufgeht, ist noch unklar. Falls sich solche Urteile nun häufen, könnte es für VW teuer werden, erklärt Stefan Bratzel, Leiter des Center of Automotive Management (CAM): „Man muss hier gegebenenfalls europaweit kalkulieren, da geht es um rund 8 Millionen Fahrzeuge. Bei möglichen Rückkäufen kann hier schnell eine Milliardensumme zustande kommen.“ Volkswagen hat deshalb mehrere Milliarden Euro zurückgestellt. „Ich weiß nicht, ob die Rücklagen des Konzerns ausreichen, um diese Risiken aufzufangen, da es noch weitere Risiken wie Aktionärsklagen gibt, die ebenfalls noch verhandelt werden“, so Bratzel.

Wer zahlt dem Hamburger Kläger nun den Neuwagen – das Autohaus oder VW?

Sollte es beim Urteil des Hamburger Landesgerichts bleiben, muss zunächst das Autohaus für den entstandenen Schaden aufkommen, da das Vertragsverhältnis jeweils zwischen dem Kunden und dem Autohaus geschlossen wurde. In einem nächsten Schritt könnten dann allerdings die Händler Schadensersatzansprüche gegen die Volkswagen AG einklagen und geltend machen. Allerdings stünden viele VW-Händler auch ohne das Urteil bereits durch die niedrigen Restwerte der Dieselfahrzeuge, die zu ihnen zurückkommen, vor großen Problemen, erklärt Stefan Bratzel: „Je näher mögliche Fahrverbote kommen, desto härter wird die Situation für sie.“ VW müsse die Händler deshalb mit Maßnahmenpaketen unterstützen, da manche Händler jetzt schon zu kämpfen hätten, so Bratzel weiter.

Welche Aussicht auf Erfolg hätte eine Berufung des Hamburger Autohauses?

Das lässt sich nur vermuten. Klar ist aber, dass VW und somit auch die Autohäuser mit jedem Urteil, dass gegen den Autobauer ausfällt, zunehmend in die Defensive geraten. Ob das VW-Autohaus überhaupt in Berufung geht, ist zurzeit noch unklar.

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