Rücktritt des slowakischen Regierungschefs Fico Der Scheinrückzug

Die öffentliche Empörung nach dem Mordfall an dem Journalisten Ján Kuciak zwang den slowakischen Premier Robert Fico zum Rücktritt. Doch im Hintergrund will er weiterhin die Fäden ziehen.

Robert Fico

Freitag, 16.03.2018  
20:26 Uhr

Wenig Zeit? Am Textende gibt’s eine Zusammenfassung.

Der bisherige slowakische Ministerpräsident Robert Fico ist seit mehr als einem Jahrzehnt der starke Mann seines Landes. Der Sozialdemokrat und Vorsitzende der linksnationalen Partei SMER agierte als Chef eines Netzwerkes aus Politikern und Geschäftsleuten, die sich ohne Skrupel und immer am Rande der Legalität bereicherten. Korruptions- und andere Affären saß Fico mit großem Geschick aus, politische Positionen wechselte er je nach Bedarf und Publikum.

Der Mord an dem Investigativjournalisten Ján Kuciak und seiner Verlobten Martina Kusinírova vor drei Wochen zwang Fico nun zum Rücktritt. Denn die schockierte Öffentlichkeit in der Slowakei sieht ihn und seine Führungsgruppe als moralisch Verantwortliche und indirekte Mittäter: Denn der ermordete Kuciak hatte dokumentiert, welche engen Verbindungen zwischen organisiertem Verbrechen und hoher Politik im Land bestehen. So war es auch bei Fico: Seine persönliche Assistentin und mutmaßliche Geliebte Mária Troskova sowie der Sekretär des Sicherheitsrates der Regierung, Viliam Jasan, hatten persönliche und geschäftliche Verbindungen zu mutmaßlichen italienischen Mafia-Mitgliedern in der Ostslowakei. Diese gelten als Verdächtige in dem Mordfall und sind zum Teil vorbestraft.

Deshalb schien es in den vergangenen Wochen nur noch eine Frage der Zeit zu sein, wann Fico abtreten würde. Doch sein jetzt erfolgter Rücktritt, so sehen es viele Beobachter, ist nur ein formaler und taktischer. „Es wird eine Fico-Regierung ohne Fico geben“, schreibt die unabhängige Tageszeitung „DenníkN“. Auch der Politologe Pavol Babos meint, Fico bleibe der mächtigste Mann im Land.

Präsident Kiska war gezwungen Ficos Rücktritt anzunehmen

Unter dem immensen Druck der Öffentlichkeit und nach den größten Demonstrationen seit der Staatsgründung der Slowakei im Jahre 1993 legte Fico schließlich das Drehbuch und die Bedingungen für seinen Abgang vor: keine vorgezogenen Neuwahlen, ein Weiterbestehen der bisherigen Koalition und ein Regierungschef, der von seiner eigenen Partei SMER bestimmt wird. Staatspräsident Andrej Kiska, ein ehemaliger Unternehmer, Philantrop und eine Art ziviles Gewissen seines Landes, fordert zwar eigentlich einen grundlegenden Neubeginn in der Slowakei. Doch er war aus verfassungsrechtlichen Gründen gezwungen, Ficos Rücktritt unter diesen Bedingungen anzunehmen.

Bei vorgezogene Neuwahlen, so besagen die jüngsten Umfragen, würde SMER zwar weiterhin knapp stärkste Partei bleiben, allerdings große Stimmverluste erleiden. Damit würde der ohnehin drohende der Niedergang von SMER und die Erosion des Machtnetzwerkes der Partei in unmittelbare Nähe rücken.

Mit dem neuen Regierungschef Peter Pellegrini will Fico dieses Szenario abwenden: Er selbst bleibt SMER-Parteichef. Pellegrini, bisher Vizepremier und Minister für Investitionen und Informationstechnologie, gilt zwar nicht als charakterlose Marionette. Er ist aber jemand, der seine Karriere einflussreichen SMER-Machtzirkeln verdankt und deshalb kaum unabhängig von Fico agieren kann. Der studierte Ökonom dürfte auch aus Image-Gründen ausgewählt worden sein: Zwar trägt Pellegrini als Minister für Investitionen indirekt eine Mitverantwortung für den missbräuchlichen Umgang mit öffentlichen und EU-Fördergeldern. Ihm selbst jedoch haften keine Korruptionsaffären an. Er ist ein unverbrauchter SMER-Politiker, persönlich gilt er bisher als rechtschaffen, ein Boulevardblatt kürte ihn einmal zum „sexiesten slowakischen Politiker“.

In der Regierungskoalition brodelt es gewaltig

Das neue Regierungsmodell von Fico funktioniert in ähnlicher Weise auch in anderen mittel- und südosteuropäischen Staaten – zum Beispiel in Polen, Rumänien, Serbien und Montenegro. Dort sind die eigentlichen starken Männer nicht Regierungschefs, sondern haben andere Posten: Jaroslaw Kaczynski in Polen und Liviu Dragnea in Rumänen als Parteichefs, Aleksandar Vucic in Serbien als Präsident. In Montenegro agiert Milo Djukanovic als früherer Premier und Staatschef ganz aus dem Hintergrund.

Ob Robert Fico jedoch auf diese Weise seine Macht retten kann, ist ungewiss. In der Regierungskoalition brodelt es gewaltig, zudem gehen jeweils Risse durch alle drei Parteien – neben SMER sind das die „Slowakische Nationalpartei“ (SNS) und die Partei der ungarischen Minderheit „Most-Híd“. In Ficos eigener Partei mehren sich die Stimmen prominenter Politiker, die Neuwahlen und eine Parteierneuerung fordern. Die beiden kleineren Koalitionpartner, besonders Most-Híd, schwankten in den vergangenen Tagen immer wieder zwischen der Forderung nach Neuwahlen und dem Verbleib in der Koalition. Die Most-Híd-Vizechefin und Justizministerin Lucia Zitnanská etwa wird die Regierung aus Protest gegen das „Weiter-so“ verlassen, so wie zuvor schon der Kulturminister und SMER-Politiker Marek Madaric. Er war schon nach Bekanntwerden des Mordes an Kuciak und seiner Verlobten zurückgetreten.

Fico und sein Machtzirkel auch nach wie vor unter riesigem Druck der Öffentlichkeit. Wie schon seit zwei Wochen wollen auch an diesem Freitag wieder zehntausende Menschen in Bratislava und anderen Städten des Landes auf die Straße gehen. Sie fordern weiterhin einen Rücktritt der gesamten Regierung, vorgezogene Neuwahlen und einen grundlegenden Wandel im Land. Das Motto der Bürgerbewegung: „Für eine anständige Slowakei!“

Zusammenfassung: Robert Fico ist nach der Ermordung des Journalisten Kuciak zwar als Ministerpräsident der Slowakei zurückgetreten. Er wird aber versuchen, als mächtigster Mann des Landes auch ohne Amt weiterhin zu regieren. Auch in Polen, Rumänien, Serbien und Montenegro sind die eigentlichen starken Männer nicht Regierungschefs, sondern haben andere Posten: Jaroslaw Kaczynski in Polen und Liviu Dragnea in Rumänen als Parteichefs, Aleksandar Vucic in Serbien als Präsident.
Die slowakische Öffentlichkeit fordert nach wie vor den kompletten Rücktritt der Regierung und Neuwahlen.

Journalistenmord in der Slowakei

Quelle