Die Lage am Samstag Liebe Leserin, lieber Leser,

wenn einer weiß, wie das Nervengift Nowitschok wirkt, dann ist das Wil Mirsajanow. Er war daran beteiligt, es zu entwickeln, damals in Russland. Nun lebt er in den USA und führt einen langen Kampf gegen dieses Gift. Dass es nie eingesetzt werde.

Dominick Reuter / AFP
Wil Mirsajanow

Mehr dazu im SPIEGEL
Heft 12/2018

Der Giftanschlag und der neue Kalte Krieg

Aber nun ist es eingesetzt worden. In England ringen Sergej Skripal und seine Tochter mit dem Tod. Jemand hat sie mit Nowitschok vergiftet, wahrscheinlich mit einem Auftrag, der aus Russland kam. Dies ist das Thema der Titelgeschichte des neuen SPIEGEL, den Sie ab heute am Kiosk bekommen. Unser Rechercheteam hat Mirsajanow getroffen, hat sich in der russischen Migrantenszene in London umgesehen, hat mit Experten gesprochen und analysiert die politische Lage nach dem Attentat. Wir sind wieder da, wo wir schon waren: in einem Kalten Krieg.

Im Video: Was ist Nowitschok?

East Press / Sipa Press

Opfer werden Opfer

Sie sind schon Opfer. Sie haben schon verloren und brauchen Hilfe. Sie gehen zum Weißen Ring in Lübeck, weil sie Opfer einer Straftat waren. Dort suchen sie Hilfe und werden wieder Opfer. Der ehemalige Chef des Weißen Rings in Lübeck hat sich einigen Frauen offenbar auf eine ekelhafte Weise genähert. Er wollte Sex, er wollte einige ins Bordell schicken.

Meine Kollegen vom Investigativteam haben sich dieser Geschichte angenommen. Es geht um Frauen, die sonst keine Stimme haben, die sich nur schlecht wehren können. Eine Frau sagt: „Ich … merkte, es war nichts mit Freundschaft oder mit väterlicher Hilfe …, sondern wieder mal ein Arschloch, was einfach nur in der Notsituation … seinen Nutzen daraus ziehen wollte.“ Der Mann bestreitet das alles, musste aber seine Position beim Weißen Ring aufgeben.

Tod im Berghain

Jennifer und Carlo aus Kalifornien wollten feiern, wollten tanzen. Sie reisten um die Welt und in Berlin gingen sie ins Berghain, schluckten ein paar Pillen, wie das viele tun. Am Morgen lag Jennifer auf der Intensivstation einer Klinik, fast 42 Grad Fieber. Sie hat das nicht überlebt.

Mein Kollege Alexander Osang hat Carlo zufällig auf dem Flughafen Tegel getroffen, fünf Tage nach dem Tod seiner Frau. Carlo weinte haltlos. Osang hat ihn angesprochen und den Kontakt gehalten. Er hat recherchiert, wie es zu Jennifers Tod kam, und nach der Lektüre seines Textes hat man den Eindruck, dass in Berlin von einigen genau die Zustände erwünscht sind, die letzten Endes zu Jennifers Tod geführt haben. Man will halt Partywelthauptstadt sein und schaut nicht so genau hin.

Im Video: Rekonstruktion einer tödlichen Nacht

DER SPIEGEL

Niedriger hängen

Darf man das noch sagen? Diese Frage liegt über vielen Diskursen in diesen Tagen. Ob es um Armut geht, um Flüchtlinge, um die #MeToo-Debatte – viele Bürger behaupten, dass manche Wahrheiten nicht ausgesprochen werden dürften. Aktuell geht es dabei um den Fall Tellkamp, den unser Ressort Kultur für den neuen SPIEGEL untersucht hat. Der Schriftsteller hatte bei einer Diskussion in Dresden behauptet, 95 Prozent der Flüchtlinge würden nicht vor einem Krieg fliehen, sondern in die Sozialsysteme einwandern.

Ob das nun die Wahrheit ist oder nicht, Tellkamp darf das selbstverständlich ungestraft sagen, nur muss er mit Widerlegung und Kritik rechnen, vielleicht auch mit Empörung. Aber was ist daran schlimm? Er kann zurückkritisieren, sich zurückempören. Man nennt das Debatte.

Dietrich Flechtner / DPA
Schriftsteller Tellkamp (l.), Dichter Grünbein

Eine Schnecke namens Fortschritt

Das hohe Tempo der Produktivität schien lange ein Problem zu sein. Maschinen und Menschen wurden immer effizienter, sodass eine Menge Jobs verloren gingen. Doch jetzt wächst die Produktivität jährlich nur noch um ein Prozent. Der Fortschritt ist eine Schnecke, schreibt Christian Reiermann im neuen SPIEGEL. Dafür nennt er sieben Gründe, unter anderem billige Arbeitskräfte, den demokratischen Wandel und die niedrigen Zinsen. Wer verstehen will, was gerade in der deutschen Wirtschaft passiert, sollte diesen Text lesen.

Der Turbo fürs Gehirn

Wenn Sie mal davon geträumt haben, Gedanken lesen zu können, sollten Sie die Geschichte „Diktatur der Turbodenker“ von Manfred Dworschak lesen. Er setzt sich mit der These auseinander, dass dieser alte Menschheitstraum (nicht meiner) in nicht allzu weiter Ferne real werden könnte. Tatsächlich arbeiten schon Leute am digital gepimpten, also verbesserten Gehirn. Werfen Sie mit Dworschak einen Blick in die Zukunft.

Die jüngsten Meldungen aus der Nacht

Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende,

Ihr Dirk Kurbjuweit

Quelle