Briefe von der Konkurrenz an die HSV-Fans „Glaubt mir, es ist besser so“

Eine Woche ist der Abstieg her, der Schmerz bleibt. Was HSV-Fans derzeit erstmals durchleben, haben Anhänger anderer Krisenklubs bereits hinter sich. Sie berichten von Tristesse, Hoffnung und senden beste Wünsche – sogar aus Bremen.

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Trauer bei den HSV-Fans

Samstag, 19.05.2018  
14:54 Uhr

Liebe HSV-Fans,

am 29. Mai 1999 stand ich mit einem alten Freund auf der Tribüne am Gladbacher Bökelberg. Die Sonne hat geschienen. Um mich herum hatten sich Tausende von Borussia-Anhängern in ihre alten Fankutten gezwängt, um ihren Verein aus der 1. Bundesliga zu verabschieden – nach 34 Jahren Erstklassigkeit. Nach fünf Meisterschaften, nach unzähligen Partien, die ins Gedächtnis der Liga eingegangen waren.

Gegner war Borussia Dortmund, aber das war egal, denn Gladbach war längst als Tabellenletzter feststehend abgestiegen.

Und während in ganz Deutschland die tragbaren Radios glühten, aus denen sich Günter Koch vom Nürnberger Abgrund meldete, herrschte am sonnenüberfluteten Bökelberg eine melancholische und merkwürdigerweise gleichzeitig fast heitere Abschiedsstimmung. Aus dem Abstiegskader verabschiedete sich an diesem Nachmittag die Prominenz wie Innenverteidiger Patrick Andersson, der später bei euch im Volkspark an einem letzten Spieltag noch einmal Bundesligageschichte schreiben würde.

Natürlich wurde auch dieses letzte Spiel verloren, Dortmund gewann 2:0 durch zwei Treffer von Stephane Chapuisat. Alle Fans schwenkten ungeachtet dessen ihre Schals. Natürlich gab es ein paar Tränchen, aber es gab auch sehr viel Altbier.

Mein Freund, Fan der anderen, der also nicht einzig wahren Borussia, versuchte mich zu trösten, aber das war überhaupt nicht nötig. Es war ein sehr schöner Tag.

Und es hat danach auch nur 14 Jahre gedauert, bis die Borussia wieder im Europapokal gespielt hat.

Peter Ahrens, Sportredakteur, Fan von Borussia Mönchengladbach

Borussia Mönchengladbach 1999

Liebe HSV-Fans,

alles wird jetzt anders, haben sie gesagt. Vom Absturz einer ganzen Region haben sie gesprochen. Millionenverluste, zweistellig, ach was, wahrscheinlich sogar dreistellig.

Der VfB Stuttgart, abgestiegen in Liga zwei, ein Drama, schrien sie. Wer von einer Auferstehungstour zwischen Würzburg und St. Pauli träume, der sei naiv. Das haben sie gesagt. Damals… Und dass der Fußball da unten ein sehr ungemütlicher sei, nur mit alten Recken zu bestreiten, die den Kampf annehmen. Schön spielen? Kannste vergessen. Die Idee der jungen Wilden? Endgültig versenkt. Die Liebe der Zuschauer? Endgültig erloschen. Denn: Absteiger sind egal. Und egal ist das Schlimmste. Adele.

Alles wurde anders. Denn plötzlich war eben nichts mehr egal. Plötzlich spielte da wieder ein, eben nur in Liga zwei mögliches, entwicklungsfähiges, junges Team, das trotz aller Unbedarftheiten mehr Liebe provozierte als eine Dekade Valentinstage. Plötzlich war da dieser Teenager Benjamin Pavard, der eleganteste Verteidiger der VfB-Geschichte, der eben nur hier seine ersten großen Glanztaten vollbringen konnte. Der Vertikalassist des Franzosen gegen Fürth über das komplette Spielfeld – gefühlte Packing Rate: 1893 – war das Schönste, was der VfB-Fan seit Jahren gesehen hatte. Es war auch schöner als alles, was in dieser gerade abgelaufenen Vizemeister-Rückrunde zu bestaunen war. Ja, auch diese Monate im Frühling 2018 sind ein Ergebnis des Abstiegs. Kein Aufsteiger ließ in der Bundesliga-Geschichte weniger Tore zu – weil das Team „da unten“ in Ruhe lernte, sich zu wehren.

Tragödien will man eigentlich nicht zweimal erleben. Doch noch einmal zurück in den Sommer 2015? Wieso auch nicht.

Frieder Pfeiffer, Autor, Fan des VfB Stuttgart

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Liebe HSV-Fans,

der 28. Februar 1998 war mein vorerst letzter unschuldiger Moment der Freude als FC-Fan. Zu Gast bei den Bayern, gespielt wurde noch in rumpelndem 3-5-2, Köln gewann sen-sa-tio-nell 2:0 durch Tore von Markus Münch und einem gewissen Khodadad Azizi, den alle nur Kodak riefen, damals war die Bundesliga noch nicht so international.

Zwei Wochen später hielt Bayern-Coach Trappatoni seine „Flasche leer“-Rede, zwei Monate später hatte dann auch der FC fertig. Und wiederum ein halbes Jahr später wurde bei meinem Vater, ein glühender Heimcouch-Ultra, der mich in den Litti-Achtzigern nicht lange zum Geißbock überreden musste, Krebs diagnostiziert. Der Stress auf Arbeit, sagten alle, die ihn nicht vor dem Fernseher hatten leiden sehen.

So weit soll es bitte nicht kommen, lieber HSV-Fan! Et hätt schließlich noch emmer joot jejange, zumindest immer mal wieder. Vom Urgestein zur Fahrstuhlmannschaft und in den Europapokal und wieder runter – das ist nicht schön und Heidenheim nicht Hoffenheim. Und das Gerede von der Katharsis im Unterhaus, von Umbruch und Neuanfang, von ehrlichen Werten und hungrigen Talenten, ihr werdet es bald merken, ist eine Mär. Und irgendwann ertappt man sich dabei, wie man ein verregnetes Remis in Regensburg bejubelt.

Man tut gut daran, sich einen gewissen Bundesliga-Buddhismus anzueignen. Letting go. Hat auch meinem Vater geholfen: Schlachten verloren, den Krebs besiegt.

Florian Merkel, Chef vom Dienst, Fan des 1. FC Köln

imago/ Horstmüller
1. FC Köln 1998

Liebe HSV-Fans,

glaubt mir, es ist besser so. Seit 2014 hat Euer Verein dreimal den Klassenerhalt am letzten Spieltag oder in der Relegation geschafft. Und leider hat Euer Management seither daraus nicht die richtigen Konsequenzen gezogen. Stattdessen habt Ihr scheinbar wahllos Trainer mit komplett unterschiedlichen Spielkonzepten verpflichtet – Slomka, Zinnbauer, Labbadia, Gisdol, Hollerbach – bestimmt habe ich noch welche vergessen. Der Abstieg ist also vollends verdient, daran können auch die letzten Spiele unter Christian Titz nicht hinwegtäuschen.

Ich wünsche mir aber, dass ihr nach einer Saison Besinnungszeit wieder aufsteigt. Und das sage ich als Werder-Fan. Denn die Nordderbys sind die Spiele, an die ich am liebsten zurückdenke und die ich mir heute noch immer wieder auf YouTube angucke, wenn Werder mal wieder im Keller steht: Das 6:0 am vorletzten Spieltag unserer Meistersaison 2004. Der 2:1-Auswärtssieg am letzten Spieltag 2006, der uns in die Champions League brachte und bei dem Ailton damals im HSV-Trikot übers leere Tor schoss. Und natürlich die legendäre Vierer-Serie 2009, als Wiese im DFB-Pokalhalbfinale drei Elfmeter hielt und im Uefa-Cup-Halbfinale eine Papierkugel eine entscheidende Rolle spielte.

Diese Partien werden sich nächstes Jahr im Frühjahr zum zehnten Mal jähren. Ihr werdet dann gegen Heidenheim und Sandhausen in der Zweiten Liga spielen. Ich hoffe, es dauert nicht zehn Jahre bis zum nächsten Derby. Und hoffentlich findet das nächste Derby nicht in der zweiten Liga statt!

Christoph Sydow, Politikredakteur, Fan von Werder Bremen

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