DFB-Team vor dem ersten WM-Spiel Löw und die drei ???

Fußball-Deutschland geht vor dem ersten Spiel gegen Mexiko von einem erfolgreichen WM-Turnier für das DFB-Team aus. Aber wie stark ist die Elf von Bundestrainer Löw wirklich? Es gibt Anlass zur Sorge.

Mats Hummels

Donnerstag, 14.06.2018  
14:51 Uhr

Der Bundestrainer hat bei der WM vor vier Jahren eine etwas irritierende Angewohnheit gehabt. Joachim Löw sagte vor fast jedem Turnierspiel voraus, dass seine Mannschaft gewinnen werde. Als ob es daran gar keinen Zweifel gäbe. Letztlich sollte er recht behalten.

Dieses wasserdichte Selbstbewusstsein war ein Schlüssel zum WM-Titel in Brasilien. Vor dem ersten deutschen Turnierspiel der WM in Russland muss dieses Gefühl erst wieder geweckt werden. Löw wirkt vor dem Duell mit Mexiko am Sonntag (17 Uhr, Liveticker SPIEGEL ONLINE) nach außen bekannt ausgeglichen, aber wer ihn über die Jahre beobachtet hat, spürt eine auffallende Zurückhaltung.

Löw hat im Vorfeld gesagt: „Meine Mannschaft ist in der Lage, jedes andere Team der Welt zu schlagen.“ Das ist unbestritten. Die Sicherheit, dass sie es auch tut, ist hingegen seit 2014 etwas geschwunden. Die lässige Haltung nach dem Motto „Das wird schon“ ist in der Öffentlichkeit stärker ausgeprägt als beim Team. Ins Positive gedreht: Überheblichkeit ist nicht in der Luft.

Ist das Team stärker als 2014?

Hier tritt der Weltmeister an, das ist erst einmal Argument genug, das Team per se zum engeren Favoritenkreis der WM zu zählen. Dennoch wabert über dem Turnierauftakt in Moskau die Frage: Was kann diese Mannschaft? Und: Ist sie tatsächlich stärker als das Team von 2014? Rund um die DFB-Elf regieren derzeit die Fragezeichen vor den Ausrufezeichen.

In jedem Fall ist der Kader robuster, austarierter als in Brasilien. Zum Weltmeisterkreis zählten damals auch Roman Weidenfeller, Ron-Robert Zieler, Erik Durm, Kevin Großkreutz: Spieler, denen man nicht ohne Weiteres das Etikett internationale Klasse verleihen würde – und die dann folgerichtig auch keine Minute Einsatzzeit hatten.

Solche Profis sucht man im aktuellen Aufgebot vergebens – nimmt man vielleicht den Herthaner Marvin Plattenhardt aus, der wohl schon das Spiel um den dritten Platz brauchen würde, um auf Einsatzzeiten zu hoffen. Ansonsten ist diese Mannschaft ausgeglichen besetzt, auf einem spielerisch hohen Level. Die Zweifel gibt es dennoch.

Özil, Gündogan, Boateng – viele Fragezeichen hinter Top-Stars

Zweifel daran, wie Mesut Özil und Ilkay Gündogan den wochenlangen Wirbel um das Erdogan-Foto verkraften. Beide Spieler wirkten, um es sehr vorsichtig zu formulieren, wochenlang schlecht beraten. Das Krisenmanagement beim DFB war erschreckend schwach, beide gehen auch deswegen belastet in das Turnier.

Zweifel daran, wie es um die Tempohärte, die Fitness, die Frische der Leistungsträger steht. Jérôme Boateng hat sich seit April mit einer Verletzung herumgeschlagen, Mats Hummels sollte seine Antrittsschnelligkeit aus dem Pokalfinale deutlich verbessern, Sami Khedira muss Geschwindigkeit durch Stellungsspiel kompensieren. Diese Mannschaft hat eine gewaltige Erfahrung, aber sie ist nicht mehr jung.

Zweifel daran, ob die Torwartfrage nicht noch einmal ein Thema werden wird. Manuel Neuer muss noch nachweisen, dass er das Level von 2014 nach seiner Verletzung wieder erreicht hat. Es gibt Anzeichen dafür, aber noch keinen wirklichen Beweis. Was passiert, wenn Neuer patzt? Dann haben wir eine Debatte.

Zweifel daran, wie die deutsche Offensive funktioniert. Timo Werner bringt die Schnelligkeit ein, viele trauen ihm ein großes Turnier zu, aber es ist auch seine erste ganz große Herausforderung als Nationalspieler. Mario Gomez geht auf die 33 zu. Dagegen hat Julian Draxler an Statur zugelegt, auf Thomas Müller war bisher meistens Verlass, wenn es darauf ankam – und Marco Reus hat vieles nachzuholen. Das kann gut gehen, muss aber nicht.

Das Team hat keinen Lahm mehr

Vor vier Jahren standen Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger und Miroslav Klose in der Mannschaft, drei vollkommen unterschiedliche Typen, aber drei Spieler, die das abdeckten, was letztlich den Erfolg ausmachte. Lahm, der Mann mit der Übersicht, der das Spiel verstanden hat wie lange keiner im deutschen Fußball. Schweinsteiger mit seinem Durchhaltewillen im Endspiel gegen Argentinien. Klose, der die Gabe besaß, dort schon zu stehen, wo der Ball erst Momente später noch hinkam. Die Mannschaft von heute hat brillante Spieler. Aber sie hat keinen Lahm mehr.

In Deutschland wird so getan, als ginge die WM eigentlich erst mit dem Viertelfinale so richtig los. So wie der FC Bayern denkt, wenn es April wird und die Champions League in die entscheidenden Wochen geht. Die Gruppenphase mit Mexiko, Schweden, Südkorea ist eine Pflichtübung. Das ist das öffentliche Bild. Löw dagegen vermittelt dieser Tage eher den Eindruck, dass er sich der Gefahren der Gruppenphase viel stärker bewusst ist.

Bei den vergangenen vier Weltturnieren blieb der Titelverteidiger dreimal in der Gruppenphase hängen: Frankreich 2002, Italien 2010, Spanien 2014. Das ist Statistik. Nur Statistik? Das letzte Fragezeichen.

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