Dieselskandal Milliardenbuße für VW lässt andere Kläger hoffen

VW muss im Abgasskandal eine Milliarde Euro Strafe zahlen. Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft macht den geschädigten Autofahrern und Aktionären Hoffnung. Die wichtigsten Folgen der Geldbuße.

Neuwagen in den Autotürmen am VW-Werk in Wolfsburg

Donnerstag, 14.06.2018  
16:54 Uhr

Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat Volkswagen in der Dieselaffäre ein Bußgeld über insgesamt eine Milliarde Euro aufgebrummt. Ermittelt wurde schon länger, nun sehen die Ankläger „Aufsichtspflichtverletzungen“ im Konzern belegt. Welche Folgen hat die Geldbuße – für VW, für Autokäufer und für Anleger? Antworten auf die wichtigsten Fragen:

Was bedeutet die Milliarden-Geldbuße für andere Geschädigte im Dieselskandal?

Die Geldbuße , mit der die Staatsanwaltschaft Braunschweig VW in der Abgasaffäre bestraft, hebelt nach Ansicht von Anwälten die typische Argumentation des Konzerns gegen Ansprüche von Autobesitzern und Anlegern aus – und macht ihn so angreifbar.

„Das Risiko für Volkswagen steigt in den Gerichtsprozessen. Jetzt kann VW nicht mehr wie bisher argumentieren, für die Manipulationen seien Mitarbeiter unterer Ebenen verantwortlich gewesen und daher müsse der Konzern dafür nicht einstehen“, sagt Ralf Stoll, Anwalt der Kanzlei Stoll & Sauer, die 35.000 VW-Dieselopfer vertritt und 3400 Klagen für sie eingereicht hat.

Handeln einzelne Mitarbeiter auf niedrigen Hierarchiestufen falsch, ist es kaum möglich, einen Konzern zu belangen. Jetzt sei klar festgestellt, dass hochrangige VW-Manager ihre Aufsichtspflichten verletzt haben, sagte Stoll. Weitere Anwälte anderer Kanzleien sehen das ähnlich.

Auch Klagen von Anlegern, die von VW Schadensersatz wegen des Kursverfalls der VW-Aktie fordern, dürften aus diesem Grund künftig bessere Chancen haben. „Das stützt unsere Argumentation, wonach Leitungspersonal bei VW Pflichten verletzt hat“, sagt Axel Wegner, Anwalt der Kanzlei Tilp.

Christopher Rother, Statthalter der US-Kanzlei Hausfeld in Berlin, die für den Rechtsdienstleister MyRight und den angeschlossenen rund 15.000 Klägern gegen VW streitet, sieht sogar ein weiteres Einfallstor, das sich nun öffnet: „Jetzt sind die Chancen für Kläger deutlich gestiegen. Bisher haben VW und das Landgericht Braunschweig erklärt, die Dieselmanipulationen seien bedauerlich, aber doch rechtmäßig, da die Fahrzeuge zugelassen wurden. Das lässt sich nicht mehr aufrechterhalten.“

Rother hält VW in Gerichtsprozessen vor, der Konzern habe seine manipulierten Diesel rechtswidrig in den Verkehr gebracht – weil der Konzern die Abschaltung der Abgaseinrichtungen im Straßenverkehr im Gegensatz zu den Prüfständen nicht bekannt gemacht hatte. Daher habe VW sich die Zulassung für diese Autos unrechtmäßig erschlichen.

Versucht VW, sich noch immer herauszumogeln?

Obwohl der Volkswagenkonzern die Buße ohne Gegenwehr akzeptierte, versucht der Autobauer nun offenbar doch, deren Folgen für weitere Gerichtsprozesse abzumildern. In seiner Reaktion auf die Strafe spielte VW den Kreis der Verantwortlichen erneut herunter und erklärte, es sei nach den Ergebnissen der Ermittler zu Aufsichtspflichtverletzungen „in der Abteilung Aggregate-Entwicklung gekommen“.

Die Staatsanwaltschaft verwahrte sich prompt dagegen, dass die Verantwortung für den Dieselskandal nicht in der Unternehmensführung zu suchen sei: Es gehe hierbei nicht nur um eine Abteilung des Unternehmens, entgegnete Oberstaatsanwalt Klaus Ziehe. „Wir haben es bewusst nicht so weit heruntergebrochen, weil wir die VW AG insgesamt in der Pflicht sehen.“ Es gehe im Fall der Ordnungswidrigkeit um das Unternehmen und nicht um einzelne Personen.

Ist die Strafe hoch genug?

Kritiker bemängeln, dass Volkswagen nicht härter bestraft wird. So sorgte die Buße aus Braunschweig bei Volkswagens Managern eher für Aufatmen. Wohl aus gutem Grund: Eine Milliarde Euro Bußgeld kann das Unternehmen ohne große Schwierigkeiten bewältigen, schließlich hat VW allein im Jahr 2017 mehr als das Zehnfache an Gewinn gemacht. Anwälte von Geschädigten gehen sogar davon aus, dass VW nun mögliche Bußgelder in anderen Ländern, wo gegen den Konzern ebenfalls ermittelt wird, niedrig halten kann.

„Eine Strafe in Höhe von fünf Millionen Euro – da dürften in Wolfsburg die Champagnerkorken geknallt haben“, sagt Sebastian Fiedler vom Bund Deutscher Kriminalbeamter. „Dass VW zusätzlich 995 Millionen Euro seines ergaunerten Gewinns abführen soll, ist nichts anderes als eine Selbstverständlichkeit.“

Das Beispiel zeige, dass es in Deutschland endlich ein echtes Unternehmensstrafrecht brauche mit Strafen in angemessenem Verhältnis zu den Taterlösen, kritisiert Fiedler. Wenn große Konzerne in Deutschland sich durch Umweltkriminalität fast eine Milliarde Euro Aufwendungen ersparen können und fast ungestraft davonkommen, sei das deutsche Rechtssystem schlecht aufgestellt.

Die Braunschweiger Staatsanwaltschaft dagegen hält ihr Bußgeld für ausreichend: „Tausend Millionen Euro für eine Ordnungswidrigkeit ist schon eine Ansage und ich gehe davon aus, dass das natürlich schmerzhaft ist“, sagte Oberstaatsanwalt Ziehe. „Wenn wir das Gefühl gehabt hätten, das führt zum allgemeinen Lacher und einer Überweisung aus der Portokasse, hätten wir einen anderen Betrag ermittelt.“

Darüber hinaus kündigte die Stuttgarter Staatsanwaltschaft an, sich eigene Bußgeldforderungen weiter vorzubehalten – was die VW-Tochter Porsche treffen könnte.

Was passiert mit dem Geld?

Schon jetzt kann sich das Land Niedersachsen über den Geldsegen aus Wolfsburg freuen. Innerhalb von sechs Wochen muss VW das Bußgeld an das Land zahlen. Was damit passiert, beflügelt bereits die Fantasie einiger Politiker in Hannover. „Bei uns gibt es darüber gerade eine muntere Debatte“, sagte der frühere niedersächsische Umweltminister und Landtagsabgeordnete Stefan Wenzel.

Dem Wunschkonzert erteilte die rot-schwarze Landesregierung allerdings abrupt eine Absage. „Zur Verwendung der Mittel wird die Landesregierung im zeitlichen Zusammenhang mit den Haushaltsberatungen einen Vorschlag unterbreiten“, konstatierte sie.

Unwahrscheinlich ist allerdings, dass die Niedersachsen das ganze Geld einstreichen können. Als zusätzliche Einnahme des Landes, dürfte es in den Länder-Finanzausgleich fließen, so dass nur ein kleinerer Teil in Niedersachsen verbleibt.

Was droht dem Autokonzern noch?

Juristisch sieht es mittlerweile schlecht aus für VW: Zuletzt schwenkten immer mehr Gerichte auf den Kurs der Kläger ein und verurteilten den Konzern oder seine Händler zu Schadensersatz oder der Rücknahme manipulierter Autos. Kürzlich fällte auch ein erstes Oberlandesgericht das Urteil, dass ein Händler für die Manipulationen gerade stehen muss – was für andere Gerichtsverfahren als wegweisend gesehen wird.

Jetzt geht es vor allem noch um die noch laufenden Klagen von Dieselbesitzern und Anlegern, die ihre Argumente nun bestätigt sehen. Hinzu kommen strafrechtlichen Ermittlungen gegen Konzernmanager. Eine Übersicht:

Anlegerklagen: Wegen der Kursverluste durch die im Dieselskandal abgestürzte VW-Aktie verlangen Aktionäre vom Autokonzern zehn Milliarden Euro.

Käuferklagen: Hinzu kommen die Klagen von VW-Besitzern, die sich laut Anwalt Stoll auf eine verlangte Entschädigung von rund einer Milliarde Euro belaufen dürften.

Strafrechtliche Ermittlungen wegen Marktmanipulation: Wegen des Verdachts der Marktmanipulation ermitteln Staatsanwälte gegen VW-Manager. Braunschweig will dieses Jahr möglichweise entscheiden, ob Anklage erhoben werde.

Strafrechtliche Ermittlungen wegen des Abgasbetrugs: Der Manipulation von Motorsteuerungssoftware und falschen Verbrauchsangaben gehen Ermittler ebenfalls nach und wollen ergründen, welche Manager sich konzernweit hierfür strafbar gemacht haben.
Mit Spannung erwarten Anwälte zudem die Reaktion Betroffener im VW-Dieselskandal auf die ab November möglichen Musterfeststellungsklagen. An diesem Donnerstag hat der Bundestag das Instrument beschlossen – und damit den Weg für Verbraucher frei gemacht, sich einer Klage von Verbänden anzuschließen. Mögliche Urteile aufgrund solcher Klagen sind bindend – jeder Verbraucher, der sich angeschlossen hat, muss allerdings den eigenen Anspruch dennoch individuell einklagen, um wirklich Geld zu bekommen.

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