Seehofers 69 Abschiebungen Wie man zum Mittäter wird

Erst witzelt Horst Seehofer über 69 Abschiebungen zu seinem 69. Geburtstag, dann nimmt sich einer der Abgeschobenen in Kabul das Leben. Welche Schuld trifft den Innenminister?

Horst Seehofer

Donnerstag, 12.07.2018  
14:31 Uhr

Die ZDF-Moderatorin Dunja Hayali war eine der ersten, die sich zu Wort meldeten, als der Tod des 23-jährigen Afghanen Jamal M. bekannt wurde. „Nach 8 Jahren in Deutschland und einem Tag in Afghanistan: abgeschobener Afghane begeht in Kabul Suizid“, schrieb sie am Mittwoch Mittag auf Twitter. Angehängt war ein Ausschnitt der Pressekonferenz des Innenministers vom Vortag (“ Horst Seehofer feiert seinen 69. Geburtstag mit 69 Abschiebungen nach Afghanistan“), sowie ein Link zu einem „Zeit“-Text, in dem bereits erste Rücktrittsforderungen enthalten waren.

Journalistin Dunja Hayali

Eine der Quellen, auf den sich der „Zeit“-Artikel stützte, war eine Meldung der dpa-Redaktion, die später dazu ein längeres Video ins Netz stellte. Am Nachmittag folgte auf tagesschau.de ein Beitrag, in dem die Rücktrittsforderungen dann das Hauptthema waren. Wer sich bis zu diesem Zeitpunkt nur aus den genannten Quellen informiert hatte, dem stellte sich die Lage so dar: Ein Innenminister, der es lustig findet, zu seinem Geburtstag Witze über Abschiebung zu machen. Dann ein Selbstmord, der beweist, wohin eine Politik führt, die auf Kälte, statt auf Mitgefühl setzt.

Die Meldungen über den Suizid sind alle korrekt. Die Berichte lassen nur ein Detail aus: Bei Jamal M. handelt es ich nicht um einen unbescholtenen Flüchtling, der sich nach acht Jahren in Deutschland in der Hölle von Kabul wiederfand, worauf er zum Strick griff. Tatsächlich hatte der Mann ein Vorstrafenregister angesammelt, für das „kleinkriminell“ ein Euphemismus wäre.

Zu Verurteilungen wegen Diebstahl, versuchter gefährlicher Körperverletzung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte kamen diverse Anzeigen wegen Raub, Drogen- und Gewaltdelikten. Es ist ziemlich genau das Muster, das sich bei vielen kriminellen Flüchtlingen findet, von denen es später fragend heißt, warum der Staat sie so lange gewähren ließ. Auch der Iraker, der beschuldigt wird, in Wiesbaden ein Mädchen vergewaltigt und dann getötet zu haben, ist mehrfach bei der Polizei aufgefallen, was auf verfestigtes delinquentes Verhalten schließen lässt.

Nun kann man zu Hayalis Gunsten annehmen, dass ihr das kriminelle Vorleben unbekannt war, als sie sich zu Wort meldete. Der dpa-Videoredaktion und den Redakteuren bei tagesschau.de lagen die Information am Nachmittag vor. Man muss also davon ausgehen, dass sie diese für unerheblich hielten, als sie ihre Berichte verfassten.

Ist es unerheblich, auf welche kriminelle Karriere jemand zurückblickt, der gezwungen wurde, das Land zu verlassen? Wenn ein Mensch sich das Leben nimmt, weil er sich keinen anderen Ausweg mehr weiß, ist das immer schrecklich. Menschlich gesehen verdient jeder Verzweifelte unser Mitgefühl, auch der Sünder. Juristisch ist es allerdings von großer Bedeutung, wie sich jemand aufführt, der in einem fremden Land um Schutz bittet.

Wer sich kriminell betätigt und damit die Hilfsbreitschaft, die ihm zuteil geworden ist, mit bösen Taten vergilt, hat den Anspruch auf weitere Hilfe verwirkt. Aus gutem Grund sieht das Asylrecht hier eine Abschiebung vor. Es gibt nicht viele Fälle, wo der Ablehnung eines Asylantrags der Verlust des Bleiberechts folgt. Viele Flüchtlinge dürfen mit Duldung rechnen, zumal wenn sie aus Weltregionen kommen, in denen die Sicherheitslage prekär ist. Straffälligkeit ist eines der wenigen Kriterien, in denen dies nicht gilt.

Migrationskatalog

Den Kritikern der deutschen Abschiebepraxis geht es darum, Abschiebungen grundsätzlich als unmenschlich zu diskreditieren. Oder wie es in einem besonders eindrücklichen Tweet heißt, der sich am Mittwoch über Twitter verbreitete: „Abschiebung ist Folter, Abschiebung Mord“. Dass es sich bei dem Afghanen um einen verurteilen Straftäter handelte, ändert nichts an der Einschätzung. „Ja und Menschen, die Körperverletzungen begangen haben, schickt man in den Tod?“, lautete ein typischer Eintrag. „Todesstrafe für Diebstahl?“, ein anderer. Niemand ist gezwungen, seinen Lebensunterhalt mit Diebstahl aufzubessern, würde ich immer sagen. Aber dass auch ein Flüchtling Handlungsoptionen hat, spielt keine Rolle oder wird einfach negiert.

Die Moralisierung politischer Fragen ist die einfachste Form, Positionen, mit denen man nicht übereinstimmt, zu delegitimieren. Es ist allerdings auch die Form der Auseinandersetzung, die den politischen Diskurs am stärksten vergiftet, weil sie dem Gegner abspricht, dass er ebenfalls gute Argumente haben könnte, und ihm stattdessen niederste Beweggründe unterstellt. „Menschen wissentlich ertrinken zu lassen, sehen Sie als Teil der Lösung des Flüchtlingsproblems. Ab sofort sind die bisher 1400 Toten im Mittelmeer auch Ihre Toten“, das ist der zentrale Satz eines Briefes, den die ehemalige SPD-Familienministerin Renate Schmidt diese Woche an Seehofer geschrieben hat, mit sueddeutsche.de als Postboten.

(Mehr zur Aktion „Deutschland spricht“ finden Sie hier .)

Ich habe vergeblich nach einer Stimme gesucht, die die Anmaßung zum Thema gemacht hätte, die aus diesem Brief spricht. Dass sich jemand wie Schmidt über die Pressekonferenz empört, in der Seehofer die Abschiebung von 69 Flüchtlingen als eine Art unverlangtes Geburtstagsgeschenk bezeichnet hat: Das verstehe ich. Dass sie den Auftritt des Innenministers als geschmacklos und zynisch empfindet: Auch das ist nachvollziehbar.

Aber Seehofer zu einem Mittäter zu machen, weil er nicht akzeptieren will, dass jeder nach Deutschland kommen kann, der sich von Afrika aus auf den Weg macht? Das ist eine moralische Zuspitzung, die direkt in die Sprachlosigkeit führt. Mit Mittätern paktiert man nicht, Mittäter straft man mit Missachtung. Das scheint exakt das zu sein, was Frau Schmidt im Sinn hat. „Ich schäme mich dafür, dass meine SPD aus Gründen der Staatsräson gezwungen ist, mit Ihnen an einem Tisch zu sitzen“, heißt es zum Schluss ihres Schreibens, das in Teilen der Anti-Abschiebe-Bewegung als bewundernswerter Cri de Coeur gilt.

Wir können auf diesem Weg immer weiter gehen. Wir können unpassende Vergleiche auf einer Pressekonferenz zum Anlass nehmen, den Rücktritt eines Ministers zu fordern. Wir können jeden zum Mörder stempeln, der Menschen den Zutritt nach Europa versperren will. Am Ende gibt es nur noch Freund und Feind. Ich kann damit leben. Ich schreibe eine Kolumne, die von der Konfrontation lebt. Ob diese moralische Aufladung politischer Fragen allerdings spurlos an dem demokratischen System vorbeigeht, an dem angeblich allen, die sich über Seehofer das Maul zerreißen, so viel liegt, das ist eine ganz andere Frage.

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