Boxweltmeister Was der Dopingbefund für Manuel Charr bedeutet

Seit ein neues Kontrollsystem eingeführt wurde, häufen sich die Dopingfälle im Boxen. Die meisten Täter stehen trotzdem schnell wieder im Ring. Bei Manuel Charr könnte das anders sein.

Donnerstag, 20.09.2018  
19:57 Uhr

Zunächst war er am Boden zerstört. „Ich weine nur noch“, sagte Boxweltmeister Manuel Charr dem Kölner „Express“, nachdem er erfahren hatte, dass in einer von ihm Ende August abgegebenen Dopingprobe zwei anabole Steroide nachgewiesen wurden. Seine für den 29. September angesetzte Titelverteidigung gegen den gebürtigen Puerto-Ricaner Fres Oquendo wurde daraufhin abgesagt.

Ein paar Stunden nach der Nachricht klingt das schon wieder anders. „Ich arbeite mit Hochdruck daran, das Ergebnis der Dopingprobe und die Hintergründe aufzuklären und setze alles daran, meinen Weltmeistertitel zu verteidigen. Ich gebe nicht auf“, schrieb Charr in einer Stellungnahme, die er über die sozialen Medien verbreitete.

Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an STATEMENT . Liebe Boxfans, hier mein Statement zur Dopingprobe. Heute Nacht kam die Nachricht, dass ich positiv getestet wurde. Mein Manager Christian Jäger und mein Promoter Bernd Trendelkamp haben daraufhin den Kampf abgesagt, ohne mich vorher zu informieren oder mit mir Kontakt aufzunehmen. Dieses Vorgehen enttäuscht mich sehr. Ich kann mir das Ergebnis nicht erklären, werde aber alles dazu beitragen, um es aufzuklären. Ich warte jetzt gespannt auf das Ergebnis der B-Probe und habe mich heute erneut einer unabhängigen und freiwilligen Dopingprobe unterzogen. Die Ergebnisse werden voraussichtlich am Samstag, den 22.09.18 veröffentlicht werden. Ich war immer und bei allen Kämpfen clean und kann mir deshalb im Moment definitiv nicht erklären, wie dieses Ergebnis zustande kommt. Ich bin selbst unter Schock, liebe Fans, zumal ich im Finale der Kampfvorbereitung bin. Die Verteidigung des Weltmeistertitels bestimmt seit Monaten mein Leben. Ich bereite mich mit großer Disziplin und großem körperlichen Einsatz auf diesen Kampf vor. Während meiner Kampfvorbereitungen nehme ich diverse Nahrungsergänzungsmittel zu mir. Es wird zu prüfen sein, ob die Nahrungsergänzungsmittel die Dopingprobe beeinflusst haben können. Ich arbeite mit Hochdruck daran, das Ergebnis der Dopingprobe und die Hintergründe aufzuklären und setze alles daran, meinen Weltmeistertitel zu verteidigen. Ich gebe nicht auf und halte euch auf dem Laufenden. Euer Manuel Charr #teamdiamondboy #vonderstrassezudensternen Ein Beitrag geteilt von DIAMONDBOY (@manuelcharr) am Sep 20, 2018 um 7:14 PDT

„Ich war immer und bei allen Kämpfen clean und kann mir deshalb im Moment definitiv nicht erklären, wie dieses Ergebnis zustande kommt“, so Charr weiter. Die Frage scheint berechtigt. Schließlich hat der Schwergewichtler in den vergangenen 13 Jahren 35 Kämpfe bestritten – darunter zehn Meisterschaften. Einen positiven Befund gab es bislang nicht.

Vada statt Wada

Das könnte daran liegen, dass er immer „clean“ war, wie er schreibt. Oder aber daran, dass er bislang nicht richtig getestet wurde. Denn ein halbwegs koordiniertes und striktes Doping-Kontrollsystem gibt es im Boxsport erst seit wenigen Jahren. Ein Grund dafür ist die traditionell strikte Trennung von Amateuren und Profis. Den olympischen Richtlinien – auch und gerade im Antidopingkampf – unterliegen nur Amateurboxer.

Bei den Profis hat sich lange kein äquivalentes System durchgesetzt, weil es keine zentrale Kontrollinstanz gibt. Anstatt eines einzelnen Weltverbands, dessen Regeln sich alle Sportler unterwerfen, entwickelten sich im Verlauf der vergangenen 50 Jahre vier große Verbände, die in etwa die gleiche Bedeutung, aber unterschiedliche Regularien haben und in direkter Konkurrenz zueinander stehen. Einen Austausch über einheitliche Dopingkontrollen gab es nie.

Besser wird es erst, seit die Voluntary Anti-Doping Association (Vada) an Bedeutung gewinnt. Die 2012 von Ringärzten gegründete private Organisation hat ihren Sitz im Box-Mekka Las Vegas. Das ist kein Zufall. Als Alternative zur 1999 auf Initiative des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) ins Leben gerufenen Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) konzentriert sich die Vada vor allem auf den von der olympischen Familie ausgeschlossenen, aber sehr lukrativen Profikampfsport.

Auf ihrer Homepage bezeichnet sich die Vada als „unabhängige Organisation für effektive Anti-Doping-Programme im Boxen und Mixed Martial Arts“ und rühmt sich, die modernsten Analyseverfahren einzusetzen. „Als wir angefangen haben, waren die archaischen Kontrollsysteme eins der größten Probleme“, sagt die Vada-Vorsitzende Dr. Margaret Goodman. „Die Dopingmethoden werden ständig weiterentwickelt. Genau das müssen wir als Tester auch tun.“ Dazu arbeitet das Unternehmen laut eigener Aussage mit den besten Laboren zusammen.

Viele positive Befunde, kaum Konsequenzen

Mit Erfolg: Die Vada hat in den vergangenen Jahren zahlreiche namhafte Boxer überführt. Fast wöchentlich kommen neue Fälle hinzu. Unmittelbar vor Charr erwischte es den ungeschlagenen WBC-Champion im Supermittelgewicht David Benavidez. Der russische Ex-Weltmeister Alexander Powetkin wurde in den vergangenen drei Jahren gleich dreimal positiv getestet. Bei dem Mexikaner Saúl „Canelo“ Álvarez, seit dem Rücktritt von Floyd Mayweather Jr. der vielleicht größte Star der Boxwelt, wurde allein in diesem Jahr in zwei Proben das verbotene Asthmamittel Clenbuterol nachgewiesen. Es sind nur zwei von unzähligen Beispielen.

Saúl „Canelo“ Álvarez

Wirklich geschadet haben die positiven Tests weder Powetkin noch Álvarez. Der Russe kämpft an diesem Wochenende gegen Klitschko-Bezwinger Anthony Joshua um drei Schwergewichts-Titel, der Mexikaner krönte sich gerade mit einem Sieg gegen den zuvor ungeschlagenen Gennadi Golowkin erneut zum Weltmeister – keine sechs Monate, nachdem er des Dopings überführt worden war.

Die Kontrollen sind besser geworden, ernsthafte Konsequenzen hat das in vielen Fällen aber nicht. Warum? Weil Powetkin, Álvarez und andere ähnlich prominente Dopingsünder zu wertvoll für die Branche und alle Beteiligten sind. Powektins Promoter Andrey Ryabinsky ersteigerte 2013 den WM-Kampf zwischen seinem Schützling und Wladimir Klitschko für mehr als 23 Millionen Dollar. Der Kampf zwischen Álvarez und Golowkin spielte einen dreistelligen Millionenbetrag ein.

Da die Verbände prozentual an den Kampfbörsen beteiligt sind, haben sie kein Interesse, Boxer zu bestrafen, von denen sie sich hohe Einnahmen versprechen. Charrs Problem: Für ihn gilt das nicht. Sein WM-Kampf gegen Oquendo brachte bei einer Versteigerung im Februar nicht mal das eigentlich festgeschriebene Mindestgebot von einer Million Dollar ein.

Wird Charr der nächste Sturm?

Der deutsche Boxmarkt, vor 15 Jahren noch einer der lukrativsten und bedeutendsten der Welt, liegt am Boden. Die großen TV-Sender haben sich zurückgezogen, dadurch fehlen den Veranstaltern Lizenzeinnahmen in Millionenhöhe, die benötigt werden, um Titelkämpfe zu veranstalten. Entsprechend winkt bei Charr-Kämpfen kein großes Geld. Zudem hat er keinen starken Promoter, der im Stile eines Don King beim Weltverband Lobbyarbeit für ihn machen könnte.

Deswegen könnte Charr eine härtere Strafe drohen als anderen überführten Boxern. Der WM-Titel wird ihm mit großer Wahrscheinlichkeit aberkannt, möglich wäre zudem ein Jahr Sperre. Dass er danach sofort wieder um die Weltmeisterschaft boxen darf, muss zumindest bezweifelt werden. Schließlich bekam er die Chance zum Titelgewinn im November 2017 gegen den Russen Alexander Ustinow ohnehin nur dank eines glücklichen Zufalls.

Aus der deutschen Öffentlichkeit darf Charr auch keine Rückendeckung erwarten. Er ist seit Jahren umstritten. Nachdem er gegen Ustinow gewonnen hatte, war das einzige Thema, ob er denn nun deutscher Staatsbürger ist oder nicht. Der Nochweltmeister könnte zum nächsten Felix Sturm werden, der sich komplett aus dem Boxsport zurückgezogen hat, nachdem er des Dopings überführt worden war.

Bevor es so weit ist, gilt es aber zunächst, die Öffnung der B-Probe abzuwarten. Um seine Unschuld zu beweisen, hat sich Charr laut eigener Aussage, „erneut einer unabhängigen freiwilligen Dopingprobe unterzogen“. Dass er dadurch den vorangegangenen positiven Befund nicht entkräften kann, hat ihm anscheinend niemand gesagt.

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