Streit mit Europa Wem Italien alles Geld schuldet

Italien will neue Milliardenschulden machen. Die Regierung in Rom ist darauf angewiesen, dass heimische Banken und Fonds ihr das Geld leihen – denn ausländische Investoren haben sich zunehmend zurückgezogen.

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Mailänder Bankenviertel

Samstag, 17.11.2018  
13:33 Uhr

Den Kapitalmärkten vertraut Italiens linkspopulistischer Vizepremier mehr als der Europäischen Union. Brüssel wolle seine Regierung stürzen sehen, behauptete Luigi Di Maio, als der Streit mit der EU-Kommission über Italiens Haushaltsdefizit hochkochte. Doch die Investoren an den globalen Staatsanleihemärkten meinten es besser mit Italien, sagte Di Maio: „Ich bin sicher, dass wir den Märkten erklären können, wie gut das Manöver ist.“

Italiens Gläubiger werden darüber richten, ob das „Manöver“ gelingt. La manovra – so nennt die linksrechtspopulistische Regierung ihren Schuldenkurs. Um ihre Wahlkampfversprechen wie ein Bürgergeld oder die Rückkehr der Frühverrentung einzulösen, will sie ihr Haushaltsdefizit auf 2,4 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung steigern – das ist drei Mal so viel wie ihre Vorgängerregierung versprochen hatte.

Italienischer Vizepremier Luigi Di Maio

Das bedeutet Ärger mit der EU-Kommission, die Italien mit einem Defizitverfahren droht (worum es genau geht, lesen Sie hier). Und obendrauf muss das hochverschuldete Land weitere rund 27 Milliarden Euro an den Kapitalmärkten auftreiben – so viel sollen die neuen Wohltaten kosten.

Italiens Schuldenberg wächst

Die neuen Schulden kommen zusätzlich zu den fast zwei Billionen Euro, die sich das Land schon gepumpt hat. Das verunsichert die Anleger. Seit der Regierungsübernahme von Di Maios Fünf-Sterne-Bewegung und der rechten Lega sind die Risikoaufschläge stark gestiegen, die Investoren dafür verlangen, dass sie italienische Staatsanleihen kaufen.

Aber immerhin sprechen die meisten Gläubiger dieselbe Sprache wie Luigi di Maio: Italienisch. Denn heute sind zwei Drittel der italienischen Staatsanleihen in heimischen Händen, wie Daten des Brüsseler Think Tanks Bruegel zeigen. Das dürfte der Regierung in Rom nutzen. „Heimische Investoren sind ein stabilisierendes Element“, sagt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. Sie stießen ihre Papiere oft nicht so schnell ab, „gerade dann, wenn es Institutionen sind, die an staatlicher Regulierung hängen.“ Dazu zählen etwa Banken, Versicherungen oder Fonds, die auf das Wohlwollen der Regulierer angewiesen sind.

Dass Italiens Schulden vor allem in den Händen einheimischer Finanzunternehmen liegen, hat auch mit der Eurokrise zu tun. Als diese begann, stießen viele ausländische Investoren ihre Anleihen ab, weil sie fürchteten, ihr Geld nicht zurückzukriegen. Die Risikoprämien schnellten nach oben, und die Zinsen drohten unbezahlbar hoch zu werden.

Besaßen ausländische Investoren Anfang 2010 noch fast 50 Prozent der italienischen Staatsanleihen, fiel ihr Anteil innerhalb von nur zwei Jahren auf 36 Prozent. Nachdem sich die Lage durch das Hilfsversprechen der Europäischen Zentralbank erst mal beruhigt hatte, stieg die Ausländerquote wieder ein bisschen. Doch mit dem Antritt der Populistenregierung und deren Schuldenplänen ist sie abermals eingebrochen – auf nunmehr 33,7 Prozent. Das ist der niedrigste Wert in diesem Jahrtausend.

Eingesprungen sind heimische Investoren, vor allem aus der Finanzindustrie. Und das nicht immer freiwillig.

Der wichtigste Gläubiger des italienischen Staates ist heute die italienische Notenbank. Die Banca d’Italia hielt nach neusten Daten Ende Juni 2018 Forderungen im Wert von 380 Milliarden Euro – fast ein Fünftel aller Schuldverschreibungen. Anfang 2015 waren es erst 108 Milliarden Euro, dann begann das von der Europäischen Zentralbank gelenkte, umstrittene Anleihekaufprogramm. Dabei erwerben die Nationalbanken der Mitgliedstaaten im großen Stil Schuldverschreibungen ihres Landes auf dem Kapitalmarkt.

Die größte Gläubigergruppe sind trotzdem noch Italiens private Geldhäuser: Großbanken wie Unicredit, Intesa Sanpaolo oder Monte dei Paschi di Siena, aber auch Versicherer, Fonds und andere institutionelle Investoren. Sie halten zusammen mehr als 40 Prozent der italienischen Staatsschuld. Was zu einer problematischen Verquickung führt: „Die heimischen Banken und der Staat haben gemeinsame Interessen“, sagt Jan Mazza vom Think Tank Bruegel. Die überschuldete Monte dei Paschi etwa wurde im vergangenen Jahr von der Regierung in Rom gerettet.

Doch auch umgekehrt sind Italiens Banken an das Schicksal des Staats gekettet: Eine neue Staatsschuldenkrise würde sie in ihrer Existenz bedrohen. Sie müssten den Wert der Anleihen in ihren Bilanzen teilweise abschreiben, wenn die Risikoprämien hochschießen und die Kurse der Papiere fallen. Daher ist kaum zu erwarten, dass sie jetzt Anleihen abstoßen, Unruhe schüren – und obendrein den Zorn der Regierung auf sich ziehen. Umgekehrt kann sich auch der Staat keine Bankenkrise leisten.

Das japanische Modell

Dass dieses Modell durchaus eine lange Zeit funktionieren kann, zeigt das Beispiel Japan. Die Staatsverschuldung ist dort mehr als doppelt so hoch wie die Wirtschaftsleistung; in Italien liegt sie derzeit nur beim 1,3-fachen. Trotzdem schafft es die Regierung in Tokio stets mühelos, sich frisches Geld zu borgen, zu Zinsen nahe des Nullpunkts. Denn rund 90 Prozent der Schulden liegen in den Händen einheimischer Gläubiger. Und „die kaufen, kaufen, kaufen“, sagt Commerzbank-Ökonom Krämer.

Auch Italiens Schuldenlast sieht vergleichsweise gut tragbar aus. Die staatliche Schuldenagentur hat in den vergangenen Jahren vorgesorgt – und nach dem Abflauen der Eurokrise Abermilliarden Euro über langlaufende Staatsanleihen beschafft. Sogar eine Schuldverschreibung mit 50-jähriger Laufzeit brachte sie 2016 mühelos unter die Gläubiger: fünf Milliarden Euro für nur 2,8 Prozent Zinsen pro Jahr.

Die lange Zeit günstige Finanzierung rührte auch daher, dass Deutschland oder Frankreich den Investoren noch weniger Rendite boten – und noch immer bieten. Zudem stand durch das EZB-Kaufprogramm ein Großabnehmer bereit. Laut Daten des Parlaments in Rom kauften die Banca d’Italia und die EZB in den vergangenen beiden Jahren mehr als 40 Prozent der neu ausgegebenen Langfristanleihen am Markt auf.

Das Ergebnis: Italiens Zinskosten sind seit 2012 von 64 auf 53 Milliarden Euro pro Jahr gesunken. Und der Druck auf die Regierung, frisches Geld besorgen zu müssen, um die Altschulden tilgen zu können, ist geringer geworden. 2019 muss Italien nach Berechnungen der Commerzbank gut 250 Milliarden Euro umschulden; verglichen mit früheren Jahren ist das nicht außergewöhnlich viel.

Allerdings kommen die Milliarden für das neue Defizit obendrauf. Und die Notenbanken fallen demnächst als Käufer aus; schließlich hat die EZB angekündigt, das Anleihekaufprogramm einzustellen. Umso wichtiger wird es für die Regierenden in Rom, dass die lokalen Anleger sich eindecken.

„Wenn sich die ausländischen Investoren sich weiter zurückziehen, wird die Frage interessant, ob vermögende Italiener bereit sind, diese Regierung zu finanzieren“, sagt Bruegel-Stratege Mazza. Die Regierung weiß, wie wichtig das wird: Innenminister Matteo Salvini hat bereits Steuererleichterungen für Italiener ins Spiel gebracht, die in heimische Staatsanleihen investieren.

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