AfD und Linke Wahlkampf mit dem Treuhand-Ausschuss

Politische Antipoden mit dem gleichen Ziel: Der rechte Flügel der AfD und die Linkspartei wollen einen Treuhand-Untersuchungsausschuss im Bundestag. Beiden dürfte es vor allem um Wählerstimmen im Osten gehen.

Bernd von Jutrczenka/DPA
Jürgen Pohl (AfD) und Bodo Ramelow (Linke) am 10. Mai im Bundestag

Donnerstag, 16.05.2019  
20:11 Uhr

Sie haben nichts miteinander gemein, weder politisch noch menschlich. Der eine ist der prominenteste Rechtsaußen der AfD, der andere Fraktionschef der Linken im Bundestag. Und doch verfolgen sie in diesem Fall dasselbe Ziel.

„Die Machenschaften dieser Anstalt gehören rücksichtslos aufgeklärt“, sagte der Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke kürzlich auf einer Kundgebung in Erfurt. Und Linken-Vertreter Dietmar Bartsch erklärte jüngst in Berlin: „Das Treuhand-Trauma ist nicht überwunden“, es sei eine „klaffende Wunde bei vielen Ostdeutschen“.

Schriftzug „Die Treuhand informiert“ auf einem alten Pavillon in Leipzig

Beide, Höcke und Bartsch, plädieren für einen Untersuchungsausschuss im Bundestag, der die Arbeit der Treuhandanstalt bei der Privatisierung der DDR-Staatswirtschaft aufarbeitet. Das deckungsgleiche Anliegen der politischen Rivalen folgt bei näherer Betrachtung einer strategischen Logik: AfD und Linke rangeln im Osten oftmals um dieselben Wählergruppen – gerade jetzt, wenige Monate vor den Landtagswahlen im Spätsommer in Brandenburg und Sachsen und Ende Oktober in Thüringen.

Dass dabei höchst umstritten ist, welche neuen Erkenntnisse ein Ausschuss bringen soll und kann, ist zweitrangig. Tatsächlich gab es bereits zwei parlamentarische Untersuchungsgremien im Bundestag, die sich mit der Thematik befassten: 1993/94 zur „Treuhandanstalt“ und von 1995 bis 1998 zum „DDR-Vermögen“.

Plan in der AfD umstritten

Höcke gehört nicht dem Bundestag an. Hinter den Kulissen der AfD-Bundestagsfraktion sucht daher Jürgen Pohl, der ebenfalls aus dem Thüringer Landesverband stammt und wie Höcke dem rechten „Flügel“ in der AfD angehört, Unterstützer für einen Treuhand-Ausschuss. Kontakte zur Linken, erzählt der Anwalt, gebe es in der Sache nicht. Das ist kaum verwunderlich: Bartsch hatte angekündigt, über einen Ausschuss mit den anderen Fraktionsführungen zu sprechen, die AfD nannte er explizit nicht.

Pohl hat längst andere Pläne. Wenn die Linke nicht die Hilfe der AfD wolle, zeige sie nur, dass es ihr mit der Aufarbeitung der „Treuhand-Machenschaften“ nicht ernst sei. „Wir würden die Ablehnung der Linkspartei im Wahlkampf thematisieren. Ich bin gespannt, wem das am Ende nützt“, sagte er dem SPIEGEL.

Alexander Gauland, Jürgen Pohl und Björn Höcke am 1. Mai 2019 in Erfurt

AfD-Bundestagsfraktionschef Alexander Gauland hatte am 1. Mai mit Höcke und Pohl in Erfurt vor rund 800 AfD-Anhängern gesprochen. Jubel kam auf, als die Thüringer AfD-Politiker sich für einen Treuhand-Ausschuss aussprachen. Gauland registrierte das aufmerksam. Er hat dem Vorhaben seinen Segen gegeben, einen Ausschuss halte er für richtig. „Die Folgen der Treuhandarbeit bleiben im Osten ein Trauma. Es sind damals zu viele Fehler passiert, als dass man nicht noch einmal darüber reden sollte und Verantwortliche vorlädt“, sagte der AfD-Chef dem SPIEGEL.

Doch trotz Gaulands Plazet bleibt der Plan in der Partei umstritten, vor allem der Wirtschaftsflügel sträubt sich. Frank Hansel, Parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, sagte: „Das geht in die falsche Richtung“. Er widerspreche Gauland daher „entschieden“, betonte Hansel, der zur „Alternativen Mitte“ in der AfD zählt, dem Gegenpart zum rechten „Flügel“ in der Partei.

Wer sich am „bequemen Narrativ des Treuhand-Bashing“ der Linkspartei beteilige, um mit einem „Betroffenheitspopulismus“ Stimmen im Osten zu erhalten, versündige sich am „Gebot der historischen Redlichkeit“, ja, begehe einen „Kardinalfehler“. Der Linkspartei gehe es darum, die „Eigentumsökonomie zu diskreditieren“, die die Treuhandanstalt nach dem gescheiterten Sozialismus im Auftrag der Bundesregierung wieder zu errichten hatte, schreibt Hansel auf seiner Facebook-Seite.

Pohl wiederum konterte: „Den Kritikern in der AfD, die gegen einen Untersuchungsausschuss sind, kann ich nur sagen: Die Ostdeutschen haben es verdient, in einem solchen Gremium endlich die Wahrheit zu erfahren.“ Es wäre daher fahrlässig, würde die AfD diese Chance nicht ergreifen, sagte er.

AfD und Linke brauchen Stimmen anderer Fraktionen

Allerdings: Derzeit ist höchst ungewiss, ob ein Ausschuss überhaupt zustande kommt. CDU, CSU sowie SPD lehnen ihn ab. Linke und AfD wiederum verfügen zusammen nicht über das Mindestquorum – 25 Prozent der Abgeordneten des Bundestags – für die Einsetzung eines Ausschusses. Sie bräuchten dazu FDP oder Grüne.

Die Liberalen winken ab. „AfD und Linke wollen keine Aufarbeitung von Erfolgen und Fehlern, sie wollen politisch motivierte Geschichtsklitterung“, sagte FDP-Fraktionsgeschäftsführer Marco Buschmann dem SPIEGEL. Dafür „geben wir unsere Stimmen nicht her“.

Treuhandanstalt im ehemaligen Haus der Ministerien in der Leipziger Straße in Berlin (1991)

Die Grünen wiederum sind zurückhaltend. Ob ein Untersuchungsausschuss das richtige Instrument sei, um damit Vergangenheitsbewältigung zu betreiben, „werden die Gespräche ergeben, die wir miteinander führen werden“, sagte Grünenfraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Das klingt eher skeptisch.

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