Streit um militärische Zusammenarbeit EU weist Drohungen der USA kühl zurück

Die USA drohen der EU mit Konsequenzen, sollte sie ihre Pläne für den Europäischen Verteidigungsfonds nicht ändern. Nach SPIEGEL-Informationen wird Brüssel die Forderungen aus Washington rundheraus ablehnen.

OLIVIER HOSLET/EPA-EFE/REX
EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini: Absage an Washington

Donnerstag, 16.05.2019  
17:23 Uhr

Die Europäische Union will Kritik aus den USA an den Plänen für den EU-Verteidigungsfonds und eine engere militärische Zusammenarbeit zwischen den EU-Staaten zurückweisen.

In einem Antwortbrief, der noch am Donnerstag nach Washington geschickt werden sollte, lehnt die EU die Forderungen der USA vollumfänglich ab. Das Schreiben liegt dem SPIEGEL vor.

Die beiden US-Rüstungs-Staatssekretärinnen Ellen Lord und Andrea Thompson hatten kürzlich in einem Brief an die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini heftige Kritik an den Militärvorhaben der EU geübt. Dabei ging es um den 13 Milliarden Euro schweren Europäischen Verteidigungsfonds (EDF), mit dem die EU unter anderem die Entwicklung eigener Waffensysteme fördern will, und die sogenannte Ständige Strukturierte Zusammenarbeit (SSZ), besser bekannt unter dem englischsprachigen Kürzel Pesco. Sie sieht eine Reihe militärischer Projekte vor, bei denen einzelne EU-Staaten enger als bisher kooperieren.

Der US-Regierung gefällt das gar nicht. Sie stört sich insbesondere daran, dass Nicht-EU-Staaten nur eingeschränkt Zugang zu den Projekten erhalten sollen. In ihrem Brief fordern Lord und Thompson, dass die EU ihre Pläne ändert. Ansonsten, so drohten die beiden Staatssekretärinnen, könnten die USA ihrerseits den Zugang europäischer Firmen zum US-Rüstungsmarkt beschränken.

„Unverschämte“ Forderungen

In Brüssel sorgten Ton und Inhalt des Schreibens für erhebliche Irritationen. Diplomaten sprechen hinter vorgehaltener Hand von „unverschämten“ Forderungen und einer anmaßenden Haltung der US-Regierung.

Die offizielle Antwort der EU fällt dagegen betont sachlich aus: Man wolle „Missverständnisse“ ausräumen, heißt es in dem vierseitigen Schreiben an Lord und Thompson, das keinerlei Zugeständnisse an die US-Regierung enthält. Der Brief ist zudem nicht von Mogherini selbst unterschrieben, sondern von Pedro Serrano, einem stellvertretenden Generalsekretär des Auswärtigen Dienstes der EU, und Timo Pesonen, dem Binnenmarkt-Generaldirektor der EU-Kommission.

EDF und Pesco stellten keinesfalls eine Konkurrenz zur Nato dar, wie von den USA befürchtet, heißt es in dem Schreiben. Vielmehr stärkten sie die Investitionen der EU-Staaten in die gemeinsame Verteidigung – auch damit diese „ihre Verpflichtungen gegenüber der Nato erfüllen können“. US-Präsident Donald Trump hatte immer wieder massiv gefordert, dass die EU-Staaten, allen voran Deutschland, ihre Verteidigungsausgaben erhöhen und mehr zur Nato beitragen.

EU wird Wünsche der USA nicht berücksichtigen

An den Bestimmungen für die Teilnahme an Pesco-Projekten werde die EU nichts ändern – daran lässt der Brief keinen Zweifel aufkommen. Der Rat der EU-Staaten wende die Bedingungen dafür „objektiv“ und „transparent“ an, heißt es. Die geplanten Rüstungsprojekte seien auch durchaus offen für amerikanische Unternehmen. Die Regeln dafür habe die EU gemeinsam beschlossen. Sie seien „objektiv und sollen berechtigte Sicherheitsinteressen beschützen“ – es ist ein Satz, der zeigt, wie tief das transatlantische Misstrauen inzwischen reicht.

Zudem verlangten die USA von EU-Firmen bei der Teilnahme an Rüstungsprojekten die Erfüllung ähnlicher Bedingungen, heißt es in dem Brief. Sie führten dazu, dass europäische Unternehmen nur in „extrem begrenztem“ Umfang an US-Rüstungsprojekten teilnehmen könnten. Nur 0,17 Prozent der amerikanischen Forschungs- und Entwicklungsausgaben im Verteidigungssektor entfielen auf EU-Unternehmen.

Amerikanische Unternehmen genössen einen viel offeneren Zugang zum EU-Markt als europäischen Firmen in den USA, heißt es aus Kommissions- und Diplomatenkreisen. An diesem Umstand würden weder EDF noch Pesco etwas ändern. Es gebe in Europa auch keinen „Buy European Act“, heißt es im Brüsseler Antwortbrief in Anspielung auf den „Buy American Act“, der die US-Regierung seit 1933 verpflichtet, amerikanische Anbieter zu bevorzugen.

„Amerikaner wollen den Anfängen wehren“

Änderungen an den Verträgen für EDF und Pesco seien in der EU schon politisch nicht durchzusetzen, heißt es in Brüsseler Diplomatenkreisen. Dem Vernehmen nach drängt nicht nur Frankreich darauf, beispielsweise die Teilnahme von Drittstaaten an Pesco-Projekten nur durch einstimmigen Beschluss der EU-Länder zu gestatten. Auch Griechenland und Zypern sollen darauf bestehen – aus Sorge davor, dass sonst die Türkei an den EU-Projekten teilnehmen könnte.

In Brüssel fürchtet man auch, dass der ganze Sinn der neuen Militärprojekte in Frage gestellt wäre, würde man den Forderungen der USA nachgeben. So soll der EDF erklärtermaßen die „strategische Autonomie“ der EU stärken, ihr mehr Gewicht auf der internationalen Bühne verleihen sowie militärisches Know-how in der EU halten. Eine vollständige Öffnung für Drittstaaten würde dies nach Ansicht von Diplomaten ad absurdum führen.

Mit Befremden wurde deshalb in Brüssel die Forderung von Lord und Thompson registriert, die an den EU-Projekten beteiligten Konsortien sollten selbst entscheiden, wer mitmacht – und zwar ausschließlich auf Basis von „Expertise, Fähigkeiten und Preis-Leistungs-Verhältnis“. Dabei spielten gerade in den USA oft politische Fragen eine Rolle bei der Auftragsvergabe, betonen EU-Beamte. Das sei etwa 2011 der Fall gewesen, als Airbus den jahrelangen Wettstreit um einen 35 Milliarden Dollar schweren Tankflugzeugauftrag gegen Boeing verlor.

Europäische Diplomaten hegen den Verdacht, dass die US-Regierung in EDF und Pesco die Anfänge einer Zusammenarbeit sieht, die am Ende zu einem weiteren Unternehmen wie Airbus führen könnte – das binnen weniger Jahre zum Hauptkonkurrenten des US-Konzerns Boeing heranwuchs. „Die Amerikaner“, sagt ein Diplomat, „wollen offenbar den Anfängen wehren.“

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