EU-Politiker Bernd Posselt „Mancher Nationalstaat glaubt, er sei ein Wolf – dabei ist er ein Dackel“

Bernd Posselt nimmt seit Jahren an Sitzungen des EU-Parlaments teil, obwohl er kein Mandat mehr hat. Hier erklärt der CSU-Politiker, warum er „bis zum letzten Schnaufer“ gegen Nationalisten und für ein vereintes Europa kämpfen will.

Karl-Josef Hildenbrand/ DPA
Bernd Posselt

Dienstag, 21.05.2019  
15:09 Uhr

Europawahl 2019

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20 Jahre saß Bernd Posselt als Abgeordneter im EU-Parlament. Bei der Wahl 2014 verpasste er den Wiedereinzug: Doch Posselt arbeitete einfach so weiter, als sei er noch Abgeordneter.

Er besuchte als Zuschauer die Plenumsberatungen in Straßburg, nahm an Sitzungen der CSU-Abgeordneten teil, warb bei jeder Gelegenheit für Europa.

Bei der anstehenden Europawahl hofft er auf den „Manfred-Weber-Effekt“. Sein Parteifreund ist Spitzenkandidat der europäischen Konservativen, er will Kommissionspräsident werden. Das soll Posselt helfen, wieder ins Parlament zu kommen. Als leidenschaftlicher Europäer hat er sich dem Kampf gegen den Nationalismus verschrieben, er setzt auf die „Vereinten Nationen von Europa“, wie er sagt.

Bekannt wurde er zunächst als Sprecher Otto von Habsburgs, eines Sohnes des letzten österreichischen Kaisers. 1975 gründete er die Paneuropa-Jugend Deutschland, einen Ableger der ältesten noch bestehenden Einigungsbewegung in Europa. Die Liste seiner Ämter und Funktionen ist lang, unter anderem ist Posselt Bundesvorsitzender der Sudetendeutschen Landsmannschaft.

Im Interview mit SPIEGEL ONLINE erklärt Posselt, was ihn bei seinem Einsatz für Europa antreibt, warum die EU am Scheideweg steht – und warum er die Bezeichnung Rechtspopulisten für eine Verharmlosung hält.

SPIEGEL ONLINE: Herr Posselt, es heißt, bei guter Laune würden Sie gern in die Badewanne steigen und singen. Wie häufig hatten Sie nach Ihrem Ausscheiden aus dem EU-Parlament 2014 Gelegenheit dazu?

Bernd Posselt: Ich singe weiterhin in der Badewanne ausgesprochen gerne. Ich bin der Meinung, dass viel zu wenig gesungen wird. Wenn alle mehr singen würden, würden die Menschen glücklicher zusammenleben.

SPIEGEL ONLINE: Von 1994 bis 2014 saßen Sie als Abgeordneter im EU-Parlament, aber auch nach Ihrem Aus sind Sie in den Sitzungswochen angereist, nehmen bis heute als Gast teil. Warum?

Posselt: Seit meinem 16. Lebensjahr setze ich mich für Europa ein. Ob nun im Parlament oder nicht – ich werde mich immer für die EU einsetzen, bis zum letzten Schnaufer. Das hat auch etwas mit meiner Herkunft zu tun: Ich stamme aus einer Vertriebenenfamilie, meine Eltern haben mich anti-nationalistisch erzogen. Und das lebe ich mit dem Einsatz für die EU. In diesen Tagen umso mehr. Denn der Nationalismus bedroht uns massiv, die EU steht an einer Weggabelung: Entweder ihr gelingt der Sprung zu einer übernationalen Föderation, zu so etwas wie den Vereinigten Staaten von Europa, dafür stehe ich. Oder es kommt zu einer gefährlichen Rückwärtsentwicklung.

SPIEGEL ONLINE: Wie finanzieren Sie Ihr Engagement?

Posselt: Von meinem Ruhegehalt. In der Plenarwoche bin ich in Straßburg, also eine Woche im Monat. Alles andere wäre mir zu teuer. Alle Ex-Abgeordneten können zudem ein Büro in Straßburg nutzen. Ich war seit 1979 bei jeder Plenarwoche des Europäischen Parlaments dabei. Damit bin ich wahrscheinlich der letzte Mensch, der das von sich behaupten kann. Ohne das Engagement würde ich mich aber sowieso zu Tode langweilen.

SPIEGEL ONLINE: Sie stehen nun auf Platz 7 der CSU-Liste für die EU-Wahl. Warum sollte es dieses Mal klappen?

Posselt: Die Chancen sind sehr gut. Ich glaube an einen Effekt durch unseren Spitzenkandidaten Manfred Weber und unsere proeuropäische Ausrichtung.

SPIEGEL ONLINE: Weber will EU-Kommissionspräsident werden, vor fünf Jahren schlug die CSU dagegen noch EU-kritische Töne an. Wie passt das zusammen?

Posselt: Manfred Weber und auch ich haben nie EU-kritische Töne angeschlagen.

SPIEGEL ONLINE: Aber der damalige CSU-Chef Horst Seehofer, oder nicht?

Posselt: Horst Seehofer hat versucht, verschiedene Flügel unserer Partei zu integrieren. Mit der Folge, dass unsere Linie für Europa nicht erkennbar war. Jetzt ist sie das wieder.

SPIEGEL ONLINE: In vielen Ländern Europas wird bei der Wahl ein Rechtsruck erwartet. Fürchten Sie den wachsenden Einfluss der Rechtspopulisten im Parlament?

Posselt: Die Bezeichnung „Rechtspopulisten“ ist eine Verharmlosung. Es gibt Populisten, ja. Das sind unverantwortliche Schwätzer, die reden und fordern, aber nicht handeln. Und dann gibt es Rechts- und Linksextremisten, von denen gibt es derzeit sehr viele, und beide Gruppen denken nationalistisch. Ja, die koalieren sogar miteinander, so wie in Italien oder Griechenland. Man sagt ja häufig, es sei unlogisch, dass etwa die AfD ins Europaparlament will – weil sie dieses Parlament doch abschaffen und zerstören will. Ich hingegen empfinde den AfD-Wahlkampf für Sitze im Europarlament als absolut logisch. Denn der Dieb will ja auch ins Juweliergeschäft, um es auszurauben.

SPIEGEL ONLINE: Was bedeutet der Skandal um die rechtspopulistische FPÖ in Österreich für Parteien mit einer ähnlichen Ausrichtung in Europa?

Posselt: Die FPÖ, die heute eindeutig einen rechtsextremen Kern hat und an der Leine Moskaus hängt, wurde wegen ihrer jahrzehntelangen Etabliertheit von den neueren nationalpopulistischen Parteien gerne als Paradepferd vorgeführt. Jetzt ist sie auch für eine breitere Öffentlichkeit demaskiert, was dem ganzen nationalistischen und anti-europäischen Lager zumindest mittelfristig schwer schaden könnte.

SPIEGEL ONLINE: Ist das auch eine Warnung für bürgerliche Parteien in anderen Ländern, die mit dem Gedanken Spielen, Bündnisse mit Rechtspopulisten einzugehen?

Posselt: Ich habe immer die Ansicht vertreten, dass niemand der europäischen Christdemokratie mit ihrer pro-europäischen DNA ferner steht als nationalistische Gruppierungen, seien sie links oder rechts gefärbt. Hoffentlich erkennt dies nunmehr jeder.

SPIEGEL ONLINE: Insbesondere die Flüchtlingskrise hat den rechten Parteien Zulauf beschert. Warum gelingt es in Europa nicht, ein funktionierendes System der Verteilung zu entwickeln?

Posselt: Das Quotensystem wird eines Tages kommen. 1998 war die Bundesregierung noch dagegen, weil sie fürchtete, davon Nachteile zu haben. Heute will sie es, aber andere wollen es nicht mehr. Es ist ein langer Weg, aber die Regelung wird gelingen.

SPIEGEL ONLINE: Kein anderes Thema beschäftigte die EU zuletzt so intensiv wie der Brexit, die Briten nehmen nun doch an der Wahl teil. Im Parlament werden dann Abgeordnete sitzen, die da gar nicht hinwollen. Was empfinden Sie dabei?

Posselt: Die Verbindung zwischen der EU und Großbritannien war von Anfang an eine Ehe unter falschen Voraussetzungen. Die Mehrheit der Briten wollte nie ein politisch integriertes Europa, sondern einen großen Markt. Und auf dem Kontinent wollten wir eben genau diese Integration. Deshalb sage ich ganz offen: Eine maßgeschneiderte, privilegierte Partnerschaft zwischen Europa und Großbritannien ist besser als eine Vollmitgliedschaft.

SPIEGEL ONLINE: Fürchten Sie, dass andere Ländern den Briten folgen könnten, etwa Italien?

Posselt: Nein. Italien ist Gründungsmitglied, und derzeit regieren da ein paar Extremisten und Populisten. Am Ende verhält sich Italien zur EU wie mancher Ehemann: Er schimpft über seine Frau, würde sie aber nicht verlassen.

SPIEGEL ONLINE: Wie soll sich die EU gegen die USA, China und Russland künftig behaupten?

Posselt: Wir können nur als supranationale Einheit, als europäischer Bund mit gemeinsamem Außenminister und gemeinsamer Verteidigungs- und Sicherheitspolitik bestehen. Ich kann diejenigen absolut nicht verstehen, die zurück zum Nationalstaat wollen. Die Europäer stellen sieben Prozent der Weltbevölkerung – mit sinkender Tendenz. Um uns gegen die großen Mächte behaupten zu können, müssen wir uns zusammenschließen. Mancher Nationalstaat glaubt, er sei ein Wolf. Dabei ist er ein Dackel. Ein Dackel glaubt auch, er sei groß und gefährlich, und geht auf jede Dogge los. So wie die Nationalisten.

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