Jagd auf Menschen mit Albinismus in Malawi „Den Gräueltaten ein Ende setzen“

Menschen mit Albinismus werden in Zentralafrika ausgegrenzt, häufig sogar verfolgt und ermordet. Der Anwalt Alex Machila ist selbst von der Pigmentstörung betroffen – und kandidiert für einen Platz im Parlament von Malawi.

Alex Machila

Dienstag, 21.05.2019  
18:01 Uhr

Globale Gesellschaft

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Sie leben in Todesangst – wegen ihres Aussehens: Menschen mit Albinismus werden in Malawi seit jeher stigmatisiert. Neben der gesellschaftlichen Ausgrenzung stieg in den vergangenen Jahren auch die Zahl der Verbrechen.

Betroffene werden verfolgt, entführt und getötet – ein Aberglauben führt dazu, dass ihre Körperteile als wertvoll erachtet werden. Und dieser Handel mit Knochen, aber auch Haaren, Urin und Blut von Menschen mit Albinismus ist in den vergangenen Jahren zu einem wachsenden Geschäft in Zentralafrika geworden.

Menschen mit Albinismus fehlt aufgrund eines Gendefekts der Farbstoff Melanin. Ihre Haut und ihr Haar sind deshalb sehr hell. Betroffene haben ein erhöhtes Risiko, an Hautkrebs zu erkranken und sehen häufig schlecht.

Während in Europa und Nordamerika auf rund 20.000 Geburten ein Mensch mit der Pigmentstörung kommt, tritt Albinismus im zentralafrikanischen Malawi etwa fünfmal so oft auf.

Nun wurde es dort immer gefährlicher für sie, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen. Die „Association of Persons with Albinism in Malawi“, kurz APAM, verzeichnet seit 2014 über 160 Verbrechen, davon mindestens 24 Morde, weitere Menschen mit Albinismus werden vermisst.

Amnesty International (AI) bestätigt die Angaben. Die Zahl der nicht registrierten Übergriffe dürfte laut der Organisation ein Vielfaches davon sein. Eine ähnliche Situation zeichnet sich in den Nachbarländern Mosambik und Tansania ab.

Einem Aberglauben in Malawi zufolge sollen Körperteile von Menschen mit Albinismus Glück und Wohlstand bringen. Mehrere Hundert Dollar bringt ein einzelnes Körperteil. „Der makabre Handel wird noch angetrieben von dem Glauben, dass die Knochen Gold enthalten“, schreibt AI in einem Bericht.

Auch Kinder sind von Übergriffen betroffen

Häufig werden deshalb auch nachts Gräber von Verstorbenen mit Albinismus ausgehoben, um ihre Knochen zu stehlen, die von selbsternannten Hexendoktoren für rituelle Praktiken verwendet werden.

Auch Kinder sind von den Übergriffen betroffen. Mädchen und Frauen mit Albinismus sind einer erhöhten Gefahr von Vergewaltigungen ausgesetzt. Es sei laut AI sogar der absurde Glaube verbreitet, Sex mit ihnen würde eine HIV-Infektion neutralisieren.

Die Stimmen derjenigen, die diese brutalen Praktiken öffentlich anprangern, werden jedoch lauter – unter anderem die des Anwalts Alex Machila, 41, der bei den Wahlen am 21. Mai 2019 für die Partei MCP als einer der ersten Menschen mit Albinismus ins Parlament einziehen könnte.

Zur Person

Alex Machila, geboren 1977, arbeitet als Anwalt in Malawis zweitgrößter Stadt Blantyre. Er setzt sich für die Rechte von Menschen mit Albinismus ein, unter anderem als Kandidat bei den Parlamentswahlen am 21. Mai 2019.

SPIEGEL ONLINE: Herr Machila, wie läuft Ihr Wahlkampf?

Alex Machila: Die Kampagne läuft sehr gut. Wo immer ich aufgetreten bin, sind die Menschen in großer Zahl erschienen und haben sich meine Botschaft angehört. Ich möchte den Menschen mit Albinismus eine Stimme geben, gegen die Marginalisierung kämpfen und dass Betroffene für die Ungerechtigkeiten, die ihnen bereits widerfahren sind, entschädigt werden.

SPIEGEL ONLINE: Es heißt, dass es zu Wahlkampfzeiten mehr Übergriffe auf Menschen mit Albinismus gibt. Trifft das auch auf den laufenden Wahlkampf zu?

Machila: Es kam kürzlich zu Übergriffen, ja. Aber die Stimmen der Kritiker werden auch immer lauter. Insgesamt ist die Anspannung derzeit groß, weil gerade ein brisanter Fall vor Gericht verhandelt wird. Ein 22-jähriger Mann mit Albinismus, McDonald Masambuka, wurde Ende letzten Jahres in der Stadt Zomba entführt und ermordet. Die Angeklagten haben vor Gericht die Namen einiger Regierungsbeamten genannt, die einem Kartell angehören sollen.

SPIEGEL ONLINE: Ein Kartell, das Handel mit Knochen von Menschen mit Albinismus betreibt?

Machila: Ja. Nachdem einer der Beschuldigten behauptete, im Auftrag von Regierungsbeamten gehandelt zu haben, gab es einen Aufschrei und allgemeine Verunsicherung. Der Fall ist noch nicht abgeschlossen.

SPIEGEL ONLINE: In einem anderen Fall, der Ermordung der 19-jährigen Mphatso Pensulo, wurde der Täter vor wenigen Wochen zum Tode verurteilt. Es ist das erste Todesurteil in Malawi seit 1994. Finden Sie das Urteil richtig?

Machila: Ich muss zugeben, dass ich mit dem Urteil zufrieden bin, obwohl ich sonst kein Befürworter der Todesstrafe war. Aber um den Gräueltaten ein Ende zu setzen, müssen Gerichte zu drastischen Mitteln greifen. Solange der Präsident des Landes die Einhaltung der Gesetze nicht garantieren kann, wird das Todesurteil des Gerichts als Abschreckung dienen. In Tansania gab es schon mehrere Todesurteile im Zusammenhang mit Verbrechen gegen Menschen mit Albinismus und sie werden dort auch vollstreckt.

SPIEGEL ONLINE: In Tansania werden Menschen mit Albinismus in sogenannten Schutzunterkünften zusammengepfercht. Wie schätzen Sie diese Maßnahme ein?

Machila: Ich bin der größte Gegner dieser Einrichtungen, habe so einen Ort auch schon besichtigt. Es isoliert die Menschen. Wir kämpfen hier für das Gegenteil, für Inklusion, nicht Exklusion. Betroffene sollen in ihren eigenen Häusern mit ihren Familien sicher zusammenleben können.

SPIEGEL ONLINE: Was sind, neben den schweren Verbrechen, andere Formen von Diskriminierung, die Menschen mit Albinismus erfahren?

Machila: In der Arbeitswelt haben wir es weitaus schwerer als andere. Menschen mit Albinismus werden nicht zu Vorstellungsgesprächen eingeladen, oder sie werden am Arbeitsplatz schlecht behandelt. Häufig wird ihnen nicht zugetraut, gleichwertig zu arbeiten. Das hat zur Folge, dass wir auch bei der Vergabe von Krediten benachteiligt werden und es somit als Selbstständige und insgesamt bei der Versorgung der Familie schwer haben. Auch im Alltag auf der Straße gibt es Diskriminierungen, abfällige Bemerkungen. Es tut sich aber etwas.

SPIEGEL ONLINE: Welche positiven Veränderungen bemerken Sie?

Machila: Wir verstecken uns nicht mehr so stark. Wir gehen auf die Straße, auf die Märkte, gehen aus, trinken etwas. Das ist alles neu.

SPIEGEL ONLINE: Wie kam es zu dem Wandel?

Machila: Im Grunde hat der Druck durch die steigenden Übergriffe dazu geführt. In der Vergangenheit haben wir ein Leben in Isolation geführt. Und wer früher versuchte, auf Menschen mit Albinismus zuzugehen, wurde von ihnen abgewiesen. Das Stigma sitzt auch in den Köpfen der Betroffenen selbst. Sie fühlten sich ausgeschlossen und richteten sich in dieser Rolle ein. Wir helfen jetzt dabei, dass sich Betroffene organisieren, sich austauschen, gegenseitig stärken, die Probleme besprechen und gemeinsam bekämpfen. WhatsApp spielt dabei eine wichtige Rolle, aber es geht auch ohne.

SPIEGEL ONLINE: Welche Möglichkeiten sehen Sie, die Menschen von dem Glauben abzubringen, dass Körperteile magische Kräfte haben?

Machila: Malawi ist ein Land im Wandel und wir sind auf dem Weg, diesen Aberglauben zu überwinden. Eines Tages wird niemand mehr daran glauben, mit den Knochen anderer Menschen reich zu werden.

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