Duell Lauda gegen Hunt Der Moment, in dem die Zeit stehenblieb

Es gehört zu den furchtbarsten Bildern der Formel 1: Niki Lauda im brennenden Ferrari auf dem Nürburgring 1976. Dass der Österreicher 42 Tage später wieder Rennen fuhr, ist bis heute unfassbar.

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Dienstag, 21.05.2019  
14:52 Uhr

Es war der Sommer, der nicht enden wollte. Dieser Sommer 1976, in dem immer die Sonne schien, so wie Rudi Carrell es zuvor noch besungen hatte mit Sonnenschein von Juni bis September. Es war fast so, als wolle die Sonne alles wieder gutmachen, die Bilder dieses Sommers aus den Nachrichten, schlimme Bilder.

Dieser Sommer war so voll, voll auch mit Bildern. Es sind viele bunte, sonnige dabei, Nadia Comaneci auf dem Schwebebalken, das Lächeln der Stewardess Silvia Sommerlath, die in diesem Sommer Königin von Schweden wird, die Bellamy Brothers, Jürgen Drews in der Hitparade, Agnetha und Annifrid. Can you hear the Drums, Fernando?

Ich war zehn Jahre alt, ich interessierte mich mehr für Jupp Heynckes als für Vietnam, für die langen Tage am Nordseestrand in Dänemark, das wohlige Gefühl, die Fußzehen in den Sand einzugraben, das war vor allem mein Sommer 1976, aber die Bilder aus dem Fernsehen am Abend, die bekam ich mit, auch sie gruben sich ein.

Die Rennställe hießen Matchbox, Siku, Majorette

Immer wieder Tote in der Tagesschau: Die Toten von Entebbe, als israelische Einheiten eine Geiselnahme beendeten, in der Bild-Zeitung war ein verwackeltes Schwarzweiß-Bild des Pastors Oskar Brüsewitz, der sich aus Protest gegen die DDR-Führung verbrannt hatte, ein Bild, das ich auch bis heute nicht vergessen habe.

Ich verstand nur die Hälfte von all dem. Aber was da am 1. August passierte, das begriff ich sofort.

Es ist der Große Preis von Deutschland auf dem Nürburgring, nie mehr vorher und nachher habe ich mich so für die Formel 1 interessiert als in diesem Jahr bis zu diesem 1. August. Ich spielte die Rennen mit meinen Spielzeugautos im Garten nach, die Rennställe von Jody Sheckter, Patrick Depailler, Ronnie Peterson, Carlos Reutemann, Mario Andretti waren bei mir Matchbox, Siku, Majorette.

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James Hunt versus Niki Lauda

Mein Lieblingsfahrer war Clay Regazzoni, ich fand, so müssten Rennfahrer heißen, aber natürlich ging es in diesem Jahr um zwei Andere. Niki Lauda und James Hunt hießen die Anwärter auf den WM-Titel, und selbstverständlich war ich für Niki Lauda. James Hunt, der coole, lässige Typ, der Frauenheld und Lebemann, so was hatte man nicht gut zu finden, wenn man im katholischen Paderborn aufwuchs.

So viele leben nicht mehr

Dieser 1. August, die zweite Runde. Ein Amateurfilmer hat den Unfall auf seiner Super-8-Kamera aufgenommen. Lauda, der mit seinem Ferrari in die Böschung kracht, die Flammen, die Wagen von Brett Lunger und Harald Ertl, die nicht mehr rechtzeitig bremsen können und in Laudas Wagen hineinfahren, die Versuche der Kollegen, den Champion aus dem brennenden Wrack zu befreien, die entsetzten Gesichter meiner Eltern. Es ist einer dieser Momente, in denen mir die Zeit stehengeblieben scheint. Ich glaube, ich kann sogar noch sagen, welcher Kuchen auf dem Tisch stand. Frankfurter Kranz.

Es war noch eine vollkommen andere Formel 1 als heute, der Tod war allgegenwärtig in jener Zeit, so viele, die damals fuhren, leben heute nicht mehr. Ronnie Peterson, der im Jahr darauf nach einer schlimme Kollision mit Hunt starb, Carlos Pace, Harald Ertl, Clay Regazzoni, Patrick Depailler, James Hunt, sie alle sind nicht mehr da, nicht alle von ihnen sind beim Rennen gestorben, Ertl und Pace kamen bei Flugzeugunglücken um, Hunt starb am Herzinfarkt, Vittorio Brambilla beim Rasenmähen. Aber: Die Liste ist so lang.

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Einen Monat nach dem Unfall sitzt Lauda wieder im Auto

Lauda überlebte, das war schon ein Wunder, aber dass er drei Rennen später wieder im Cockpit saß, das war unbegreiflich. Weil er unbedingt Weltmeister werden wollte, weil er seinen Vorsprung aus den ersten Rennen verteidigen wollte. Schwerstens gezeichnet von dem Unfall, von den fürchterlichen Brandverletzungen, sitzt dieser Mann 42 Tage, nachdem er fast verbrannt ist, wieder in einem Rennauto. Das hat mir als Zehnjährigem den Atem genommen, es hat mir imponiert, es hat mir auch ein bisschen Angst gemacht. Dieser Ehrgeiz, diese Besessenheit. So etwas hatte ich noch nicht erlebt.

Weltmeister Hunt – mit einem Punkt Vorsprung

Lauda fährt wieder, er wird sogar in Watkins Glen Dritter, vor dem Saisonfinale liegt er in der WM-Wertung noch drei Punkte vor Hunt . Die Dramatik lässt sich nicht steigern. Das letzte Rennen ist in Japan auf dem Kurs von Fuji, in Europa ist es in aller Herrgottsfrühe, dass meine Eltern mich damals nicht dafür geweckt haben, verstehe ich bis heute nicht.

Es regnet in Strömen in Japan, viele Fahrer weigern sich zunächst, überhaupt zu fahren, dann wird doch gestartet. Lauda steigt vorzeitig aus dem Auto, wieder ist es die zweite Runde. Ich weiß noch, wie enttäuscht ich im ersten Moment war, als ich hörte, dass er das Rennen nicht zu Ende gefahren hat. Hunt wird mit einem Punkt Vorsprung Weltmeister. Ich habe später erst verstanden, dass es vielleicht Laudas mutigster Moment war. Das Schicksal nicht noch einmal herauszufordern. Den Ehrgeiz zu besiegen. Ein Stoff für einen Kinofilm. Daniel Brühl war vielleicht nie so gut wie in „Rush“, wie als Niki Lauda.

Meine Matchbox-Autos habe ich nach diesem Formel-1-Jahr in eine Kiste gepackt. Ich habe mir eingeredet, als 11-Jähriger spiele man nicht mehr mit Autos. Aber es hatte wohl auch mit diesem 1. August zu tun. Meine kleine Welt war nicht mehr dieselbe.

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