Die Strache-Affäre Warum wir das Video aus Ibiza veröffentlicht haben

Woher das Strache-Video kommt? Das können wir nicht verraten, der Schutz der Quelle ist das höchste Gut im Journalismus. Warum wir es veröffentlichen? Weil es unsere Pflicht ist.

DER SPIEGEL
Ausschnitt aus dem Video

Dienstag, 21.05.2019  
15:44 Uhr

Es wirkt wie eine Szene aus einem schlechten Film: Der mittlerweile zurückgetretene österreichische Vizekanzler Heinz-Christian Strache und sein Vertrauter Johann Gudenus, beide aus der rechtspopulistischen FPÖ, verhandeln über Stunden bei Wodka-Redbull und vielen Zigaretten mit der angeblichen Nichte eines russischen Oligarchen über Staatsaufträge und deren Plan, die „Kronen-Zeitung“ zu übernehmen.

Der schlechte Film ist echt, denn das Gespräch wird von sechs Kameras heimlich aufgenommen.

Die Veröffentlichung der Strache-Videos durch den SPIEGEL und die „Süddeutsche Zeitung“ hat ein politisches Beben in Österreich ausgelöst, am Ende stand der Bruch der Regierungskoalition zwischen ÖVP und FPÖ.

Zugleich hat die Veröffentlichung viele Fragen aufgeworfen, auch solche, die sich an die beiden Redaktionen richten. War es gerechtfertigt, heimlich aufgenommenes Material zu veröffentlichen? Ist es vertretbar zu zeigen, wie jemand bewusst in eine Falle gelockt wird, noch dazu unter Alkoholeinfluss? War es richtig, die Aufnahmen, in denen sich zwei Politiker diskreditieren, eine Woche vor der Europawahl zu veröffentlichen? Und warum haben der SPIEGEL und die „Süddeutsche Zeitung“ nicht offenbart, wer die Falle gestellt hat und in wessen Auftrag dies geschah?

Hinweise auf das im Juli 2017 gefilmte Material hatte der SPIEGEL bereits vor einigen Monaten, die Videos selbst aber, 100 GB an Aufnahmen, haben wir gemeinsam mit der „Süddeutschen Zeitung“ erst im Laufe des Mai erhalten.

Auf den Zeitpunkt der Übergabe von Informationen haben Journalisten in der Regel keinen Einfluss. Warum das Material nicht bereits unmittelbar nach Erstellung, also vor den Nationalratswahlen 2017, an die Öffentlichkeit gelangt ist, kann der SPIEGEL nicht sagen. Für seine Entscheidung, die Videos jetzt zu veröffentlichen, ist dies auch unerheblich.

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Wir haben uns sofort nach Erhalt der Dateien darangesetzt, das Material auszuwerten und zu verifizieren. Dafür haben wir externe Foto- und Daten-Forensiker eingeschaltet, die zum einen untersuchen sollten, ob auf den Videos ganz sicher Strache und Gudenus zu sehen sind. Das Fraunhofer-Institut für Sichere Informationstechnologie hat zudem die Videos und Tonspuren analysiert, um auszuschließen, dass es sich um gefälschte oder manipulierte Aufnahmen handelt. Das Ergebnis: Es konnten keinerlei Hinweise auf eine Manipulation festgestellt werden.

Daraufhin haben der SPIEGEL und die „Süddeutsche Zeitung“ die beiden FPÖ-Politiker konfrontiert und um eine Stellungnahme zu dem Abend auf Ibiza gebeten. Strache und Gudenus haben eingeräumt, dass es dieses Treffen „in lockerer, ungezwungener Urlaubsatmosphäre“ gab. Sie teilten mit, dass „bei allen Themen mehrmals“ auf die „Einhaltung der österreichischen Rechtsordnung hingewiesen“ worden sei.

Wir haben uns daraufhin entschieden, jene Aussagen aus dem Video öffentlich zu machen, die wegen ihrer politischen Brisanz von außerordentlichem öffentlichen Interesse sind. Strache bietet der vermeintlich russischen Investorin an, dass sie öffentliche Aufträge zugeschanzt bekomme, wenn sie mit ihren Millionen der FPÖ zum Wahlerfolg verhelfe. Das lässt sich als Hinweis auf eine mögliche Korruptionsbereitschaft des mittlerweile zurückgetretenen Vizekanzlers interpretieren.

Strache deutet auf den Videos zudem an, dass es ein System der verdeckten und möglicherweise illegalen Parteienfinanzierung bei der FPÖ geben könnte, über einen Verein, vorbei am Rechnungshof. Und er sagt, er wolle die österreichische Medienlandschaft so umgestalten, dass sie der ungarischen unter Ministerpräsident Viktor Orbán gleiche: eine eindeutige Willensbekundung, die Unabhängigkeit der Presse in Österreich anzugreifen.

Es sind nur wenige Ausschnitte, die der SPIEGEL ausgewählt hat. In den mehr als sechs Stunden langen Aufnahmen wird auch viel Belangloses gesprochen, es gibt viele Wiederholungen. An einigen Stellen geht es um hochrangige Politiker und ihr Privatleben. Es sind diskreditierende, verleumderische Äußerungen, die hier fallen und in der Öffentlichkeit nichts verloren haben. Über sie zu berichten würde die Privatsphäre dieser Politiker verletzen. Deshalb hat sich der SPIEGEL dagegen entschieden, solche Szenen publik zu machen.

Wir haben die Veröffentlichung nicht gezielt vor die Europawahl gelegt. Für den Termin entscheidend war allein, dass wir die Prüfung des Materials abschließen konnten. Wir mussten uns sicher sein, dass die Videos echt sind. Hätten wir den Hauch eines Zweifels gehabt, hätten wir die Aufnahmen nicht veröffentlicht. Hätte die Prüfung länger gedauert, hätten wir die Veröffentlichung aufgeschoben. Es gab aber schon nach wenigen Tagen keine Zweifel mehr an der Authentizität. Hätten wir mit der Veröffentlichung also bis nach der Europawahl gewartet, wäre zu Recht hinterfragt worden, warum wir gesicherte Informationen zurückhalten.

Die „New York Times“ hat als ihren Leitsatz gewählt: „All the News that’s Fit to print“ – alle Neuigkeiten, die zum Abdruck geeignet sind. Wenn eine Information verifiziert und damit frei von jedem Zweifel ist, ist sie zum Abdruck geeignet. Eine Redaktion ist nach unserer Überzeugung dazu verpflichtet, diese Informationen dann auch ohne Aufschub zu veröffentlichen.

Digitale Forensik: Wie der SPIEGEL das Strache-Video überprüft hat

DER SPIEGEL

Journalisten bekommen immer wieder Material aus fragwürdigen Quellen zugespielt. Manchmal sind es entwendete Mails, manchmal vertrauliche Schriftstücke, selten, wie in diesem Fall, verdeckt aufgenommene Videos. Journalisten dürfen selbst nie zu solchen Methoden greifen, sie dürfen nicht tricksen, täuschen oder Straftaten begehen, um an Informationen zu gelangen, sie dürfen auch niemanden anstiften, dies zu tun.

Aber wenn auf ihrem Schreibtisch Material landet, das andere unter zweifelhaften, möglicherweise sogar illegalen Bedingungen erlangt haben, dürfen und müssen sie prüfen, ob es Informationen von öffentlichem Interesse enthält, also zu Machtmissbrauch, Korruption, möglichen Straftaten oder anderen schweren Missständen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Das ist die ureigene Aufgabe von Journalisten.

Die Motivation, Journalisten mit solch vertraulichen Informationen zu versorgen, kann vielschichtig sein. Natürlich tun wir uns leichter, wenn wir wissen oder vermuten, dass Informanten aus höheren Motiven handeln und auf Missstände hinweisen wollen. Dann deckt sich das Interesse der Quelle mit dem des Journalisten zu hundert Prozent.

In vielen Fällen jedoch verfolgen Informanten eigennützige Ziele: Sie wollen sich an jemandem rächen, fühlen sich übergangen oder wollen einfach nur ihrem Gegner schaden. Für uns Journalisten stellt sich dann die Frage: Wiegt das Eigeninteresse eines Informanten schwerer als die öffentliche Bedeutung seiner Informationen? Falls ja, entscheiden wir uns gegen eine Veröffentlichung. Wiegt die öffentliche Bedeutung schwerer, ist es unsere Pflicht, diese Informationen zu publizieren, völlig egal, aus welchen Motiven sie zu uns gelangt sind. Ausschlaggebend ist der Wert der Information. So sind die Regeln.

Auch im Fall der Videoaufnahmen aus Ibiza hat der SPIEGEL bis heute keine gesicherten Belege darüber, wer hinter der Falle steckt und aus welchen Motiven er gehandelt hat.

Wir können die Frage, woher wir das Material haben, nicht beantworten: Der Schutz der Quelle ist das vielleicht höchste Gut im Journalismus, er ist deshalb auch gesetzlich geregelt. Unsere Quellen müssen sich darauf verlassen können, dass wir sie nicht verraten, wenn sie uns brisantes Material überlassen.

Was wir versichern können ist, dass der SPIEGEL kein Geld für dieses Material gezahlt hat, die „Süddeutsche Zeitung“ nach eigenen Angaben auch nicht. Die von uns editierten Ausschnitte des Videos haben wir anderen Redaktionen auf Anfrage kostenlos zur Verfügung gestellt.

Es war für uns ungewöhnlich, mit Material zu arbeiten, das eine Falle zeigt. Die beiden Politiker wurden in das Haus auf Ibiza gelockt, das Gespräch mit der Russin ist eine Inszenierung und eine bewusste Provokation. Andererseits ist das Wort Falle nicht ganz treffend, denn aus einer Falle kommt man üblicherweise nicht mehr heraus.

Der ehemalige Vizekanzler und der ehemalige Fraktionsvorsitzende aber wären jederzeit aus dieser Falle herausgekommen: Sie hätten das Treffen verlassen können, als das Gespräch auf Schwarzgeld und offensichtlich regelwidrige Angebote wie die Vergabe von Staatsaufträgen zu überhöhten Preisen kam. Denn das wäre Betrug am Steuerzahler.

Strache und Gudenus aber sind geblieben, freiwillig. Auch diese Überlegung spielte bei der Frage eine Rolle, ob man zwielichtig entstandenes Material wie das Ibiza-Video veröffentlichen darf.

„Wenn der Teufel mir Dokumente über Korruption im Himmel gäbe“, sagte kürzlich der neue Chefredakteur der Enthüllungsplattform Wikileaks im Gespräch mit dem SPIEGEL, „ich würde sie veröffentlichen.“ Er beschreibt unseren journalistischen Auftrag ziemlich treffend.

Die Autoren: Steffen Klusmann ist Chefredakteur des SPIEGEL, Martin Knobbe leitet das SPIEGEL-Hauptstadtbüro.

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