Postenvergabe in Brüssel Grüne greifen nach EU-Topjobs

Vor den Koalitionsgesprächen in Brüssel machen die Grünen klar: Mit netten Worten lassen sie sich nicht abspeisen. Sie wollen Spitzenämter.

Gregor Fischer/ DPA
Ska Keller: „Grundlegender Wandel in der EU“

Mittwoch, 12.06.2019  
19:22 Uhr

Die Grünen im Europaparlament streben nach der Europawahl erstmals einen oder mehrere Topposten in Brüssel an. Im Gespräch sind entweder das Amt des EU-Parlamentspräsidenten oder des Chefdiplomaten. Dies betonten die beiden wiedergewählten Fraktionschefs im Europaparlament, Ska Keller und Philippe Lamberts, im Gespräch mit dem SPIEGEL und einigen anderen europäischen Medien. „Es gibt fünf Topjobs zu verteilen, und es wäre ein seltsames Ergebnis, wenn die Grünen am Ende mit null herauskommen“, sagte Lamberts.

Als viertstärkste Kraft mit 75 Abgeordneten im Parlament greife man zwar nicht nach den Posten des Kommissionschefs oder des Ratspräsidenten, so Lamberts. Die Hohe Beauftrage für die Außenpolitik oder der Job des Parlamentspräsidenten seien aber sehr wohl in Reichweite. Auch wenn beide nicht über Namen reden wollten, gilt es als offenes Geheimnis, dass Keller als Parlamentspräsidentin für zweieinhalb Jahre gehandelt wird. Die 37-Jährige war eine der beiden EU-Spitzenkandidaten der Partei bei den Europawahlen.

Posten in der Kommission

Nach Informationen des SPIEGEL kämpfen die Grünen zudem dafür, dass ein oder zwei Mitglieder der künftigen EU-Kommission ihrer Partei angehören. Ob dies am Ende möglich ist, hängt allerdings von den Kandidaten ab, die die Mitgliedsstaaten benennen. Bislang einzige deutsche EU-Kommissarin der Grünen war von 1999 bis 2004 Michaele Schreyer. Als denkbar gilt auch ein grüner Präsident für die Europäische Investitionsbank, die viele Projekte zum Klimaschutz finanziert. Der dortige Chefposten, den derzeit der deutsche FDP-Mann Werner Hoyer innehat, wird jedoch erst Anfang 2024 frei.

Die Grünen begründen ihren Anspruch auf die Posten auch damit, dass sie sicherstellen wollen, dass ihre inhaltlichen Forderungen umgesetzt werden. Ab Donnerstagvormittag versuchen die Unterhändler von Christ- und Sozialdemokraten sowie Liberalen und Grünen sich auf eine Art Arbeitsprogramm für die neue EU-Kommission zu verständigen. Ergebnisse sollen bereits zum EU-Gipfel am kommenden Donnerstag vorliegen. So will das Europaparlament die sogenannte strategische Agenda der EU für die nächsten fünf Jahre beeinflussen, über die die Staats- und Regierungschefs dann beraten wollen.

Grüne haben gute Chancen

Keller und Lamberts warben für einen grundlegenden Wandel in der EU. Die Grünen wollten nicht, dass die Verhandlungen scheitern, aber man sei auch nicht billig zu haben. Als Beispiel für einen neuen Politikansatz nannten die Grünen-Fraktionschefs neben Themen wie dem Klimaschutz oder einer besseren Überwachung der Rechtsstaatlichkeit der EU-Mitglieder auch die Frage künftiger Freihandelsabkommen. Hier sollen Sozial- und Umweltschutzstandards künftig bindend sein. Zudem soll das Parlament bei internationalen Abkommen mehr mitreden können. Als Vorbild gilt die Beteiligung des Parlaments beim Brexit-Austrittsvertrag, wo die Unterhändler der Kommission den Sachstand regelmäßig mit dem Parlament rückkoppelten.

Inwieweit sich die Grünen durchsetzen können, ist offen, schlecht stehen ihre Chancen jedoch nicht. Zwar hätten Christ-, Sozialdemokraten und Liberale auch ohne die Ökopartei eine hauchdünne Mehrheit im Parlament. Allerdings wäre diese sehr wackelig, vor allem, wenn man die Abgeordneten umstrittener Mitgliedsparteien wie Viktor Orbáns Fidesz, die korruptionsgeplagten Sozialdemokraten aus Rumänien oder die Leute des affärenverfolgten tschechischen Premiers Andrej Babis bei den Liberalen herausrechnet. Es gilt daher als wahrscheinlich, dass alle vier proeuropäischen Kräfte gemeinsam versuchen, zu einer Einigung zu kommen.

Wer wird Kommissionschef?

Wie die EVP wollen auch die Grünen am Spitzenkandidatenprinzip festhalten, wonach nur ein Politiker Kommissionschef werden kann, der bei der Europawahl als Spitzenkandidat angetreten ist. Das bedeute allerdings nicht, dass allein CSU-Mann Manfred Weber für den Posten infrage komme, sagte Keller. Die Grünen halten auch EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager für denkbar, obwohl die Liberale ihre Kandidatur streng genommen erst nach Schließung der Wahllokale klargemacht hatte. „Aus unserer Sicht ist sie eine Spitzenkandidatin“, sagte Keller.

Eine Forderung an den künftigen Kommissionspräsidenten haben die Grünen bereits: Die Ökopartei ist nicht bereit, den umstrittenen deutschen Juristen Martin Selmayr weiter als Generalsekretär der EU-Kommission zu akzeptieren. Selmayr war im vergangenen Jahr in einer wohl rechtswidrigen Aktion binnen weniger Minuten gleich zweimal befördert worden, um die gewünschte Position zu erreichen. Dies sei „abstoßend“ gewesen, sagte Lamberts. Russlands Präsident Wladimir „Putin wäre genauso vorgegangen“.

Auch eine neue Verwendung für „Kaiser Martin“ (Lamberts) hätten die Grünen bereits parat: „Gebt ihm einen Botschafterposten in der Mongolei.“

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