Österreichische Liberale Meinl-Reisinger „Man sollte aus Vollidioten keine Märtyrer machen“

Im Herbst wählt Österreich ein neues Parlament. Künftig könnten die liberalen Neos mitregieren. Parteichefin Beate Meinl-Reisinger äußert jedoch Kritik am bisherigen Kanzler Kurz und warnt vor Rechtsextremen.

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Beate Meinl-Reisinger, Vorsitzende der liberalen Partei Neos.

Freitag, 14.06.2019  
21:38 Uhr

Zur Person

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Beate Meinl-Reisinger, 1978 in Wien geboren, ist Juristin und seit einem Jahr Vorsitzende der 2012 gegründeten liberalen Partei Neos. Sie hat zunächst für Politiker der bürgerlich-konservativen ÖVP gearbeitet, die Parteilinie war ihr aber in manchen Bereichen nicht liberal genug. Eine Koalition mit der ÖVP schließt sie nicht aus.

SPIEGEL ONLINE: Frau Meinl-Reisinger, Sie haben nach Bekanntwerden des Strache-Videos als eine der Ersten Neuwahlen gefordert. Warum haben Sie beim Misstrauensvotum dann nicht gegen Sebastian Kurz gestimmt?

Meinl-Reisinger: Sebastian Kurz ist für alles, was die FPÖ getan hat, mitverantwortlich. Er hat gewusst, wen er sich da an Bord nimmt, welches Risiko das für Österreich ist – lange vor Bekanntwerden des Ibiza-Videos. Man hätte blind sein müssen, um zum Beispiel nicht die Verbindungen der FPÖ nach Russland zu sehen. Ich wollte aber, dass er bis zu den bereits angekündigten Neuwahlen im Amt bleibt. So hätten wir ihn im Parlament besser kontrollieren können – und ihn bei der Aufklärung der Affäre nicht aus der Verantwortung gelassen. Außerdem finde ich, dass jetzt Stabilität und Staatsräson im Vordergrund stehen und nicht irgendwelche wahltaktischen Manöver.

SPIEGEL ONLINE: Wollten Sie sich mit Ihrem Nein zu einem Misstrauensvotum gegen Kurz vielleicht auch als künftige Koalitionspartnerin empfehlen?

Meinl-Reisinger: Nein. Die Neuwahlen sind eine große Chance für Österreich, mit dieser alten, intransparenten Politik aufzuräumen. Wir werden mit unserer Vision von einem neuen Österreich einen inhaltlichen Führungsanspruch erheben. Aber mit Regierungskonstellationen beschäftige ich mich jetzt nicht. Das entscheiden die Wählerinnen und Wähler im Herbst.

SPIEGEL ONLINE: Ihr Urteil über Kurz klingt aber ziemlich vernichtend. Da könnten Sie jetzt doch sagen: Mit einem wie ihm schließe ich kein Bündnis.

Meinl-Reisinger: Wir versprechen, dass es mit uns keine Regierung mit der FPÖ gibt. Bei Kurz weiß ich nicht, wohin er Österreich führen will. Ich sehe keinen inneren Kompass. Ich weiß nur, dass er an Macht interessiert ist und die Rechten salonfähig gemacht hat. Wir haben eine Menge Dammbrüche erlebt. Aufnahmezentren für Flüchtlinge wurden in „Ausreisezentren“ umbenannt. Ich selbst werde als „Volksverräterin“ beschimpft, weil ich dafür plädiert habe, nicht aus dem Uno-Migrationspakt auszusteigen.

SPIEGEL ONLINE: Ihre Neos bezeichnen sich selbst als Liberale. Die Partei trägt aber auch Züge der Grünen und der Piratenpartei. Sie selbst waren früher bei der konservativen ÖVP. Wofür stehen Sie eigentlich?

Meinl-Reisinger: Wir sind Liberale, haben aber keine historische Parteigeschichte wie die FDP. Wir haben uns 2012 gegründet, um das rot-schwarze Machtkartell, das jahrzehntelang Österreich geprägt und gelähmt hat, aufzubrechen. Wir sind wirtschafts- wie gesellschaftsliberal, letztlich geht es immer um die Entfaltungsmöglichkeiten des Einzelnen. Bildung, Gesundheit, faire Sozialsysteme, das sind unsere Schwerpunkte, ebenso wie die Nachhaltigkeit, ganzheitlich betrachtet, wie ein nachhaltiges Pensionssystem und Klimaschutz. Wir unterstützen daher auch die „Fridays for Future“-Demonstrationen – auch wenn wir manche Forderungen der Linken dort absolut nicht teilen. Und wir sehen uns als Gegenentwurf zu Populisten und Nationalisten.

SPIEGEL ONLINE: Gerade in Österreich sind die Rechten doch längst etabliert.

Meinl-Reisinger: Das ist sicher kein Ruhmesblatt für Österreich. Ich erinnere mich noch an Jörg Haiders Wahlspruch „Wien darf nicht Chicago werden“. Jahre später hieß es dann: „Wien darf nicht Istanbul werden“. Die Mechanik bleibt die gleiche. Sowohl SPÖ als auch ÖVP haben immer wieder in diese Richtung Angebote gemacht. Menschen dürfen aber nicht gegeneinander ausgespielt werden.

SPIEGEL ONLINE: Was wollen Sie dagegen tun?

Meinl-Reisinger: Man muss Probleme wahrnehmen und Lösungen anbieten. Vertuschen bringt nichts. Der politische Islam ist zum Beispiel ein Thema, über das wir ganz offen reden müssen, gerade als Liberale. Aber wir dürfen nicht zulassen, dass menschenverachtende Sprache und Positionen in die Mitte der Gesellschaft gelangen. Wir dürfen aber bitte auch nicht auf jede Provokation mit der größtmöglichen Empörung reagieren. Empörung ist die Batterie, aus der Populisten ihre Energie bekommen. Ich glaube, es ist wichtig, klare Grenzen zu ziehen und zu sagen: Bis hierhin und nicht weiter. Aber vieles, was die Rechten tun und sagen, ist einfach nur lächerlich – da kann man vieles auch ignorieren.

SPIEGEL ONLINE: Wie sollte man in Deutschland mit der AfD umgehen?

Meinl-Reisinger: Es steht mir nicht zu, Deutschland Ratschläge zu erteilen. Ganz allgemein wünsche ich mir einen politischen Grundkonsens bei bestimmten Fragen, etwa die Ablehnung von Antisemitismus. Man kann es auch Anstand nennen. Political Correctness im eigentlichen Sinn, nicht im Sinn übersteigerter Genderdebatten. Unterschiedliche Positionen sind völlig in Ordnung. Aber die Politik sollte nicht ständig bewusst polarisieren, sondern im Dialog nach Konsens suchen.

SPIEGEL ONLINE: Dialog ist mit radikalisierten Menschen aber nur schwer möglich.

Meinl-Reisinger: Dann sind scharfe Linien zu ziehen. Das Beispiel der „Identitären“ zeigt, wie man es nicht machen sollte. Die sind Radikale, die von „Bevölkerungsaustausch“ reden. Wieso sind die immer wieder auf allen Titelseiten? Man sollte aus Vollidioten keine Märtyrer machen.

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