Reversible Enteignungen Lasst die Erben ihr Erbe verdienen

Nehmt den Reichen, gebt den Armen. Klingt gut, schafft aber nicht mehr Wohlstand für alle. Ganz anders wäre es mit staatlichen Beteiligungen am Firmenerbe – die sich zurückkaufen ließen.

Getty Images/ Westend61
Paar mit Cabrio: Wer hat, dem wird gegeben

Sonntag, 21.07.2019  
12:36 Uhr

Ratschläge bekommt die SPD genug, was sie alles falsch gemacht hat: Aufs falsche Pferd der Kultur- und Identitätspolitik hätte sie gesetzt, statt zeitgemäße Antworten auf die alte Kernfrage zu geben, wie sich „Arbeit“ gegen „Kapital“ positionieren sollte. Dass da was dran ist, hat sich längst herumgesprochen. Aber welche modernen Antworten darauf könnte die SPD denn finden, um ihre alte Klientel, die Arbeitnehmerschaft, diejenigen, die täglich zur Arbeit gehen müssen, um sich ihren Lebensunterhalt zu sichern, wieder zurückzubringen? Das ist die Eine-Million-Dollar-Frage.

Eine Antwort könnte die Rückbesinnung auf das Godesberger Programm sein. Damals hat die SPD einen gewissen Frieden mit der Eigentumsfrage und damit mit der – und nur mit der – sozialen Marktwirtschaft geschlossen. Wenn das Adjektiv sozial nun allerdings immer kleiner geschrieben wird und sich allmählich aufzulösen scheint, dann muss sie sich die Frage neu stellen, was denn eine moderne soziale Marktwirtschaft ausmachen könnte.

Zur Person

Helmut Däuble

Helmut Däuble, 57, lehrt Politikwissenschaft und ihre Didaktik an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg.

Einen diesbezüglichen Versuch gab es ja schon: Gerhard Schröder versuchte es mit einem „dritten Weg“, der allerdings krachend scheiterte. Mit der unkritischen Akzeptanz marktradikaler Lösungsansätze, die alle staatlichen Wirtschaftsaktivitäten unter den Generalverdacht der Ineffizienz stellte und auf Teufel komm raus privatisierte, ging das Anwachsen der Ungleichheit in unserem Land einher: Während die untere Hälfte der Bevölkerung praktisch keinen Anteil am gesamten Nettovermögen besitzt, gehören den zehn Prozent der vermögensstärksten Haushalte davon mehr als die Hälfte. Mit zunehmender Tendenz. Ein Marktversagen ist das jedoch keineswegs. Der Markt liefert gleichsam nach dem Matthäus-Prinzip genau das, was wir gerade beobachten können: Wer hat, dem wird gegeben.

Eine auseinandergehende Vermögensschere und damit eine systematische Teilhabeverweigerung für Teile der Gesellschaft kann also nicht vom Markt korrigiert werden. Dies kann, wenn überhaupt, nur eine „zähmende“ Politik. Und genau darin läge eine (neue) Chance für die Sozialdemokratie.

Vermögenspolarisierung – eine lebensweltlich relevante Debatte

Denn auch in den unteren Vermögensschichten hat sich die Vermögenspolarisierung herumgesprochen. Und dort ist sie keine akademische, sondern eine lebensweltlich relevante Debatte: Man muss nur als mittelprächtig verdienender Arbeitnehmer eine Eigenbedarfskündigung erhalten, um zu wissen, wie reich man sein müsste, um sich noch eine adäquate Wohnung leisten zu können. Zudem sieht man, dass sogar Menschen der oberen Mittelschicht Magenschmerzen bekommen, wenn sie eine neue Bleibe suchen. Wenn nun innerhalb der SPD wieder eine Debatte ausbrechen kann, ob nicht Enteignungen oder „Kollektivierungen“ die Mittel der ersten Wahl seien, dann ist daran nur erstaunlich, wie lange das gedauert hat.

Der Kern dieser Kontroverse ist die Eigentumsfrage. Zwar ist im Grundgesetz der Eigentumsschutz klar formuliert, er ist jedoch konditioniert: Eigentum verpflichtet. Was bedeutet, dass es sich am Gemeinwohl orientieren sollte. Davon hat man in den letzten Jahren jedoch nicht allzu viel gesehen. Und genau darauf sollte die SPD verstärkt hinarbeiten: Sie müsste konkrete Konzepte entwickeln, die glaubhaft machen, dass alle Menschen unserer Gesellschaft, also auch die unteren zwei Drittel davon wirklich profitieren können. Sie müsste wohlüberlegt umverteilen.

Anders als über die Steuerpolitik wird es dabei kaum gehen. Doch zuerst muss die SPD da mit ihrer alten Tradition des „Eat the Rich“ brechen: Vermögens- und Reichensteuer, ein bisschen Finanztransaktionssteuer und fertig ist der Braten, der dann Robin-Hood-mäßig unters arme Volk verteilt wird. Das wird nicht überzeugen. Die Argumentation, dass nämlich damit ein Teil des Anreizes, sich Vermögen zu erarbeiten, wegbricht, ist nicht von der Hand zu weisen. Mit der Konsequenz, dass dann der gesamte zu verteilende Kuchen nicht größer, sondern deutlich kleiner wird, und im Endeffekt keiner größere Gebäckstücke bekommt – eine klassische Loose-loose-Situation.

Würde die SPD also weiter so verfahren, bliebe der Vorwurf haften, sich weniger mit der Entstehung von Wohlstand zu beschäftigen, denn mit dessen Distribution. Dabei gibt es Alternativen, die wesentlich besser zum Profil der SPD passen und die sogar das Mittel der Enteignung nicht scheuen: Zum Beispiel reversible Enteignungen.

Um diese zu verstehen und ihre Wirkungsmacht nachvollziehen zu können, gilt es, sich zunächst mit der Frage zu beschäftigen, wie Demokratien materielle Ungleichheit legitimieren können. Die einzige überzeugende Rechtfertigung scheint die meritokratische zu sein: Ein Individuum, das seine Leistungsfähigkeit in Geschäftserfolg verwandeln kann, dem sei dieses Glück und der Wohlstand – natürlich nach Einkommensteuern – gegönnt. Doch sobald das Erarbeitete an die nächste Generation übertragen wird, die dafür in aller Regel keine entsprechende Leistung erbringen muss, ist es in einer Meritokratie vollkommen erlaubt und sogar notwendig, „Enteignungen“ vorzunehmen.

Schauen wir uns das am Beispiel der Erbschaftsteuer auf hinterlassene Firmen an: Erbschaftsteuer auf Betriebe würde dabei nicht mehr direkt, sondern nur als Miteigentümerschaft des Staates, also als Teilenteignung, erhoben. Damit wäre zunächst einmal der Vorwurf, dem Betrieb würde durch die Erbschaftsteuer so viel Liquidität entzogen, dass Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen, vollkommen der Boden entzogen. Der Staat als Mitbesitzer würde sich nicht in die Geschäfte einmischen. Eine solche „stille Teilhabe“ berechtigte jedoch dazu, regelmäßig einen Gewinnanteil einzuziehen. Das wären dann keine Steuern, sondern legitim erhobene Ansprüche auf einen Teil der Gewinne: Ein Fair Share, der etwa in genossenschaftlichen Wohnungsbau investiert werden könnte.

Wie diese partielle Enteignung einen Unternehmer(erben) schmerzt, kann man sich leicht ausmalen. Doch lässt man ihm ja die Chance, sich von dieser ungewollten Miteigentümerschaft zu befreien: Die Nachfahren des hingeschiedenen Firmenbesitzers können in diesem Konzept zum Zeitpunkt ihrer Wahl die Staatsanteile zurückkaufen. Die Enteignung wird damit reversibel. Gerne dürfen die Erben sogar einen Rabatt bekommen, wenn sie das zügig machen. Ganz so hat Helmut Kohl in den Achtzigerjahren übrigens die Bafög-Rückzahlung beschleunigt.

Die leistungsfördernde Reversibilität schafft eine Win-win-Situation

Solche Anreize, den unliebsamen Staat aus dem Boot zu werfen, werden Unternehmensnachkommen hochgradig motivieren, ihre übernommene Firma leistungsfähig zu halten oder zu machen. Ein solcher Stachel im Fleisch eines Unternehmers hat als extrinsische Motivation eine gute Chance auf Leistungssteigerung. Und wenn die Erben die „sozialistische Situation“ wieder bereinigt haben, also der Zahlung von Erbschaftsteuer nachgekommen sind, dann gilt wieder das alte meritokratische Grundprinzip: Nun haben sie ihr Vermögen und ihren Firmenbesitz sich auch „verdient“. Das Schöne an der leistungsfördernden Reversibilität ist, dass sie, ohne mit der Peitsche arbeiten zu müssen, eine Win-win-Situation erzeugt.

Dass diese stille Teilhabe allerdings weitaus umfassender sein müsste (ein Drittel bis zur Hälfte, je nach Betriebsgröße) als es die gegenwärtige Erbschaftsteuer ist, ergibt sich daraus, dass ansonsten keine Vermögensungleichheiten reduzierende Ergebnisse erzielt werden können. Und selbstverständlich müssten auch für die unteren Einkommens- und Vermögensschichten meritokratische, also leistungsfördernde Modelle entwickelt werden, wie sie zu Vermögenswerten kommen können. Die SPD brächte damit tatsächlich eine neue soziale Marktwirtschaft auf den Weg.

Kurzum: Leistungsorientierung und Verteilungspolitik stellen keine Gegensätze dar, sondern lassen sich gut verbinden. Und sie sind das, was den Markenkern der SPD immer ausgemacht hat: dass Reiche und weniger Reiche gut leben können sollen, wenn sie sich anstrengen. Die hier genannten Beispiele lassen sich – natürlich nicht ohne über nichtintendierte Nebenfolgen zu diskutieren – variieren und auf andere Politikfelder übertragen. Der notwendige und sicherlich anschwellende Diskurs über Distributionsfragen sollte sich also nüchtern und pragmatisch damit auseinandersetzen, welche Steuerregelungen ökonomische Effizienz steigern sowie Leistungsbereitschaft erhöhen können und – bei begrenztem bürokratischem Aufwand – Vermögensungleichheit zugleich reduzieren helfen. Für die SPD wäre das eine Chance, wieder als eine Partei nicht der wenigen, sondern der vielen Leistungsträger wahrgenommen zu werden.

Quelle