Ruf nach Konjunkturhilfen Die Rückkehr der K-Frage

Mit der deutschen Wirtschaft geht es bergab, das zeigen die neuen Wachstumszahlen. Muss der Staat erneut milliardenschwere Konjunkturpakete schnüren?

Thomas Kienzle/ AFP
Bauarbeiter in Stuttgart: Regierung auf dem falschen Fuß erwischt?

Mittwoch, 14.08.2019  
20:02 Uhr

Auf die Veröffentlichung neuer Zahlen zum deutschen Wirtschaftswachstum am Mittwoch folgten umgehend die ersten Forderungen. „Es liegen trübe Monate vor uns, die drohen, zu Jahren zu werden – wenn die Politik nicht kräftig gegensteuert“, sagte Joachim Lang, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI). Mario Ohoven, Präsident des Bundesverbandes der mittelständischen Wirtschaft, forderte von der Bundesregierung ein Sofortprogramm, um „das Schlimmste zu verhindern“.

Anlass für die düsteren Warnungen ist ein zunächst eher harmlos wirkender Einbruch: Zwischen April und Juni ist das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) gegenüber dem Vorquartal um 0,1 Prozent gefallen, im Vergleich zum Vorjahr stagnierte das reale BIP.

Die Entwicklung ist nicht dramatisch, passt aber zu einem größeren Bild: Die deutsche Wirtschaft schwächelt. Im Jahresvergleich glichen die BIP-Zahlen zuletzt einer Treppe, auf der es langsam aber stetig in Richtung Keller geht. Falls die Wirtschaftsleistung auch im nächsten Quartal schrumpft, so steckt Deutschland offiziell in einer Rezession.

In dieser Lage wird ein Schlagwort wieder aktuell, das schon in der Finanzkrise vor zehn Jahren allgegenwärtig war: Konjunkturpaket. Über verschiedene Maßnahmen soll der Staat Geld in die Wirtschaft pumpen und so deren Absturz verhindern oder zumindest abfedern. Bislang würden solche Maßnahmen „nicht einmal diskutiert“, kritisiert BDI-Vertreter Lang. „Die wirtschaftliche Weltlage trifft die Bundesregierung auf dem falschen Fuß.“

Tatsächlich betonte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) noch am Dienstag, im Augenblick sehe sie „für ein Konjunkturpaket keine Notwendigkeit“. Merkel sagte jedoch auch, die Regierung werde „situationsgerecht agieren“. Schon in der vergangenen Krise hatte es nur wenige Wochen gedauert, bis Merkel und ihr damaliger Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) ihre Haltung zu Konjunkturpaketen änderten.

Steinbrücks Amtsnachfolger Olaf Scholz (SPD) nähert sich dem K-Wort bereits an. Seine gerade vorgestellten Pläne zum Soli-Abbau würden „auch ein Beitrag sein zur Stützung der Konjunktur“, sagte er. Schließlich hätten durch die geplante Entlastung im Umfang von rund zehn Milliarden Euro viele Arbeitnehmer und Selbstständige mehr Geld in der Tasche.

Dass ein erheblicher Teil davon in den Läden landen dürfte, zeigen die neuen BIP-Zahlen: Erneut stiegen die privaten Konsumausgaben, die schon seit Längerem zu einer Stütze des deutschen Wirtschaftswachstums geworden sind.

Gegen eine nahende Rezession aber nützt der Soli-Abbau wenig, denn er ist erst ab 2021 geplant. Scholz‘ Chefökonom Jakob von Weizsäcker räumte auf dem Kurznachrichtendienst Twitter ein, die Abschaffung des Soli sei „keine konjunkturelle Maßnahme“, auch wenn die Aussicht auf mehr Netto vom Brutto gegen die sich eintrübenden Erwartungen helfen könnte. Weitere Konjunkturmaßnahmen seien notwendig, besonders „ein Beilegen des gefährlichen Handelsstreits, einer destabilisierenden Geopolitik und eines harten Brexits“.

Kabinettsbeschlüsse werden Trump nicht stoppen

Tatsächlich wären diese Schritte wohl das beste Konjunkturprogramm für die deutsche Exportwirtschaft. Das langjährige Zugpferd der deutschen Konjunktur ist zum Bremsklotz geworden, im zweiten Quartal gingen die Exporte erneut stärker zurück als die Importe. „Mit den eskalierenden Handelskonflikten der USA, dem immer wahrscheinlicheren Chaos-Brexit und der schwächelnden Weltwirtschaft hat sich seit dem Sommer vergangenen Jahres der perfekte Sturm zusammengebraut“, warnt Klaus Borger, Ökonom bei der staatlichen KfW-Bank.

Nur werden deutsche Kabinettsbeschlüsse weder Donald Trump von seinen Strafzöllen abbringen noch Großbritanniens Premier Boris Johnson vom Flirt mit einem harten Brexit.

Stattdessen muss die Bundesregierung sehen, wie sie auf eigene Faust die Wirtschaft ankurbelt.

INVESTITIONEN

Eine Möglichkeit wäre es, die staatlichen Ausgaben deutlich auszuweiten. Insbesondere bei der Infrastruktur besteht massiver Investitionsbedarf. Das liegt auch daran, dass die Bundesregierung sich der schwarzen Null verschrieben hat, also dem Verzicht auf neue Schulden. Die Kritik an dieser Linie wächst auch von Wirtschaftsseite. „Die Schuldenbremse, die im Grundgesetz verankert ist, ist entscheidender als das Erreichen einer sogenannten schwarzen Null“, so BDI-Vertreter Lang. „Finanzpolitisch muss Deutschland jetzt umschalten.“

Merkel und Scholz bekräftigten noch zu Wochenbeginn, sie wollten an der schwarzen Null festhalten. Doch besonders die anstehenden Beschlüsse zum Klimaschutz könnten diese Haltung ins Wanken bringen. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat in diesem Zusammenhang schon mal einen anderen Begriff aus der letzten Krise wiederbelebt: Abwrackprämie.

KONSUMPRÄMIEN

So wie der Staat vor zehn Jahren den Autokauf subventionierte, so könnte er nach Kramp-Karrenbauers Vorstellung bald auch den Austausch von Ölheizungen mit Milliarden fördern. Branchenvertreter sehen die Konsumprämie allerdings bestenfalls als Bonus. Sie plädieren in erster Linie für steuerliche Anreize für energieeffizientere Gebäude, um einen „seit Jahren bestehenden Investitionsstau“ zu lösen. Solche Staus bestehen in vielen Bereichen – unter anderem, weil in den zuständigen Behörden seit der letzten Krise in großem Stil Personal abgebaut wurde.

KURZARBEIT

Selbst wenn die Regierung ihre Haltung zu Konjunkturprogrammen ändert: So mancher Vorschlag könnte also wohl nicht schnell genug umgesetzt werden, um noch gegen den Abschwung zu wirken. Umso wichtiger dürfte es werden, zumindest die Folgen auf dem Arbeitsmarkt abzumildern. Dazu hat Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ein drittes Schlagwort aus der letzten Rezession wiederbelebt: das Kurzarbeitergeld, mit dem Firmen Entlassungen vermeiden können und dessen Bezug nun erleichtert werden soll.

Relevant sind all diese Schritte auch aus europäischer Sicht: Neben Deutschland verzeichneten im letzten Quartal nur Großbritannien und Schweden eine rückläufige Wirtschaftsleistung. Doch wegen der Größe der deutschen Volkswirtschaft halbierte sich auch das Wachstum in der Eurozone insgesamt. „Aus dem einstigen Musterknaben ist ein Sorgenkind geworden“, sagt der Chefvolkswirt des Bankhauses Lampe, Alexander Krüger. Deutschlands K-Frage dürfte zunehmend auch das Ausland beschäftigen.

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