„Yellowhammer“-Dokument zum Brexit No Plan

Premier Boris Johnson prahlt damit, Großbritannien sei auf einen harten Brexit gefasst. Doch der „Yellowhammer“-Report zeigt, wie schlecht es um die Vorbereitung steht. Die Regierung versucht sich in Schönfärberei.

Julian Simmonds/ REUTERS
Premierminister Boris Johnson: Sehenden Auges ins Chaos

Donnerstag, 12.09.2019  
19:52 Uhr

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Was steht Großbritannien bei einem No-Deal-Brexit bevor? Nur ein „paar Schlaglöcher“ auf dem Weg, sagt Boris Johnson. Das Vereinigte Königreich treffe alle notwendigen Vorkehrungen für dieses Szenario.

Das war am 19. August, die Zeitung „Times“ hatte über ein geheimes Regierungsdossier zu „Operation Yellowhammer“ (Operation Goldammer) berichtet. Die Öffentlichkeit war aufgeschreckt, Johnson versuchte, die in dem Dokument genannten Probleme nach einem No-Deal-Brexit herunterzuspielen.

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Wer Johnson damals nicht glaubte, sieht sich nun bestätigt. Die Regierung musste das Dossier auf Druck des Parlamentes veröffentlichen. (Das vollständige Dokument finden Sie hier.) Und nur von ein paar „Schlaglöchern“ kann keine Rede sein.

80 Prozent des Lkw-Verkehrs zwischen Frankreich und England wären demnach um Tage verspätet.
An Flughäfen und Bahnhöfen könnten neue Kontrollen Chaos auslösen.
Bestimmte Lebensmittel würden knapp – die Auswahl würde sinken, die Preise steigen. Dieser Zustand könnte sich über Monate halten, schreiben die Experten in „Yellowhammer“.
Bei internationalen Finanztransaktionen könne es zu Störungen kommen.
Bei einem Großteil der Medikamentenimporte könnte es Lieferengpässe geben.
Diese Projektionen für „D1ND“ – Tag 1 nach No Deal – kommen nicht überraschend: Das sechsseitige Dokument spiegelt im Wesentlichen wider, was schon im August an britische Medien durchgesickert war. Doch die Veröffentlichung macht offiziell, wie unvorbereitet die Regierung auf das mögliche Chaos ist.

„Die Preise werden steigen“

Die Regierung bemüht sich um Schadensbegrenzung. Johnson, sein für die Planung des No-Deal-Brexits zuständiger Minister Michael Gove und Wirtschaftsministerin Andrea Leadsom sagten, das Dokument beschreibe den Worst Case und sei keine Vorhersage.

Allerdings wurde wohl Schönschreiberei betrieben, um den Bericht nicht wie einen Report über das schlimmstmögliche Szenario aussehen zu lassen. Eine andere Version des Dokuments sei nicht als Notfallszenario, sondern als „Basis-Szenario“ verbreitet worden, sagte die „Sunday Times“-Journalistin Rosamund Urwin. Ihr war der Report im August zugespielt worden.

Dass die geschilderten möglichen Zustände tatsächlich nur unwahrscheinliche Extremfälle sind, bestreiten auch potenziell betroffene Händler und Konsumenten. Die Geschäftsführerin des Britischen Einzelhandelsverbands BRC sagte der BBC, das Dokument beschreibe genau das, was Händler für den Fall eines No Deals erwarteten. „Die Verfügbarkeit frischer Lebensmittel wird sinken, die Auswahlmöglichkeit der Verbraucher wird sinken und, Preise werden steigen.“

Da sich ein No-Deal-Brexit auf fast alle Lebensbereiche auswirken würde, träfe er letztlich alle Einwohner des Königreichs – zu allererst aber ohnehin einkommensschwache Gruppen. Labour-Chef Jeremy Corbyn sagte, das Papier bestätige, dass Johnson „vorbereitet ist, diejenigen zu bestrafen, die es sich am wenigsten erlauben können“. Auch auf Unternehmensseite würden kleine und mittelgroße Firmen härter von einem ungeregelten Brexit getroffen, besagt das Dokument. Diese verfügten im Schnitt über weniger gute Notfallpläne als große Unternehmen.

Johnson gibt sich optimistisch

So dokumentiert „Operation Yellowhammer“ die Bereitschaft der Regierung Johnson, die Bevölkerung sehenden Auges ins Chaos schlittern zu lassen, und Schaden auf persönlicher und unternehmerischer Seite in Kauf zu nehmen. Zugleich wird die Unfähigkeit oder der Unwillen der Regierung deutlich, für den Notfall zu planen.

Und genau dieser Notfall tritt ein, wenn Johnson am 31. Oktober Großbritannien auch ohne Deal aus der EU führt – obwohl ein vom Parlament beschlossenes Gesetz ihm genau das verbietet. Dass er noch ein Austrittsabkommen mit der EU erzielt, glaubt kaum jemand – zumal Johnson bei den Gesprächen mit Brüssel bislang wenig Engagement zeigte. Die EU wiederum verweist auf die bereits abgeschlossenen Verhandlungen mit seiner Vorgängerin Theresa May.

Johnsons Regierung befürchtete wohl, die Offenlegung der schlechten Vorbereitung würde ihre Verhandlungsposition in Brüssel schwächen – jedenfalls soll das einer der Gründe für die Geheimhaltung gewesen sein. Johnson betonte auch nach der Veröffentlichung, das Land verfüge über viele Möglichkeiten, einen No-Deal-Brexit praktikabel zu gestalten. Zumindest Letzteres wirkt nach Lektüre von „Yellowhammer“ fragwürdig.

Die Veröffentlichung lässt die Regierung zudem schlecht neben einer Opposition aussehen, die sich teils gegen den Brexit überhaupt, vor allem aber gegen den ungeregelten Brexit positioniert hat – und nun angesichts der planlosen Regierung selbst punkten möchte.

Der Labour-Abgeordnete Keir Starmer, Brexit-Minister im Schattenkabinett, sagte nach der Veröffentlichung: „Die Dokumente bestätigen das hohe Risiko des No-Deal-Brexit, an dessen Verhinderung Labour so hart gearbeitet hat. Es war komplett unverantwortlich von der Regierung, zu versuchen, die heftigen Warnungen zu ignorieren und das Offensichtliche vor der Bevölkerung zu verbergen.“

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