Proteste in Hongkong Berlin ist keine Weltmacht

Die Bundesregierung und die Medien sollten aufhören, den Hongkonger Studenten falsche Hoffnungen zu machen und den Dialog mit Peking zu gefährden.

Kin Cheung/ AP
Protest in einem Einkaufszentrum in Honkong, 12. September 2019

Freitag, 13.09.2019  
11:12 Uhr

Toll, dass unser vielbeschäftigter Außenminister sich die Zeit nimmt, den Hongkonger Studentenführer Joshua Wong zu treffen, und nun bekundet, es immer wieder tun zu wollen. Super, dass sich die Bundespressekonferenz nicht zu fein ist, Wong einzuladen, um ihm in Berlin Gehör zu verschaffen. Jetzt können wir uns alle brüsten, Bundesregierung und Hauptstadtpresse im Rücken, unsere demokratischen Grundüberzeugungen gegen die bösen Mandarine in Peking verteidigt zu haben.

Aber mal ehrlich, glaubt irgendein erfahrener Diplomat, irgendein gestandener Journalist wirklich an dieses zutiefst deutsche Theater? Sieht sie oder er nicht die Gefahren? Spielt man so mit der Zukunft junger Menschen in Hongkong? Glaubt man so, den guten Willen der zuweilen tatsächlich gnadenlosen Pekinger Herrscher zu fördern?

Schon der Zeitpunkt des Wong-Empfangs in Berlin verrät die außenpolitische Instinktlosigkeit der Beteiligten. Erst vor ein paar Tagen hat Peking das umstrittene Hongkonger Ausweisungsgesetz, das Auslöser der Hongkonger Studenten- und Massenproteste war, endgültig zurückgezogen. Wann zuvor wich eine KP-Regierung in Peking jemals auf offener Weltbühne vor Demonstrationen zurück? Dafür gibt es kein historisches Beispiel, deshalb lobte Bundeskanzlerin Angela Merkel während ihrer China-Reise vor wenigen Tagen noch zu Recht das Pekinger Einlenken. Aber warum dann nur drei Tage später durch das Treffen mit Wong in Berlin wieder bewusst Öl ins Feuer gießen? Glaubten Kanzlerin und Außenminister, mit Peking in verteilten Rollen spielen zu können? Oder noch schlimmer: Hatten sie sich etwa gar nicht abgesprochen? Das würde alles verraten über die allzu durchschaubaren innenpolitischen Motive einer unprofessionellen deutschen Außenpolitik, die sich hochmoralisch geriert.

Berlin kann nicht helfen

Seriöse Außenpolitik kommt nicht ohne eine realistische Einschätzung von Kräfteverhältnissen aus. Insofern wäre es schon etwas anderes gewesen, hätte US-Präsident Donald Trump in seiner unberechenbaren Manier Wong empfangen. Wenn es ernst würde, könnte Trump Flugzeugträger nach Hongkong entsenden und Tausende evakuieren. Er könnte helfen. Berlin kann das nicht, erst recht nicht ohne Allianz mit Washington. Also sollte die deutsche Bundesregierung den Hongkonger Studenten keine falschen Hoffnungen machen. Genau das aber hat sie mit der Vorführung Wongs in Berlin getan. Alle, die in Hongkong demonstrieren, wissen nämlich, dass schon ihre Helden Ai Weiwei und Liu Xia, Chinas weltweit bewunderte Dissidenten, in Deutschland Unterschlupf fanden, jetzt vielleicht auch Wong. Warum also nicht auch sie selbst?

Solche Illusionen werden auch von westlichen Medien geschürt. Mir sank das Herz in die Hose, als Wong kürzlich im ZDF-Morgenmagazin interviewt wurde. Natürlich will Wong das, weil er an seine Sache glaubt. Aber der chinesische Geheimdienst schaut zu. Nimmt er als Nächstes Wongs Angehörige fest? Ich habe vor 30 Jahren die Pekinger Studenten nach der blutigen Niederschlagung ihres Aufstands auf dem Tiananmenplatz interviewt, zehn Jahre später sprach ich in dunklen Verstecken Nordchinas mit Folteropfern der verfolgten Falun-Gong-Sekte, noch mal zehn Jahre später mit den aufständischen Mönchen in den Klöstern Tibets. Jedes Mal musste man die geplagten, sympathischen Regimekritiker vor sich selbst schützen, auf Fotos verzichten, keine Namen nennen, eigene Spuren verwischen. Einmal gelangte eine Privataufnahme von mir mit Mönchen, denen ich zufällig auf der Straße begegnet war, ins Internet. Das war nicht gut.

Ein Dialog mit Peking ist der einzige Ausweg für Hongkong

Unser Berufsstand muss sehr aufpassen, dass er in Hongkong heute nicht zusätzlichen, ungewollten Schaden anrichtet. Wongs Auftritt vor der Bundespressekonferenz aber war eine Aufforderung an seine zumeist sehr jungen Mitstreiter, es ihm gleichzutun, vielleicht demnächst in einem europäischen Nachbarland. Dabei ahnen die jungen Hongkonger wohl nichts von den möglichen Folgen.

Es ist nun mal so, dass der Westen Hongkong schon an China ausgeliefert hat. Nur noch 28 Jahre, kein halbes Menschenleben, und der Übergabevertrag zwischen Großbritannien und China sieht vor, dass sich die alte Kronkolonie in der Volksrepublik auflöst. Das unterscheidet Hongkong von Taiwan, das sich mithilfe der USA gegen eine denkbare chinesische Intervention hochrüstet. Die Taiwaner haben tatsächlich noch Grund zu glauben, dass der Westen ihnen nicht nur leere Versprechen macht. Aber in Hongkong gibt es dieser Tage nur einen Ausweg: den Dialog mit Peking. Noch scheint er nach Rücknahme des Auslieferungsgesetzes möglich. Statt ihn wie jetzt der deutsche Außenminister zu gefährden, sollte Berlin alles unternehmen, ihn zu fördern.

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