Klimapaket der Bundesregierung Entscheidung auf den letzten Drücker

Bis zum Freitag soll das Klimagesetz der Bundesregierung stehen – doch wenige Tage vor Ablauf der Frist sind sich Union und SPD in entscheidenden Fragen immer noch uneins. Im Zentrum steht die Frage nach dem Preis von CO2.

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Braunkohlekraftwerk im rheinischen Grevenbroich: Koalitionsfrage Klimapolitik

Sonntag, 15.09.2019  
19:33 Uhr

Die Berichterstattung über den Klimawandel ist eine der großen journalistischen Herausforderungen unserer Zeit. Auch für den SPIEGEL ist die Klimakrise eines der wichtigsten Menschheitsthemen. Wir unterstützen deshalb in dieser Woche eine internationale Initiative, die den Blick darauf richten will: „Covering Climate Now“ wurde von der „Columbia Journalism Review“ und der kanadischen Zeitung „The Nation“ angestoßen, mehr als 200 Medienunternehmen weltweit nehmen daran teil, darunter der „Guardian“, „El País“, „La Repubblica“, „The Times of India“ , „Bloomberg“ oder „Vanity Fair“. Der SPIEGEL widmet der Klimakrise diese Woche die Titelgeschichte der aktuellen Ausgabe und jeden Tag besondere Aufmerksamkeit auf spiegel.de

Der Tag der Entscheidung rückt näher. Am kommenden Freitag tritt das Klimakabinett der Bundesregierung zusammen. Am Ende des lang erwarteten Treffens will die Große Koalition die grundlegenden Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels beschlossen haben.

Dabei geht es nicht nur ökologisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich um Zukunftsfragen (Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach in der Generaldebatte im Bundestag von einer „Menschheitsherausforderung“). Auch der Fortbestand der Bundesregierung steht womöglich auf dem Spiel. Im SPIEGEL-Interview erklärte Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) zuletzt die Klimapolitik zur Koalitionsfrage.

Im Video: Merkel im Bundestag

John MACDOUGALL/ AFP

An Vorschlägen für Einzelmaßnahmen mangelt es nicht. CDU und CSU einigten sich jüngst auf ihre Positionen.

Die Unionsparteien wollen unter anderem das Fliegen teurer und das Bahnfahren billiger machen, den Güterverkehr auf der Schiene ausbauen und die LKW-Maut ausweiten sowie die Strompreise senken. Zudem sollen Unternehmen Investitionen in den Klimaschutz stärker abschreiben können als bislang.
Auch die Sozialdemokraten wollen den öffentlichen Verkehr fördern und den Flugverkehr zurückdrängen: zum einen durch eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Bahntickets im Fernverkehr. Darüber hinaus plädiert die SPD-Fraktion für ein Ein-Euro-Ticket pro Tag für den Nahverkehr, also 365 Euro im Jahr. Ferner will die Partei in den Umstieg auf Elektroautos investieren und dringt auf eine Million zusätzliche Ladestationen. Diese sollten bis 2025 an Straßen und öffentlichen Parkplätzen gebaut werden, sagte Scholz der „Bild am Sonntag“. (Einen Überblick über die Standpunkte der Parteien bei den einzelnen Fragen finden Sie hier.)

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Allerdings fehlt es nach wie vor an einer Einigung in entscheidenden Punkten. Zur Finanzierung der Klimaschutzausgaben will die Union eine Klimaanleihe aufsetzen. Die Sozialdemokraten sind dagegen; vor allem Scholz lehnt jede Art einer Klimaanleihe ab. Die Zinsen auf eine solche Anleihe wären ein Geschenk für die Anleger aus dem Bundeshaushalt, sagte der Bundesfinanzminister nach SPIEGEL-Informationen jüngst bei einer gemeinsamen Sitzung von Haushaltspolitikern von Unions- und SPD-Fraktion.

Vor allem aber sind bei der Kernfrage des CO2-Preises entscheidende Punkte weiter offen. Dass ein solcher Preis, der im Verkehr und beim Heizen den Verbrauch von Diesel, Benzin, Heizöl und Erdgas verteuern würde, eingeführt werden soll, darüber sind sich die Koalitionspartner zwar einig.

Welche Form er letztlich haben soll, darüber streiten Union und SPD noch. Die Sozialdemokraten ziehen eine CO2-Steuer vor; die Union setzt auf den Handel mit Zertifikaten.

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Der Chef der Wirtschaftsweisen, Christoph Schmidt, kritisiert im Interview mit dem SPIEGEL, dass die Koalition über Einzelmaßnahmen zum Klimaschutz diskutiere, bevor sie sich in der Grundsatzfrage des CO2-Preises geeinigt habe. Dabei sei nicht entscheidend, ob die der Preis mithilfe einer Steuer oder einer Ausweitung des Zertifikatehandels festgelegt werden, sondern zunächst einmal dass er überhaupt festgelegt werde.

„Die Koalition erweckt aber den Eindruck, als ob der CO2-Preis eine Maßnahme unter vielen wäre“, sagt Schmidt. Die Wirtschaftsweisen sehen das ganz anders. Der CO2-Preis sei das zentrale Signal für Wirtschaft und Verbraucher, an dem sich alle anderen Maßnahmen orientieren müssten. „Diese Reihenfolge ist uns sehr wichtig.“

Auch der Wirtschafts- und Klimaexperte Ottmar Edenhofer, der die Regierung berät, warnte vor „Glaubenskrisen“ bei diesem Punkt: „Eine Steuer und der Zertifikatehandel wirken in der gleichen Weise, wenn es richtig gemacht wird.“ Beide Maßnahmen setzen Preissignale.

GroKo-Partner scheinen sich anzunähern – doch eine „Reihe von Problemen“ bleibt

Zwar gab es auch bei den jüngsten Verhandlungen am Freitagabend keinen Durchbruch. Die Gespräche seien aber konstruktiv verlaufen, hieß es aus Koalitionskreisen. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete, das geplante Klimapaket solle in den kommenden vier Jahren ein Volumen von mindestens 40 Milliarden Euro haben.

Auch beim CO2-Preis zeichnen sich offenbar Kompromisslinien ab. Ein Mischmodell sei nun im Gespräch, berichtet die „Welt am Sonntag“ unter Berufung auf Regierungskreise. Dieses könnte so aussehen, dass die Regierung einen Zertifikatehandel einführt, jedoch mit Preisuntergrenzen.

Unterdessen wächst der Druck auf die Große Koalition, eine umfassende Lösung zu finden und nicht bloßes Stückwerk abzuliefern. Die Klimaaktivisten von „Fridays for Future“ haben für Freitag zu Protestveranstaltungen aufgerufen. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier forderte die Bundesregierung zum großen Wurf in der Klimapolitik auf. „Eine Große Koalition muss die großen Themen anfassen. Ich bin sicher, dass dies die Erwartung in großen Teilen der Bevölkerung ist“, sagte Steinmeier im Interview mit dem SPIEGEL.

Die Koalitionspartner wollen am Donnerstag – einen Tag vor dem Treffen des Klimakabinetts – erneut zusammenkommen. „Klar ist, dass wir eine Gesamteinigung brauchen über das komplette Paket“, sagt der kommissarische SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel im Hinblick auf die entscheidenden Tage, die nun bevorstehen. Allerdings müsse noch „eine ganze Reihe von Problemen“ diskutiert und gelöst werden.

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