Abgebrochenes ZDF-Interview mit Björn Höcke Immer diese alten Geschichten

Die Sprachkritik an der AfD wirkt zunehmend hilflos. Denn das Problem ist nicht, wie Björn Höcke spricht – sondern was er, seine Partei und ihre Wähler mit unserer Gesellschaft vorhaben.

Martin Schutt/DPA
Björn Höcke: „Leute, ich kann’s nicht mehr hören.“

Montag, 16.09.2019  
17:02 Uhr

So wird das nichts. Björn Höcke schaut gequält in die Kamera, wir befinden uns bereits im Nachgespräch des gescheiterten ZDF-Interviews mit dem AfD-Spitzenkandidaten für die Landtagswahl in Thüringen, und Höcke seufzt auf. „Direkt wieder dieses… oah… diese alte Chose. Ich kann’s auch nicht mehr hören. Leute, ich kann’s nicht mehr hören.“

So alt ist diese Chose allerdings gar nicht, nämlich gerade mal 15 Monate. Das Team von „Berlin direkt“ hat sich zwei Zitate aus dem im Juni 2018 erschienenen Höcke-Gesprächsband „Nie zweimal in denselben Fluß“ herausgeschrieben, AfD-Bundestagsabgeordnete damit konfrontiert und sie gefragt: Ist das aus „Mein Kampf“ oder von Herrn Höcke?

Ein leider abgeschmacktes Spielchen

Keiner der Abgeordneten kann die Frage beantworten. Er habe weder das eine noch das andere Buch gelesen, sagt etwa der AfD-Mann Kay Gottschalk. Sein Fraktionskollege Jens Maier wagt einen Tipp: „Wenn, eher aus ‚Mein Kampf‘, würde ich sagen, aber nicht von Höcke.“

„Wer hat’s gesagt – X oder Hitler?“ ist, man muss es leider sagen, ein ziemlich abgeschmacktes Spielchen, ein naseweises Empörungs-Quiz mit bescheidenem Erkenntnisgewinn. „Herr Höcke, Ihre eigenen Leute können jetzt da nicht sagen, ob das noch Höcke oder schon Hitler ist. Was sagt das über Ihre Sprache aus?“, will der ZDF-Journalist wissen. Und Höcke kann darauf naheliegend antworten: „Vor allen Dingen, dass sie mein Buch gar nicht gelesen haben.“

Gedacht offenbar als Entlarvung ist das ZDF-Interview bis dahin nur ein weiteres Dokument des fruchtlosen Versuchs, den Rechten per Sprachkritik beizukommen. Schaut her, wir haben herausgefunden: Höcke klingt ja wie Hitler! Das allerdings wussten wir bereits.

Höcke muss nicht mehr entlarvt werden

Geschichtsbewusste Demokraten gruseln sich selbstverständlich, wenn Höcke totalitäre Machtfantasien formuliert, wenn er sagt, dass „die Deutschen keine halben Sachen“ machen würden, „wenn die Wendezeit gekommen ist“, dann würden „die Schutthaufen der Moderne beseitigt“. Sie finden es gefährlich, wenn er „die Sehnsucht der Deutschen nach einer geschichtlichen Figur“ beschwört, „welche einst die Wunden im Volk wieder heilt“. Seine Wähler jedoch haben damit nicht das geringste Problem. Er formuliert, was sie sich wünschen. Endlich sagt’s mal wieder einer.

In der Kolumne Agitation und Propaganda schreibt Stefan Kuzmany über die aktuellen Entwicklungen in Politik und Gesellschaft. Abonnieren Sie den Newsletter direkt und kostenlos hier:

Es gibt bei Björn Höcke nichts mehr zu entlarven. Er ist bekannt. Die Fixierung auf den Sprachschwulst der AfD lenkt nur ab von dem, was sie inhaltlich aussagt und mit dieser Gesellschaft vorhat. Wer sich mit Höcke darüber streitet, ob sein Reden dem eines Nationalsozialisten gleicht, gibt ihm die Möglichkeit, im Wettbewerb der Wortklauberei zu entwischen. Er verwende den Begriff „entartet“, hält ihm der ZDF-Journalist vor. Ja, der sei ja auch aus dem Biologieunterricht bekannt, entgegnet Höcke. Kein Wort darüber, was Höcke denn nun für „entartet“ hält, was mit „Entartetem“ zu tun sei, wenn einst „die Wendezeit“ gekommen ist.

Dabei sind das die Fragen, die der AfD und ihren Wählern gestellt werden müssen. Was genau meint etwa Alexander Gauland, wenn er sich im ZDF-Morgenmagazin von der „Ideologie der Grünen“ abgrenzt, die „wiedergutmachen wollen, was unsere Väter und Vorväter sozusagen angerichtet haben“, die „Fremde aufnehmen, das Klima retten, anderen Menschen helfen“ möchten – und er die AfD im Gegensatz dazu als Partei positioniert, die für das Deutschland eintritt, „was wir von unseren Vorvätern übernommen haben“?

Ungeplant aufklärend

Dennoch ist das ZDF-Interview mit Björn Höcke ein gelungenes, weil aufklärendes Stück Journalismus – allerdings offenbar eher ungeplant.

Da sind zum einen die Reaktionen der AfD-Abgeordneten auf den Hitler-Höcke-Test. Sie können die furchtbaren Zitate nicht zuordnen – geschenkt. Viel aufschlussreicher ist jedoch, dass ihnen dies offenbar vollkommen egal ist. Sie reagieren nicht etwa schockiert auf die Zitate und den Vergleich mit dem Diktator, sondern geradezu belustigt. Fast alle müssen kurz lachen, als seien sie ertappt worden und nur ganz leicht peinlich berührt. Ach, schau an, Parteifreund Höcke redet wie Hitler, und man kann es kaum unterscheiden? Ist ja amüsant.

Aufschlussreich wird das gescheiterte Gespräch mit Höcke, als es eigentlich bereits beendet ist. Sein Sprecher, der ehemalige Springer-Journalist Günther Lachmann, verlangt vom ZDF-Team, noch mal neu anzusetzen, weil die Fragen seinen Chef „stark emotionalisiert“ hätten – das „sollte man so nicht im Fernsehen bringen“.

Der ZDF-Reporter lehnt dieses gänzlich unübliche Ansinnen ab, es entwickelt sich eine Diskussion darüber, ob das Interview so oder anders vereinbart gewesen sei. Das Treffen steht vor dem Abbruch. „Ich kann Ihnen sagen, dass das massive Konsequenzen hat“, sagt Höcke. „Wir wissen nicht, was kommt…… Dann ist klar, dass es mit mir kein Interview mehr für Sie geben wird.“ Was denn kommen könnte, will der ZDF-Mann wissen? „Vielleicht werde ich auch mal eine interessante persönliche, politische Person in diesem Lande. Könnte doch sein“, antwortet Höcke.

Es ist bitter, dass wir in diesem Land Politiker haben, die meinen, Journalisten sollten ihnen so lange immer wieder dieselben Fragen stellen, bis sie selbst mit ihren Antworten zufrieden sind – aber solche gibt es nun mal. Es ist abstoßend, dass wir in Deutschland Politiker haben, die denken und reden wie Nazis – aber davon gab es leider immer welche.

Wirklich beängstigend jedoch ist es, dass solche Leute heute wieder gewählt werden. Unerträglich ist es, dass Björn Höcke sich auf dem Weg zur Macht sieht. Und das womöglich zu Recht.

Im Video: Der rechte Flügel hebt ab – Björn Höcke und der Personenkult

SPIEGEL TV

Quelle