Football Leaks „In Deutschland wäre Pinto nicht im Gefängnis“

Rui Pinto ist der Whistleblower hinter den Football Leaks. Er sitzt in Portugal in Untersuchungshaft. Hier erzählt sein Anwalt William Bourdon, wie es dem Mann geht, der „John“ war.

Zakaria ABDELKAFI/ AFP
William Bourdon vertritt Whistleblower Rui Pinto

Montag, 16.09.2019  
15:29 Uhr

Seit fast sechs Monaten sitzt Rui Pinto in Untersuchungshaft in Lissabon. In den kommenden Tagen soll ein weiterer Haftprüfungstermin stattfinden, bei dem darüber entschieden werden wird, ob er das Gefängnis verlassen darf.

Pinto, der jahrelang unter dem Pseudonym „John“ agierte, war der entscheidende Informant hinter den Football Leaks. Er übergab dem SPIEGEL seit 2016 vertrauliche Dokumente aus der Fußballbranche. Der SPIEGEL teilte die Daten mit seinen Partnern vom Recherchenetzwerk European Investigative Collaborations (EIC), daraus entstanden über 800 Enthüllungsartikel.

Aus unserer Sicht ist Pinto ein Whistleblower: Er ist ein Mensch, der unter persönlichen Risiken entscheidend daran mitwirkte, Missstände zu enthüllen. Der Lissaboner Fußballklub Sporting Portugal und die Sportrechteagentur Doyen Sports bezichtigen ihn hingegen der Cyberkriminalität, Doyen zusätzlich der versuchten Erpressung. Beide Vorwürfe stammen aus dem Jahr 2015, im Januar 2019 erwirkte Portugal einen europäischen Haftbefehl. Pinto wurde in Ungarn festgenommen, am 21. März wurde er nach Portugal ausgeliefert. Pinto bestreitet die Vorwürfe.

Der SPIEGEL bat die portugiesische Justiz in den vergangenen Monaten mehrfach darum, Pinto interviewen zu dürfen. Alle Gesuche wurden abgelehnt. Sein französischer Anwalt William Bourdon steht mit Pinto in ständigem Kontakt. Im Interview mit dem SPIEGEL spricht er jetzt über Pintos Haftbedingungen und darüber, mit welchen Argumenten er die Freilassung seines Mandanten erreichen möchte.

SPIEGEL: Herr Bourdon, ihr Mandant Rui Pinto ist seit fast sechs Monaten in Lissabon in Haft. Warum wurde noch keine Anklage gegen ihn erhoben?

Bourdon: Das ist eine Besonderheit des portugiesischen Rechts. Die Dauer der Inhaftierung ist, im Gegensatz zu anderen europäischen Rechtsordnungen, kein Bestandteil des Gesetzes. Aber es ist in der Tat nicht üblich, jemanden so lange ohne Anklage in Haft zu behalten. Zudem läuft das völlig den Erwartungen und Forderungen des Europäischen Parlaments, der Europäischen Kommission und der Zivilgesellschaft entgegen: Dort besteht ein Konsens, dass Whistleblower besser geschützt werden sollen.

SPIEGEL: Der gegen Pinto vollstreckte Haftbefehl bezog sich auf Ereignisse, die im Jahr 2015 stattgefunden haben sollen. Gibt es einen neuen Stand der Ermittlungen?

Bourdon: Das wissen wir nicht. Die Ermittlungen werden in Portugal mehr oder weniger geheim gehalten. Hier in Frankreich wäre es für uns Anwälte einfach, Akteneinsicht zu bekommen. Aber in Portugal gibt es Restriktionen, die die Arbeit von Anwälten einschränken.

SPIEGEL: Portugiesische Medien berichteten, dass Pinto nun auch anderer Verbrechen bezichtigt wird. Zum Beispiel soll er Politiker und hochrangige Anwaltskanzleien gehackt und ihnen Daten gestohlen haben. Was sagen Sie zu diesen Anschuldigungen?

Bourdon: Ich kann im Moment keine Details zu diesen Vorwürfen geben. Bei europäischen Haftbefehlen gilt der „Grundsatz der Spezialität“. Das bedeutet, dass der ausgestellte Haftbefehl sehr konkrete Vorwürfe enthalten muss, keine allgemeinen Anschuldigungen. Auf Grundlage genau dieser spezifischen Vorwürfe darf dann ermittelt werden. In Pintos Fall war der ursprüngliche Haftbefehl sehr eng gefasst. Wir fragen uns, ob die portugiesischen Behörden von Anfang an von weiteren Vorwürfen wussten. Wenn das so wäre: Warum hat Portugal diese Vorwürfe nicht in den Haftbefehl aufgenommen? Es besteht der Verdacht, dass der Spezialitätsgrundsatz verletzt worden sein könnte.

SPIEGEL: Steht Pinto im Austausch mit den Behörden oder schweigt er?

Bourdon: Soweit ich weiß, gab es bisher nur eine kurze Befragung. Wir erwarten eine umfangreiche Befragung und dass Pinto die Anklage zugestellt wird. Pinto hat bekräftigt, dass er zur Kooperation bereit ist. Er hat die Tür geöffnet, aber die portugiesischen Behörden sind noch nicht durchgegangen. Das könnte zu einem historischen Paradox führen: Spieler, Agenten und Fußballvereine wurden bereits und werden auch in der Zukunft mit enormen Bußgeldern belegt, es gibt Strafermittlungen, bei denen kriminelle Vorgänge in der Fußballwelt aufgedeckt werden. Gleichzeitig sitzt Pinto immer noch im Gefängnis und Verdächtige, deren strafrechtliche Verantwortlichkeit in Portugal geklärt werden sollte, bleiben verschont. Das ist doch absurd.

SPIEGEL: Unter welchen Umständen ist Pinto gerade inhaftiert? Hat er Kontakt zu Mithäftlingen?

Bourdon: Nein, er ist isoliert, aber er wird von den Wächtern gut behandelt. Als wir ihn das letzte Mal besuchten, ging es ihm okay. Aber obwohl Pinto immer den gleichen, ihn auszeichnenden Mut zeigt, sieht man Erschöpfung und Angst in seinen Augen. Er empfindet seine Situation als unfair. Ich weiß, dass er auch von anderen Inhaftierten unterstützt wird. Er kann sie nicht sehen, aber sie rufen ihm aufmunternde Worte zu.

SPIEGEL: Gäbe es Alternativen zu seiner Inhaftierung?

Bourdon: Man könnte ihn verpflichten, Portugal nicht zu verlassen und dem Richter zur Verfügung zu stehen. Es besteht absolut kein Risiko, dass Pinto Personen einschüchtert oder die Ermittlungen gefährdet, wie das bei anderen Verdächtigen der Fall ist. In Deutschland, Frankreich, England oder Italien wäre Pinto auf Basis dieser Vorwürfe niemals ins Gefängnis gekommen.

SPIEGEL: Die französische Staatsanwaltschaft wollte Pinto im Januar in eine Art Zeugenschutzprogramm aufnehmen. Gibt es das Bestreben noch?

Bourdon: Nein, das war mal geplant, ist aber mit seiner Verhaftung gescheitert.

SPIEGEL: Bis heute haben weder die Franzosen noch andere Ermittler Pinto im Gefängnis in Lissabon besucht?

Bourdon: Nein. Es gab einen Besuch russischer Behörden, die versucht haben, ihn zu beschuldigen. Aber Pinto hat sich geweigert, mit Russland zusammenzuarbeiten.

SPIEGEL: Während Pinto in Portugal aufgrund der Vorwürfe von Doyen Sports in Untersuchungshaft sitzt, wurde in Spanien eine Klage gegen Doyen zugelassen. Es geht um Steuerhinterziehung und Geldwäsche. Beeinflusst dieser Prozess Pintos Situation?

Bourdon: Alles, was dazu beiträgt, dass die von Pinto zur Verfügung gestellten Informationen von europäischen Richtern als wertvoll eingestuft werden, ist natürlich willkommen. Und es ist eine gute Nachricht, dass Spanien vorankommt, da die Behörden in diesem Fall zunächst recht zurückhaltend schienen. Jetzt beschleunigen sich die Dinge.

SPIEGEL: Viele Menschen haben Zweifel daran geäußert, dass ein Hacker tatsächlich als Whistleblower gelten könnte. Hat Rui Pinto das Football-Leaks-Material durch Hacking erworben?

Bourdon: Es ist nicht die Aufgabe eines Anwalts, die Methoden seines Mandanten zu erläutern. Das Football-Leaks-Material kommt aus verschiedenen Quellen, nicht nur von Pinto. Als Anwalt werde ich nicht unterscheiden, was gehackt wurde und was nicht.

SPIEGEL: Kann diese Frage Auswirkungen auf den Verlauf des Verfahrens haben?

Bourdon: Ja. Natürlich könnte eine Anklage oder strafrechtliche Verfolgung wegen Hackings ein Hindernis sein, um als Whistleblower eingestuft zu werden. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass diese rechtlichen Fragen neu sind und gerade erst definiert werden. Ein Beispiel: Antoine Deltour, der Informant hinter Luxleaks, wurde zweimal wegen illegalen Zugangs zu einem Computersystem angeklagt und sogar verurteilt. Am Ende wurde er freigesprochen, weil der Luxemburger Richter der Ansicht war, dass Deltour die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geforderten Bedingungen erfüllt, um als Whistleblower eingestuft zu werden. Ein anderes Beispiel ist der Whistleblower der Panama Papers: Dank seiner Informationen konnte mehr als eine Milliarde Euro von verschiedenen Steuerbehörden eingesammelt werden. Aber soweit ich weiß, war er kein Angestellter der betroffenen panamaischen Firmen.

Auf gesetzlicher Ebene wäre nun der nächste Schritt, den Schutz von Whistleblowern, ob Hacker oder nicht, auf diejenigen auszudehnen, die große Bedrohungen der Öffentlichkeit aufdecken. Seit September 2016 erlaubt ein französisches Gesetz dies bereits in bestimmten Fällen.

Preisabfragezeitpunkt:26.08.2019, 17:13 UhrOhne Gewähr

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SPIEGEL: Wie sehen die kommenden Wochen und Monate für Pinto aus?

Bourdon: Benachrichtigung über die Anklage – wenn keine Anklage erhoben wird, wird er freigelassen. Ein Staatsanwalt der europäischen Justizbehörde Eurojust könnte Portugal besuchen. Wir Anwälte werden den Kontakt mit EU-Organisationen und dem Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen aufnehmen, der für den Schutz von Hinweisgebern verantwortlich ist. Natürlich werden wir in den nächsten Wochen auch die Portugiesen offiziell um die Freiheit von Rui Pinto bitten.

SPIEGEL: In den kommenden Tagen soll es einen weiteren Haftprüfungstermin geben. Glauben Sie, dass Pinto Ende des Monats frei sein könnte?

Bourdon: Ich bin ein praktizierender Pessimist.

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