SPD-Interimschefin Dreyer über die Stichwahl „Es darf nicht unter die Gürtellinie gehen“

In vier Tagen steht fest, wer künftig die SPD führen wird. Ein knappes Ergebnis könnte die Partei spalten. Die kommissarische SPD-Chefin Malu Dreyer fordert Teamgeist – und plädiert für den Fortbestand der GroKo.

HC Plambeck
Malu Dreyer: „Die GroKo ist kein Liebesbündnis, sondern eine Zweckgemeinschaft“

Dienstag, 26.11.2019  
11:45 Uhr

Bis Freitag, 24 Uhr, sind rund 425.000 Sozialdemokraten aufgerufen, ihre neuen Vorsitzenden zu wählen. Klara Geywitz und Olaf Scholz oder Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans?

Der Ton in der Partei ist zuletzt schärfer geworden. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil warnt in einem Interview davor, Esken und Walter-Borjans zu wählen. Die beiden Herausforderer wiederum kritisieren den Verhandlungsstil von Scholz.

In der Partei wird ein knappes Ergebnis der Stichwahl erwartet. Was kommt dann, droht der SPD die Spaltung? Malu Dreyer, noch bis zum Parteitag Anfang Dezember kommissarische Parteichefin, pocht auf einen fairen Umgang.

SPIEGEL: Frau Dreyer, Sie rufen in diesen Tagen persönlich SPD-Mitglieder an, um für die Stichwahl zu werben. Ist das pure Verzweiflung, weil Sie eine geringe Wahlbeteiligung fürchten?

Dreyer: Das macht mir große Freude: Ein Überraschungsanruf bei unseren Mitgliedern. Die Genossen sind sehr überrascht, wenn ich sie persönlich anrufe, aber es ist wirklich schön, ein bisschen zu plaudern. Ich sage da natürlich auch: „Jede Stimme zählt, bis kommenden Freitag ist noch Zeit.“ Die meisten hatten übrigens schon gewählt.

SPIEGEL: Wen haben Sie gewählt?

Dreyer: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich habe Neutralität zugesagt.

Zur Person

HC Plambeck

Malu Dreyer, 1961 geboren, ist Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz und stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende. 2013 übernahm sie das Amt als Regierungschefin von Kurt Beck. Im März 2016 gelang ihr ein Sieg bei der Landtagswahl. Sie regiert mit einer Ampelkoalition aus SPD, FDP und Grünen. Im Dezember 2017 holte sie auf dem SPD-Parteitag in Berlin mit 97,5 Prozent das beste Ergebnis aller Vizevorsitzenden. Seit dem Rücktritt von Andrea Nahles im Juni 2019 führt sie die Partei kommissarisch.

SPIEGEL: Nahezu die gesamte Parteispitze spricht sich klar für Olaf Scholz und Klara Geywitz aus. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil warnt sogar mit drastischen Worten vor der Wahl von Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken. Droht der Partei eine Spaltung?

Dreyer: Jedes Parteimitglied und insbesondere die Parteiführung hat die Aufgabe, die Partei zusammenzuhalten. Natürlich hat eine Stichwahl ihre eigenen Gesetze. Aber ich sehe nicht, dass sich zwei Pole unversöhnlich gegenüberstehen.

SPIEGEL: Was tun Sie persönlich dafür, eine Spaltung zu verhindern?

Dreyer: Ich bin für eine offene Debatte. Die Mitglieder müssen wissen, wo die Unterschiede zwischen den Teams liegen. Es muss aber fair bleiben und darf nicht unter die Gürtellinie gehen. Wenn das Ergebnis am Samstagabend feststeht, müssen alle gemeinsam dafür sorgen, dass die Partei zusammenhält. Mit allen Konsequenzen.

SPIEGEL: Wie meinen Sie das?

Dreyer: Wenn das von einem selbst unterstützte Duo nicht gewinnt, sollte man in der Lage sein zu sagen: Okay, das war eine demokratische Wahl, das Ergebnis akzeptiere ich und setze mich ab sofort weiter für die Partei als Ganzes ein.

SPIEGEL: Seit einem halben Jahr sucht die SPD eine neue Führung. Der Partei schadet das, Sie haben bei drei Landtagswahlen Stimmen verloren, die Umfragen sind mies.

Dreyer: Das sehe ich anders. Der Ausgang der Landtagswahlen hat reichlich wenig mit unserem Verfahren zu tun. Eher hat uns das Verhalten, das zum Rücktritt von Andrea Nahles geführt hat, geschadet. Das haben die Leute als sehr unsolidarisch empfunden. Inzwischen haben wir uns zumindest stabilisiert, allerdings auf einem Niveau, mit dem wir uns nicht zufriedengeben, das wir verbessern werden.

SPIEGEL: Walter-Borjans und Esken kritisieren den Verhandlungsstil bei Klimapaket und Grundrente, Scholz gebe sich mit den GroKo-Kompromissen zu schnell zufrieden. Sie haben im Koalitionsausschuss mitverhandelt. Fühlen Sie sich angegriffen?

Dreyer: Ach nein, ich sehe das nicht als Angriff gegen meine Person, sondern als Teil des Wahlkampfes. Tatsächlich haben wir sehr hart und am Ende erfolgreich verhandelt. Bei der Grundrente haben wir mehr erreicht, als im Koalitionsvertrag steht. Das war ein ganz schwieriges Thema für die Union. Wir haben da viel erreicht und das lag auch an unserem gemeinsamen Verhandlungsstil.

HC Plambeck
Malu Dreyer: „Die Mehrheit der SPD-Anhänger lehnt einen GroKo-Ausstieg ab, sagen Umfragen“

SPIEGEL: Nach dem Scheitern der Jamaikaverhandlungen vor zwei Jahren waren Sie mit Blick auf eine neuerliche Große Koalition skeptisch. Viele in der Partei sind es mehr denn je. Will die SPD raus aus der GroKo?

Dreyer: Das beraten wir beim Parteitag. Die Mehrheit der SPD-Anhänger lehnt einen GroKo-Ausstieg ab, sagen Umfragen. Ja, mir selbst ist die Entscheidung für diese Koalition zu Beginn wahnsinnig schwergefallen. Grundsätzlich bin ich allerdings dafür Wort zu halten. Die GroKo ist wahrlich kein Liebesbündnis, sondern eine Zweckgemeinschaft. Aber die Mitglieder haben damals die Entscheidung dafür getroffen und jetzt haben wir aus dem Koalitionsvertrag heraus auch noch einiges vor in der Koalition.

SPIEGEL: Zum Beispiel?

Dreyer: Wir müssen die Grundrente und Klimapaket in konkrete Gesetze ummünzen. Ein weiteres wichtiges Thema ist die sachgrundlose Befristung. Ich hatte in der vergangenen Woche eine Konferenz mit tausend Betriebsräten, da war das zentral. Befristete Arbeitsverträge sind in einer Zeit großer Verunsicherung ein Riesenproblem.

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SPIEGEL: Wollen Sie den Koalitionsvertrag nachverhandeln?

Dreyer: Wir haben noch einiges umzusetzen von dem, was wir uns vorgenommen haben. In einer Koalition kann man immer über neue Themen sprechen, wenn es nötig ist. Zum Beispiel über den Strukturwandel in der Industrie.

SPIEGEL: Wollen Sie mit der Union auch über ihr neues Konzept einer Kindergrundsicherung sprechen?

Dreyer: Wir haben uns im Rahmen der Erneuerung der SPD einiges vorgenommen: Vermögensteuer, Kindergrundsicherung, ein neues Sozialstaatskonzept. Damit treten wir in Zukunft an, das lässt sich in dieser Koalition nicht komplett umsetzen. Einzelne Schritte kann man vielleicht früher gehen.

SPIEGEL: Juso-Chef Kevin Kühnert hat angekündigt, für den Vorstand kandidieren zu wollen, eventuell sogar als Parteivize. Unterstützen Sie das?

Dreyer: Wir brauchen junge Leute wie ihn in der Verantwortung. Dafür bin ich absolut offen. Die Mitglieder des Parteivorstands wählt aber der Parteitag.

HC Plambeck
Malu Dreyer mit SPIEGEL-Redakteuren: „Wir könnten insgesamt mehr Zuversicht ausstrahlen“

SPIEGEL: Sie haben die Partei nun ein halbes Jahr lang kommissarisch geführt. Was hat Sie in dieser Zeit überrascht?

Dreyer: Die SPD ist in einer sehr schwierigen Lage, aber sie ist trotzdem konstruktiv und engagiert. Das hat mich positiv überrascht. Wir könnten allerdings insgesamt mehr Zuversicht ausstrahlen. Das fehlt mir zu oft.

SPEGEL: Können Sie da von den Grünen lernen?

Dreyer: Nein, das finde ich nicht. Auf einer Erfolgswelle zu schwimmen, ist ja kein Problem. Der SPD fehlt die positive Ausstrahlung, weil wir in einem Umfragetief stecken. Das hat mich in diesen fünf Monaten auch am meisten belastet.

SPIEGEL: Bayern und Baden-Württemberg wollen aus dem Nationalen Bildungsrat aussteigen. Was halten Sie davon?

Dreyer: Ich nehme das zur Kenntnis.

SPIEGEL: Das heißt?

Dreyer: Na ja, der Nationale Bildungsrat ist auf Bestreben der CDU und der CSU im Koalitionsvertrag gelandet. Ich glaube, die Parteivorsitzenden der Union müssen einfach mal klären, was sie eigentlich wollen.

SPIEGEL: Bewerben Sie sich beim Parteitag wieder als stellvertretende Parteivorsitzende?

Dreyer: Ich bin bereit, mich auch in Zukunft stark einzubringen. Der Parteivorstand wird dem Parteitag rechtzeitig einen Vorschlag zur engeren Parteiführung machen. Dem will ich nicht vorgreifen.

SPIEGEL: Weil Sie nur dann antreten, wenn ein bestimmtes Duo gewinnt?

Dreyer: Das ist unabhängig von der Frage, welches Team gewinnt. Es gibt viele Überlegungen.

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