Julia Behnke bei der Handball-WM Über die Grenze

Wenn am Samstag in Japan die Handball-WM beginnt, ist Deutschland nur Außenseiter. Die heimische Liga ist zu schwach, und kaum eine Spielerin sucht den Weg zu einem Topklub im Ausland – außer Julia Behnke.

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Julia Behnke (Mitte) spielt beim russischen Topklub GK Rostow am Don

Freitag, 29.11.2019  
18:05 Uhr

Es gibt Tage, an denen sich Julia Behnke verloren fühlt. „So, als wäre ich am Ende der Welt“, sagt die deutsche Handballnationalspielerin. Behnke brach vor ein paar Monaten ins Unbekannte auf, um oben anzukommen.

Die 26-Jährige ist im Sommer von der TuS Metzingen in die russische Liga gewechselt: von einem deutschen Bundesligisten zum russischen Spitzenklub GK Rostow am Don, von der schwäbischen Kleinstadt in die Millionen-Metropole an der ukrainischen Grenze. Behnke glaubte, dass dieser Schritt notwendig gewesen ist, um nicht mehr nur zu den Besten in Deutschland zu gehören, sondern irgendwann auch zu denen in der Welt. Und womöglich war dieser Schritt auch notwendig für das deutsche Nationalteam.

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Julia Behnke ist Kreisläuferin beim deutschen Team

Am Samstag beginnt die Handballweltmeisterschaft in Japan. Wie gut die Auswahl des Deutschen Handball-Bundes (DHB) dabei abschneiden wird, hängt wohl auch mit den Leistungen von Kreisläuferin Behnke zusammen. Xenia Smits, die in Frankreich bei Metz spielt, verpasst die WM verletzungsbedingt. Somit ist Behnke die einzige Spielerin im DHB-Team, die bei einem europäischen Topklub unter Vertrag steht. Deutschland zählt bei dieser WM zu den Außenseitern.

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Bei der EM 2018 gelang dem deutschen Team Überraschendes. Es schlug Rekord-Europameister Norwegen, am Ende reichte es aber nur zum zehnten Rang. In Japan wird es schwierig, sich durch das Erreichen mindestens des siebten Platzes die Chance zu bewahren, im kommenden Sommer bei den Olympischen Spielen in Tokio dabei zu sein.

Deutsche Teams sind international nicht auf Topniveau

Um das Niveau des Vereinshandballs in Deutschland einzuordnen, reicht ein Blick auf das internationale Abschneiden in der laufenden Saison. Der Deutsche Meister Bietigheim scheiterte in der ersten Gruppenphase der Champions League mit nur einem Sieg in sechs Spielen und rutschte in den zweitklassigen EHF-Cup ab. Dort ist mit dem Thüringer HC auch der zweitbeste deutsche Klub dabei, nachdem er sich zuletzt sehr knapp gegen das russische Team aus Astrachan durchgesetzt hatte.

Für Julia Behnke und Rostow war die Anreise nach Astrachan am kaspischen Meer strapaziöser als das Spiel selbst: „Wir haben unser Auswärtsspiel in Astrachan mit 13 Toren Vorsprung gewonnen“, erzählt sie. Nicht die russische Liga an sich war Behnkes Wechselgrund, es war die Qualität im Team von Rostow.“Da ist jedes Training wie ein Länderspiel“, sagt sie. Es ist ein grundlegender Unterschied zu ihren vorherigen Vereinen in Deutschland. Nun muss sie bei jedem Training an die eigenen Grenzen gehen – und darüber hinaus. In Rostow spielen allein neun russische Nationalspielerinnen. Russland gehört als Rekordsieger (sieben WM-Titel) auch in Japan zu den Favoriten.

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Der Niederländer Henk Groener (2.v.r.) ist seit 2018 deutscher Nationaltrainer

„Es ist beachtlich, wie sich Julia in so kurzer Zeit entwickelt hat. Sie hat körperlich enorme Fortschritte gemacht“, sagt Henk Groener. Der Niederländer ist seit 2018 Bundestrainer – und wird es vorerst bleiben. Am Freitag gab der DHB bekannt, dass der Vertrag mit Groener bis 2021 verlängert wurde. 2015 hatte Groener die Niederländerinnen zu Platz zwei bei der WM geführt – 2016 zu Platz vier bei den Olympischen Spielen.

Talente sind durchaus vorhanden

Für den 59-Jährigen liegt ein Schlüssel in der Weiterentwicklung seiner Spielerinnen im täglichen Training ihren Klubs. Aber da diese sich nicht auf Topniveau befinden, liegt darin auch ein Problem. „Die beste Konstellation wäre, wenn es in Deutschland drei oder vier Vereine auf dem höchsten Niveau gäbe“, sagt der Niederländer. In Bietigheim und beim Thüringer HC verdienen die deutschen Spielerinnen inzwischen ordentlich Geld und können davon leben. Deswegen ist ihr Leben aber noch nicht voll auf Handball ausgerichtet. „Die Mädchen müssen sich entscheiden, was sie für ihren Sport opfern wollen. Nur wenn sie vieles opfern, können sie sich weiterentwickeln“, meint Groener.

Der Bundestrainer sagt es nicht direkt, aber er erwartet wohl, dass mehr Spielerinnen aus seiner Auswahl die eigene Komfortzone verlassen und bei einem Topklub im Ausland ihr Glück suchen. Behnke aber ist die Einzige im deutschen WM-Team. Große Talente gibt es in Deutschland durchaus. Im Rückraum spielen Emiliy Bölk, 21, und Alicia Stolle, 23, die das Interesse von großen internationalen Klubs geweckt haben. Bei der WM haben sie die Möglichkeit, sich für größere Klubs zu empfehlen.

In der schwierigen deutschen Vorrundengruppe mit Gegnern wie Brasilien zum Auftakt (Samstag, 7 Uhr), Titelverteidiger Frankreich, Dänemark und Südkorea sind starke Leistungen nötig, um sich als eines von drei Teams für die Hauptrunde zu qualifizieren. Groener hofft, dass seine unerfahrene Mannschaft gut genug vorbereitet ist. Die Voraussetzungen aber könnten besser sein.

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