30 Jahre Homer, Marge und Co. Mein Leben mit den Simpsons

Die erste Serienepisode der „Simpsons“ lief vor genau 30 Jahren. Die dysfunktionale Zeichentrickfamilie aus Springfield hat eine TV-Epoche geprägt – und dem Humor von Dirk Brichzi einen Gelbstich verpasst.

20th Century Fox/ Capital Pictures/ ddp images

Montag, 16.12.2019  
11:03 Uhr

Ich habe extra im TV-Programm nachgeschaut: Sie laufen noch, wo sie immer gelaufen sind. Um zehn nach sechs die erste Folge, zwanzig vor sieben die zweite. Mit Werbepausen, wie es sich gehört.

Ich könnte einschalten. Vielleicht zeigen sie eine Episode, die ich schon oft, aber immer wieder gern gesehen habe. Dann ist es, als lege man seine Lieblingsplatte auf oder treffe einen guten Freund nach langer Zeit: Man kramt in schönen Erinnerungen, entdeckt neue Dinge und will das unbedingt wieder öfter machen.

Am 17. Dezember 1989 ging in den USA die Pilotfolge von „Die Simpsons“ auf Sendung, „Es weihnachtet schwer“. Knapp zwei Jahre später lernten die deutschen Fernsehzuschauer Homer, Marge, Lisa, Bart, Maggie und all die anderen aus Springfield kennen. Bei der ersten Folge war ich gerade in der elften Klasse; jetzt bin ich Mitte 40, die Simpsons haben mich immer begleitet.

Es gab Phasen, da habe ich sie täglich geschaut – zu Hause, bei Freunden, bei Verwandten oder im Urlaub. Ich erlebte Staffelpremieren in den USA und saß im Sommer in Schweden jeden Abend auf der Couch, wo der alte, kleine Röhrenapparat nur drei einheimische Programme empfing. Und auf einem Kanal die Simpsons, so wie eigentlich überall auf der Welt.

Die Neunziger: Darauf einen Flaming Moe

Wer schrägen Humor mochte, hatte in den Neunzigerjahren eine großartige Zeit. Im dritten Programm lief „Schmidteinander“ mit Harald Schmidt und Herbert Feuerstein, auf RTL trieb Al Bundy in „Eine schrecklich nette Familie“ sein Unwesen – dazu die Simpsons, die zunächst im ZDF ihre Heimat hatten, später bei ProSieben. Auf 36 Zentimeter Bildschirmdiagonale verschlang ich jede Folge, obwohl der Fernseher in meiner Bude viel zu weit von der Couch entfernt stand.

Ich wusste, dass ich am nächsten Tag bei meinen Kumpeln nicht auftauchen durfte, ohne alle Sprüche zitieren zu können. Wir amüsierten uns darüber auch beim dritten oder vierten Mal noch prächtig.

Wer wissen will, welche Verbindungen eine Fernsehserie schaffen kann, muss nur mal in passender Gesellschaft einen „Flaming Moe“ bestellen, die Urlaubsherberge „Kamp Krusty“ nennen oder auf einer Weihnachtsfeier behaupten: „Ich bin Mister Schneepflug!“ Der Aha-Effekt setzt schnell ein, man erzählt einander die Lieblingsepisoden und signalisiert unterschwellig: Ich weiß, wovon du redest! Eine solche Konversation kann den ganzen Abend andauern, in den Tagen danach greift man wieder öfter zur Fernbedienung.

Das Episoden-Highlight: „Bart On the Road“

Gerade die frühen Folgen blieben haften. Reden wir nicht drumherum: Die Staffeln drei bis acht, vielleicht auch noch neun und zehn, sind die besten und haben Klassiker hervorgebracht. Die Macher um Matt Groening waren auf dem Höhepunkt ihres Schaffens und packten alles an Kreativität und Witz in diese Episoden. Sie bescherten uns Höhepunkte wie die „Krise im Kamp Krusty“, „Einmal als Schneekönig!“, „Homer und die Sangesbrüder“ oder „Bart wird berühmt“. Sogar eine Doppelfolge in Form eines klassischen „Whodunit“-Krimis mit Cliffhanger zum Ende der sechsten Staffel gönnten sich die Simpsons mit „Wer erschoss Mister Burns?“

Am meisten gefiel mir, wenn neben dem Humor auch noch der Wahnsinn da draußen in der Realität aufs Korn genommen wurde, etwa in „Homer kommt in Fahrt“: Mister Burns muss drei Millionen Dollar Strafe wegen Umweltverschmutzung an die Stadt Springfield zahlen. Aber die Bürger lassen sich vom windigen Betrüger Lyle Lanley eine unnütze und kaputte Einschienenbahn aufschwatzen; er kassiert die Kohle und brennt damit durch.

Wenigstens kann Homer als Einschienenbahn-Lokführer das außer Kontrolle geratene Gefährt stoppen – und zerstört dabei einen Großteil der Stadt. Das Buch zur Episode schrieb der spätere Talkshow-Host Conan O’Brien, Regie führte Rich Moore, der 2017 für den Animationsfilm „Zoomania“ einen Oscar erhielt.

Preisabfragezeitpunkt:16.12.2019, 10:54 UhrOhne Gewähr

Reiss, Mike, Klickstein, MathewSpringfield Confidential: Alles über die Simpsons ─ Hinter den Kulissen der gelbsten Serie der Welt – 30 Jahre Simpsons ─ Das inoffizielle Fanbuch – Vom langjährigen Co-Autor

Heyne Verlag

15,00 €

Meine Lieblingsfolge bleibt das Roadmovie „Die Reise nach Knoxville“, im Original „Bart On the Road“, eine schöne Hommage an den fast gleichnamigen Roman von Jack Kerouac. Bart besorgt sich einen gefälschten Führerschein und fährt mit Milhouse, Nelson und Martin nach Knoxville, wo sie zur Weltausstellung wollen – die aber schon 14 Jahre her ist.

Mein Lieblingsgag: Wortreich begründen Bart und Milhouse den Eltern ihre Abwesenheit damit, dass sie zum „Grammatik-Rodeo“ nach Kanada müssen. Nelson dagegen schlägt die Tür hinter sich zu und sagt nur: „Ich verschwinde für eine Woche, bis dann!“ Selten so gelacht.

Die 2000er: Verkatert vom Zeichentrick

Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich ein Hangover einstellte – bei mir und bei den Simpsons. Die Serie wurde schwächer, meine Zeit knapper, außerdem brach eine neue Epoche an mit neuer Konkurrenz auf einem US-Kanal namens HBO. Die Serien-DVDs wurden unter Kennern als ganz heißes Ding gehandelt: „Sopranos“, „Six Feet Under“ oder „The Wire“.

Plötzlich war es für Endzwanziger uncool, abends vor dem Fernseher Zeichentrick zu schauen. Und wenn, dann eher „Family Guy“, die Simpsons-Kopie mit noch derberem Humor.

Erzrivalen vereint (2014): Gemeinsame Folge von „Simpsons“ und „Family Guy“

Tony Soprano, die Fishers und Omar Little regierten jetzt im Wohnzimmer – natürlich im Original und ohne Untertitel, selbst wenn man nur die Hälfte verstand. Viele Simpsons-Folgen aus dieser Zeit habe ich deshalb gar nicht in der Erstausstrahlung gesehen, erst in Wiederholungen. Maude Flanders starb, was irgendwie überhaupt nicht zur Serie passte.

Aber ab und zu schwangen sich die Simpsons noch mal zu Höhen auf. In „Rektor Skinners Gespür für Schnee“ etwa sitzen die Schüler mit Rektor Skinner wegen eines Schneesturms in der Schule fest. Homer und Ned machen sich auf, um die Kinder zu retten. Die Idee geht auf den Autor Tim Long zurück; seine Grundschule war tatsächlich mal die einzige im weiten Umkreis, die während eines Schneesturms öffnete.

Nicht immer ging den Autoren das Witzeschreiben locker von der Hand. Der ehemalige Simpsons-Showrunner und Autor Mike Reiss erzählt im Buch „Springfield Confidential“, wie das Team verzweifelt einen Gag für die Folge „Lisa, die Schönheitskönigin“ suchte.

Homer hatte Lisa zu einem Schönheitswettbewerb angemeldet, sie gewann, wandelte sich aber zur streitbaren Aktivistin. Und so suchten die Veranstalter nach einem Grund in Homers Bewerbung, um Lisa zu disqualifizieren. Den ganzen Tag und die halbe Nacht fiel den Autoren nichts Lustiges ein, sie wollten schon fast ohne Gag weitermachen, als sich ein gewisser Frank meldete. „In ein Feld, bei dem es heißt ‚Nicht beschriften!‘, hat Homer ‚Ok‘ geschrieben.“ So einfach kann das sein mit den Gags. Und so lustig.

Das dritte Jahrzehnt: Zeit der Versöhnung

Ich gebe zu, irgendwann wusste ich gar nicht mehr, ob die Simpsons überhaupt noch neue Folgen produzieren. Es war eine Zeit der Versöhnung nach schwierigen Jahren, wie manchmal in einer Beziehung: erst die große Liebe, dann der Streit, und doch bleiben beide gute Freunde – und sehen alles viel entspannter. An Episoden-Highlights ab Staffel 20 kann ich mich nicht erinnern. Vielleicht weil ich höchstens die Hälfte gesehen habe.

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Stattdessen habe ich mir eine altersentsprechende Homersche Gelassenheit zugelegt. Die Streamingportale spucken täglich neue Serien aus. Alle sind moderner, schneller, lustiger, und die Staffeln kann man an einem Stück schauen. Eine neue Generation von Zuschauern kennt ein Leben ohne die Simpsons gar nicht, weil die Serie seit ihrer Geburt immerzu lief. Vielleicht können sie damit auch gar nichts anfangen, weil ihre Sehgewohnheiten andere sind.

Ich schalte abends gern für ein Stündchen den Fernseher an, um ein paar gute alte Bekannte in Gelb wiederzusehen. Nach 30 Jahren sollte man lieb gewonnene Gewohnheiten einfach nicht mehr ändern.

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