Einzelhandel Läden in der Innenstadt lieben plötzlich Onlineshopping

Das Schuhgeschäft schließt und die Fußgängerzone verwaist – weil alle nur noch im Netz einkaufen? Stimmt so nicht. Gerade der Onlinehandel könnte vielen stationären Läden die Zukunft sichern.

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Weihnachtseinkäufe auf der Hamburger Mönckebergstraße

Montag, 16.12.2019  
11:07 Uhr

Die Hamburger Mönckebergstraße in der Vorweihnachtszeit: Lichterketten zeichnen die Konturen der kahlen Baumkronen nach, die Schaufenster locken mit Tannenbäumen und metergroßen Leucht-Schneeflocken. Bepackt mit Tüten, Taschen, Rucksäcken strömen Kunden rein in die Läden und raus Richtung Glühweinstand am nahe gelegenen Weihnachtsmarkt. Krise sieht anders aus.

Wie passt das zusammen mit den Klagen über geschlossene Läden, teilweise leerstehende Einkaufspassagen und ausgestorbene Innenstädte, an denen der Internethandel schuld sein soll?

Die Antwort ist vielschichtig.

Nach vielen Jahren starker Steigerungsraten wächst der Onlinehandel zwar immer noch – im vergangenen Jahr um neun Prozent -, aber langsamer.

Die Deutschen kaufen noch immer etwa neun von zehn Produkten in stationären Geschäften, wie aktuelle Untersuchungen vom Handelsverband Deutschland (HDE) ergaben. Das klassische Ladengeschäft hat in Deutschland also noch klar die Überhand. Deutlich ist aber auch, dass es zwei Verlierergruppen gibt:

Rein stationäre Händler leiden vor allem in den Branchen Mode, Elektronik und Wohnen an der sogenannten Kannibalisierung durch das wachsende Onlinegeschäft, werden also verdrängt.
Und reine Internethändler wachsen kaum noch angesichts der Marktdominanz von Amazon.

Digitalisierte Läden: die Zukunft?

In einem bekannten Elektrofachmarkt in der Hamburger Innenstadt lässt sich beobachten, wie stationäre Händler der Online-Kannibalisierung entkommen wollen: In den grell ausgeleuchteten Gängen schieben sich unzählige Kunden zwischen Druckern, DVDs und Flachbildschirmen hindurch, stauen sich an den Kassen in langen Schlangen. Das wird kaum an dem einzigen, verloren blinkenden Weihnachtsbaum liegen. Eher schon an der Vorweihnachtszeit – und an einem besonderen Bereich, der direkt am Eingang liegt: dem Abholbereich für im Internet bestellte Ware.

Denn wer etwa den speziellen Weihnachtswunsch nach hellblauen Kinderkopfhörern erfüllen will, muss hier nicht auf morgen oder übermorgen warten – wie beim Onlinekauf. Und sich auch nicht die Hacken ablaufen, nur um im ersten Kaufhaus festzustellen, dass es das gesuchte Objekt nicht führt – um sich im zweiten Laden anzuhören, dass die Kopfhörer leider ausverkauft ist.

Denn bei manchem Elektrohändler sind die Läden inzwischen digital: Das aktuelle Ladensortiment ist online einsehbar – und enthält hellblaue Kopfhörer. Mit wenigen Klicks sind sie in den Abholbereich dieser Filiale bestellt, wo sie angesehen und bezahlt werden können – „Click&Reserve“ nennt sich das.

„Immer mehr Händler verbinden Online- und Offline-Geschäft“, sagt Stefan Hertel vom HDE. „Das ist eindeutig ein Trend.“ Wer das richtig macht, wächst am stärksten, wie der HDE-Monitor zeigt: Das sind Händler mit „stationärer DNA“ – also angestammten Läden – und starkem Onlinehandel, vor allem auf Marktplätzen wie Amazon-Marketplace. Wie zum Beispiel Leder Stoll: Neben seinem Frankfurter Traditionshaus verkauft das Familienunternehmen Koffer und Taschen sehr erfolgreich auch über seinen Onlineshop Koffer24.de.

„Am besten also: Man kombiniert das Geschäft – zum Beispiel mit Click&Collect“, sagt Hertel. Also: Online aussuchen, im Laden abholen.

Onlinehandel lohnt sich – aber nur für die großen Ketten

Das macht auch ein großer Schuhhändler so: Vier verschiedene Paar Lammfellhausschuhe lassen sich online in die Filiale bestellen, reserviert für fünf Tage. Zwar ist auf der Seite nicht ersichtlich, ob die Schuhe im Laden vorhanden sind, aber nach eineinhalb Stunden kommt die Abholbestätigung per Mail – und die vier Kartons werden an der Kasse bereitgelegt.

Die Vernetzung von On- und Offline-Geschäft läuft dabei in beide Richtungen: Kunden können auch online bestellte Ware in den Läden zurückgeben – „Multi-Channeling“ nennt sich das auf Händler-Deutsch.

Ist das die Lösung gegen den Leerstand in der Ladenzeile? „Die Verschränkung von stationärem und Onlinehandel ist sicher von Vorteil. Aber wirklich lohnend ist das nur für die großen Ketten in großen Städten“, sagt Thomas Roeb, Handelsexperte von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Denn die Digitalisierung sei teuer. Und kleinere Läden mit begrenzter Auswahl könnten weder beim Sortiment noch bei den Niedrigpreisen mithalten. „Den Elektroladen an der Ecke rettet auch sein Onlineshop nicht“, sagt Roeb.

Der Onlinehandel als Lösung für alles und jeden sei jedenfalls eine Mär, sagt Roeb. „Auch im Billigsegment, zum Beispiel bei Mode, lohnt sich der Onlinehandel nicht. Wer 5-Euro-T-Shirts im Netz verkauft, verdient fast nichts.“ Verpackung und Logistik fräßen die geringe Marge auf. Primark scheint das verstanden zu haben: Die irische Billigmodekette hat gar keinen Onlineshop. Sondern verkauft ausschließlich in großen stationären Läden mit hoher „Flächenproduktivität“ und geringeren Aufschlägen. Anders dagegen das Luxussegment: Bei Premiummarken mit ihren hohen Preisen biete Online Kostenvorteile

Es geht auch umgekehrt: Warum Zalando Läden hat

Auch Zalando scheint diesen Mechanismus begriffen zu haben. Während Deutschlands größter Online-Modehändler mit Premiummarken wie Versace oder Victoria Beckham expandiert, verkauft er seine billigsten Teile offline. Und zwar in acht ganz analogen Outlets, fünf weitere sollen bis 2021 folgen.

Eins davon liegt am feinen Bleichenfleet in der Hamburger Innenstadt. Ein hellgelber Regenmantel, eine rostrote Teddyjacke und ein blauer Daunenanorak hängen hier nebeneinander- je nur einmal und in einer Größe. Sortiert wird nicht nach Stil oder Kollektion, sondern nach Geschlecht, Art und Größe der Kleidung, wie im Secondhand-Laden. Denn es sind alles Restposten: Einzelgrößen, Kleider aus der Vorsaison oder mit fehlendem Knopf. Welche Teile genau an den Ständern hängen, weiß keiner – auch Zalando nicht: Wenn ein Regalmeter Jacken frei wird, ordern die Mitarbeiter neue Ware aus dem Lager. Inhalt unbekannt – analoger geht’s nicht.

Carolin Wahnbaeck/ DER SPIEGEL
Jacken im Zalando-Laden: Die richtige Zielgruppe

Überraschen lassen sich auch Gabriel Voutyras, 16, und Ibrahim Yamba, 17, die an einem Jeansständer stehen. Die beiden Schüler sind auf Schnäppchenjagd: „Wir gucken einfach mal. Die Sachen hier sind auf jeden Fall viel billiger als online“, sagt Voutyras. Genau diese Zielgruppe will Zalando in die Outlets locken, wo die bis zu 70 Prozent reduzierten Teile gewinnbringender als im Onlinehandel verkauft werden können.

Auch die weltweite Nummer eins im Onlinehandel, Amazon, betreibt Läden, allerdings nur in Amerika. Die Otto Group, nach Amazon der zweitgrößte Internet-Generalist hierzulande, treibt zusammen mit dem Einkaufszentren-Betreiber ECE ebenfalls die Vernetzung voran. Über die sogenannte Digital Mall auf otto.de können Kunden prüfen, ob eine bestimmte Jacke in einem der rund 90 von ECE betriebenen Einkaufszentren vorhanden ist. Neun Partnerfirmen, darunter Jack Wolfskin oder Marc O’Polo, gebe es derzeit, Tendenz steigend. In Zukunft sollen die Kunden auch online reservieren, bezahlen oder sogar vom Laden nach Hause bestellen können.

Damit wird das Geschäft auch zum Online-Warenlager und Logistikzentrum. Genau das könnte das Überleben sichern – zumindest für Ketten in zentraler Lage.

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