Tipps für ein friedliches Weihnachtsfest „Oft sind die Ansprüche riesengroß“

Für viele Menschen ist Weihnachten ein Fest des Grauens. Hier erklärt der Psychologe Peter Walschburger, woher die negativen Gefühle kommen – und wie Weihnachtsmuffel gut durch die Festtage kommen.

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Weihnachtsbeleuchtung: Unser Gehirn ist darauf programmiert, soziale Rituale schön zu finden

Dienstag, 24.12.2019  
13:03 Uhr

Zur Person

Peter Walschburger ist Professor für Psychologie an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich mit dem sozialen Gefüge in Gruppen und der Auswirkung von Wetter und Jahreszeiten auf die Psyche.

SPIEGEL: Herr Walschburger, es gibt Menschen, denen es vor Weihnachten graut. Woher kommt das?

Walschburger: Wir werden durch unsere Erfahrungen geprägt. Ich hatte beispielsweise eine katholisch geprägte Kindheit. Als ich angefangen habe, Psychologie zu studieren, habe ich die Religion zunehmend kritisch gesehen, meine Erziehung kann ich aber bis heute nicht leugnen. Der Schriftsteller Martin Walser hat das in einem Gedicht treffend zusammengefasst: „Ich bin an den Sonntag gebunden / Wie an eine Melodie / Ich habe keine andere gefunden / Ich glaube nicht, aber ich knie“.

SPIEGEL: Was heißt das bezogen auf Menschen, die Weihnachten nicht mögen?

Walschburger: Sie haben in der Regel die Erfahrung gemacht, dass Weihnachten mit Konflikten verbunden ist. Bei einigen kommen auch Erinnerungen an verstorbene Angehörige hoch, die sie überfordern. Aus Selbstschutz entwickeln sie eine Abwehrhaltung. Sie lassen sich dann nicht mehr auf die sozialen, aber auch gefühlsträchtigen Rituale ein, die Lichter, Gerüche und Musik und können sie deshalb auch nicht genießen.

SPIEGEL: Welche Rolle spielt die meist hohe Erwartungshaltung zu Weihnachten?

Walschburger: Sie ist eine wesentliche Frustrationsquelle. Oft sind die Ansprüche riesengroß. Da nimmt sich die Großmutter vor, einen perfekten Gänsebraten auf den Tisch zu stellen, alle sollen sich gut verstehen, dazu gibt es die exakt passenden Geschenke. Das hat meistens wenig mit der Realität zu tun. Enttäuschungen sind programmiert. Hinzu kommt, dass die Vorbereitungen auf ein perfektes Fest oft schon so anstrengend sind, dass sie die Vorfreude schmälern.

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SPIEGEL: Wie beugt man dem vor?

Walschburger: Es kann helfen, von Anfang an ein kleineres Fest mit einfacherem Essen und keinen oder nur wenigen Geschenken zu planen. Als Vorbereitung auf das Treffen mit der Verwandtschaft ist es nützlich, den Tag gedanklich und in Gesprächen möglichst konkret durchzuspielen. Dadurch entwickelt man eine realistischere Erwartungshaltung. Das gilt insbesondere bei Festen mit Familienmitgliedern, zu denen man das ganze Jahr über wenig oder schwierigen Kontakt hat.

SPIEGEL: Was ist das Problem beim Fest mit Verwandten, die man sonst selten sieht?

Walschburger: Da treffen ganz unterschiedliche Lebenswelten aufeinander. Onkel Erwin erzählt, dass er AfD-Mitglied geworden ist, während die Enkelin mit den Grünen sympathisiert und strikt vegan lebt. Der Großvater besteht auf einer klassischen Rollenverteilung, seine Schwiegertochter arbeitet mit zwei Kindern Vollzeit und sehnt sich nach Anerkennung. Bereitet man sich vorher auf mögliche Konflikte vor, lässt sich an Weihnachten entspannter damit umgehen.

SPIEGEL: Das klingt trotzdem anstrengend. Ist es nicht sinnvoller, solche Familienfeste abzusagen?

Walschburger: Das muss man im Einzelfall abwägen, denn tatsächlich hat Weihnachten ein hohes Potenzial, unser Leben zu bereichern und soziale Bindungen zu festigen. Bevor man sich aus der Familie zurückzieht, sollte man sich einmal selbst überprüfen. Möglicherweise lohnt es sich, den Verwandten eine zweite Chance zu geben, indem man mit realistischeren Vorstellungen ans Fest herangeht und sich vornimmt, offen für die traditionellen Rituale zu sein. Wenn die Konflikte aber dauerhaft zu groß sind und die Verletzungen zu tief sitzen, kann es besser sein, den Abstand zu vergrößern.

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SPIEGEL: Wie verbringt man dann die Festtage?

Walschburger: Auch Weihnachten ohne Familie kann Frust auslösen. Alle reden vom Fest der Liebe und man selbst sitzt allein vorm Tannenbaum. Meist gibt es aber Alternativen. Man kann die Verabredungen auf Familienmitglieder begrenzen, mit denen man auch sonst Kontakt pflegt oder sich mit Freunden zusammentun. Das reduziert das Risiko, dass unrealistische Erwartungen entstehen, weil man besser weiß, worauf man sich einlässt. Wenn man in einer Beziehung ist, lässt sich die Zeit auch nutzen, um Zweisamkeit und Ruhe zu genießen.

SPIEGEL: Was machen Sie an Weihnachten?

Peter Walschburger: Meine Frau und ich verbringen das Fest seit vielen Jahren in einem kleinen Bergdorf in Österreich. Dort verläuft alles sehr traditionell. Jeder Bewohner hat seine Aufgabe, um das Fest vorzubereiten. Abends gehen alle gemeinsam in die Kirche, es gibt Kerzenlicht, Weihrauch und Gesang. Das hat durchaus seinen Zauber, unser Gehirn ist darauf programmiert, diese sozialen Rituale schön zu finden.

SPIEGEL: Warum feiern Sie nicht mit Ihrer Familie?

Walschburger: Wir haben keine Kinder und unsere Eltern sind bereits gestorben. In solchen Lebenssituationen macht es Sinn, Weihnachten mit Menschen zu verbringen, mit denen man nicht verwandt ist, die aber ähnliche Erwartungen wie man selbst an die Weihnachtszeit haben.

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