Putin und Erdogan im Libyen-Konflikt: Herren über Krieg und Frieden – DER SPIEGEL – Politik

Die Vermittlungsversuche von Russlands Präsident Wladimir Putin und seinem türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdogan sind damit vorerst ins Stocken geraten. Trotzdem bleiben die beiden Staatschefs die entscheidenden Akteure in dem Konflikt.  Sarraj und Haftar ringen seit Monaten um die Macht in Libyen. Hunderte Menschen starben bei den Gefechten, Tausende wurden aus ihren Häusern vertrieben. Der Konflikt hat sich zu einem internationalen Stellvertreterkrieg ausgeweitet: Sarraj wird von der Uno anerkannt und neben der Türkei auch von Italien und Qatar unterstützt. Russland, Ägypten, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Frankreich haben sich auf die Seite Haftars geschlagen.  

„Mal wieder eine Bauchlandung Europas“Die Europäer, gelähmt unter anderem durch die Uneinigkeit zwischen Rom und Paris, haben dem Staatszerfall in Libyen lange Zeit untätig zugesehen. Nun bemüht sich die Bundesregierung hektisch, eine politische Lösung zu finden. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat für Sonntag zu einem Friedensgipfel nach Berlin geladen, zu dem unter anderem Erdogan erwartet wird. Für die EU ist Libyen von herausragender Bedeutung: Hunderttausende Migranten kamen in den vergangenen Jahren über den Wüstenstaat nach Europa. Merkels Initiative kann jedoch kaum darüber hinweg täuschen, dass Europa bei dem Poker um Libyen eher eine Nebenrolle zukommt. Ähnlich wie in Syrien sind es in erster Linie die Autokraten Putin und Erdogan, die über die Zukunft des Bürgerkriegslands entscheiden.  

„Mal wieder eine Bauchlandung Europas“, schreibt der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, auf Twitter „Aber wir bleiben ja fest im Glauben, dass Krisendiplomatie auch ohne militärische Nachdrucksoption erfolgreich ist.“  Die Türkei hat, neben Waffen, in den vergangenen Wochen zunächst Söldner der Freien Syrischen Armee (FSA) aus Syrien nach Libyen geschickt – und nun auch in sehr begrenztem Umfang eigene Truppen. Ohne die Unterstützung aus Ankara hätte sich Sarraj womöglich schon nicht mehr an der Macht halten können. 

Russland gibt offiziell vor, in der Libyen-Krise neutral zu sein, setzt jedoch in Wahrheit vor allem auf Haftar. Der General wurde mehrmals in Moskau empfangen, an der Seite Haftars kämpfen Söldner der russischen Wagner-Einheit, 2000 Mann sollen es laut türkischer Regierung inzwischen sein.  

Beide Staaten verfolgen in Libyen wirtschaftliche und geopolitische Interessen. Durch den Sturz des Diktators Muammar al-Gaddafi 2011 sind Russland Aufträge im Wert von mindestens vier Milliarden Dollar verloren gegangen. Haftar, so heißt es, soll in Aussicht gestellt haben, die von Gaddafi unterzeichneten Verträge teilweise wieder in Kraft setzen zu wollen. Bezahlen könnte er mit Öl- und Gasexporten. Seine Truppen kontrollieren fast alle wichtigen Erdölförderstätten und -häfen im Osten des Landes.  Erdogan hingegen hat mit Sarraj bereits im vergangenen Jahr ein maritimes Abkommen über Seegrenzen im Mittelmeer geschlossen. Durch den Pakt macht Ankara Ansprüche auf die Erdgasfelder im östlichen Mittelmeer geltend.  Sowohl Russland wie die Türkei haben den Anspruch, ihre Stellung als Ordnungsmacht in der Region zu festigen. Putin wolle zeigen, dass sein „Erfolg“ in Syrien kein Zufall war, glaubt Nikolaj Kochanow, ehemaliger Diplomat und Professor der politischen Ökonomie an der European University in Sankt Petersburg. Für Erdogan wiederum gehört Libyen, das einmal Teil des Osmanischen Reichs war, zur türkischen Einflusssphäre.  Der Warlord hält Tripolis belagert  Die Entscheidungsträger in Libyen sind auf die Unterstützung aus dem Ausland angewiesen. Für Sarraj gilt das mehr noch als für Haftar. Der Warlord hält Tripolis seit Monaten belagert. Beobachter rechnen jederzeit mit einem entscheidenden Angriff. Womöglich glaubte Haftar deshalb am Montag in Moskau, weitreichende Bedingungen stellen zu können. Der Warlord soll für seine Unterschrift unter den Friedensvertrag unter anderem den vollständigen Abzug türkischer Kräfte aus Tripolis gefordert haben.  Erdogan reagierte am Dienstag gereizt auf Haftars Rückzug. „Die Bedingungen, die der Putschist Haftar gestellt hat, zeigen sein wahres Gesicht und seine wahren Absichten“, sagte er gegenüber Abgeordneten seiner Fraktion. Sollte Haftar seine Angriffe gegen Sarrajs Regierung fortsetzen, werde die Türkei nicht zögern, Haftar die Lektion zu erteilen, die er verdiene.  Vor dem Gipfel am Sonntag in Berlin hängt nun viel von Russlands Präsident Putin ab. Es liegt an ihm, Haftar davon zu überzeugen, einem Friedensfahrplan zuzustimmen. In Moskau heißt es, man verhandle weiter. Die Europäer können den Rahmen für die Gespräche setzen. Über Krieg und Frieden entschieden, wie schon in Syrien, vor allem Putin und Erdogan. 
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