Kitzbühel-Rekordsieger Didier Cuche: „Du bist vom Start weg in der Hölle“ – DER SPIEGEL – Sport

Es ist immer noch sein Wochenende. Auch wenn Didier Cuche seine Sportlerkarriere schon vor acht Jahren beendet hat. Wenn er nach Kitzbühel kommt, an den Tagen, an denen auf der weltberühmten Streif die Abfahrer ihre Sieger ausfahren, dann schlagen Hunderte ihm auf die Schultern, wenn sie ihn erkennen, wollen Autogramme und Selfies. Seinen Spitznamen hat er hier ohnehin weg. Didier Cuche ist der König von Kitzbühel.

„Man muss in der Lage sein, diese besondere Atmosphäre in sich aufzusaugen“, sagt er dem SPIEGEL, und dem Schweizer ist das mit dem Aufsaugen in seiner Zeit als Skifahrer ganz offensichtlich gelungen. Fünf Mal hat er auf der Streif, die offiziell Hahnenkamm-Abfahrt heißt, die aber keiner so nennt, triumphiert. Keinem anderen ist das gelungen, nicht Franz Klammer, nicht Jean-Claude Killy, nicht Hermann Maier. Auch nicht Toni Sailer, den sie den Blitz von Kitz gerufen haben.Rekordsieger darf sich Cuche nennen. Er ist Weltmeister geworden, hat Silber bei Olympischen Spielen ergattert, aber in der Erinnerung der Leute wird der Schweizer immer derjenige sein, der es schaffte, fünf Mal die Streif zu gewinnen.

Man muss „die Grenzen der Strecke kennen“„Das Wichtigste ist, seine eigenen Grenzen genau zu kennen, aber auch die Grenzen dieser Strecke“, sagt Cuche, wenn er gefragt wird, was er auf der Streif besser gemacht hat als die Konkurrenz. Die Grenzen dieser Stecke, die hat er gleich bei seiner ersten Streif-Saison kennengelernt.

1995 kam der junge Didier Cuche nach Kitzbühel, voller Respekt vor dieser berüchtigten Piste. Und gleich in seinem ersten Training fielen die Fahrer vor ihm reihenweise per Sturz aus, mehrere Abfahrer mussten mit dem Hubschrauber abtransportiert werden. „Da wäre ich am liebsten umgekehrt, und ich habe mir gedacht, wenn die Besten schon stürzen, wie soll es nur mir ergehen?“ Aber er hat sich dann doch überwunden, die Blamage, wieder mit der Gondel nach unten zu fahren, wollte er sich nicht geben. Und er kam heil an: „Ich hatte achteinhalb Sekunden Rückstand, aber habe mich gefühlt wie ein Tiger.“

2011 war er nah an der PerfektionSpäter war er wirklich der Tiger auf der Streif, 2010 siegte er mit angebrochener Rippe, 2011 deklassierte er bei traumhaften Bedingungen die gesamte Weltelite und siegte mit mehr als einer Sekunde Vorsprung. „Das war ein Rennen, in dem fast alles gepasst hat“, sagt Cuche in der Rückschau, „wenn ich mir das heute anschaue, erkenne ich zwar noch ein paar kosmetische Dinge, die man hätte besser machen können, aber das war schon eine Fahrt nah an der Perfektion.“ Näher kann man der Perfektion auf der Streif ohnehin nicht kommen, das lässt sie nicht zu.

Mausefalle, Steilhang, Hausbergkante, Traverse, Lärchenschuss – die Streif ist voller mythischer Passagen. „Gleich vom Start weg geht es in die Hölle“, sagt Cuche, „da gibt es keine Gelegenheit zu bremsen oder Tempo rauszunehmen.“ Und wenn man am Hausberg angekommen ist, „dann heißt es sowieso alles oder nichts“. Für viele andere, die nicht Didier Cuche heißen, hieß es am Ende: nichts.

„Ich hatte das riesige Glück, nie das Gefühl erlebt zu haben, wie es ist, auf der Streif zu stürzen“, sagt Cuche. Und dennoch sei er immer „mit dem komischen Gefühl zwischen Vorfreude und Respekt“ nach Kitzbühel angereist, „und ich war immer froh, am Sonntag dann ohne Verletzung wieder heimfahren zu können“.Zwischen Selbstbewusstsein und SelbstsicherheitZwischen 2010 und 2012, als er drei Mal nacheinander siegte, galt die Streif als seine Strecke, Cuche schien in Kitzbühel so gut wie unbesiegbar. „Tatsächlich macht es einen noch stärker, wenn man als Favorit anreist“, sagt der heute 45-Jährige. Die eingeschüchterten Blicke der Konkurrenz, die Zweifel der Rivalen, „das habe ich nie gekannt“, und trotzdem: „Jahr für Jahr musst du an der Streif bei null anfangen.“ Das ist für ihn kein Widerspruch. Es ist die Grenze zwischen Selbstbewusstsein und Selbstsicherheit.Kitzbühel, dieses Oktoberfest des Skisports, nirgends ist der Rummel so groß, Cuche hat das immer stimuliert. „Wenn du Ruhe haben willst, kannst du dich ja auch ins Hotel zurückziehen“, er habe das nicht gebraucht. Fokussieren ja, aber „du musst auch würdigen, wie viele Menschen kommen, um diese gewaltige Show zu sehen.“Die gewaltige Show geht am Samstag um 11.30 Uhr wieder los. Cuche ist selbstredend als Zuschauer an der Piste dabei, und er geht davon aus, dass ein Landsmann von ihm in seine Fußstapfen tritt. „Die ideale Vorbereitung auf die Streif ist, wenn du bis dahin eine starke Saison gefahren hast, das ist die perfekte psychische Basis“, sagt er – und kann damit nur einen meinen. Beat Feuz, der 32-jährige Schweizer, der so lange schon erfolgreich Ski fährt, aber noch nie in Kitzbühel gewann, er ist diesmal fällig, glaubt Cuche. „Der Beat hat es drauf.“Feuz muss eigentlich „nur“ das machen, was Didier Cuche in Kitzbühel immer praktiziert hat. „Die Streif ist der absolute Stress, da stehst du mit dem Rücken zur Wand. Und wenn ich mit dem Rücken an der Wand stand, dann habe ich eigentlich immer das Beste aus mir herausgeholt.“ Absoluter Stress und mit dem Rücken zur Wand stehen – das sollte auf der Streif doch wohl hinzubekommen sein.
Icon: Der Spiegel

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