Glenn Greenwald im Interview: „Es hängt viel politische Gewalt in der Luft.“ – DER SPIEGEL – Politik

Auf Glenn Greenwalds Enthüllungsplattform „The Intercept“ sind Telefonchats und Mails von Staatsanwälten und Richtern veröffentlicht worden, an die ein oder mehrere Hacker gelangt waren. Die Informationen, die „The Intercept“ zugespielt wurden, stützen den Verdacht, dass der frühere Richter und heutige Justizminister Sérgio Moro sowie Staatsanwälte, die im Zusammenhang mit dem Korruptionsskandal um den halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras gegen zahlreiche Politiker ermitteln, parteilich vorgegangen sind. Offenbar ging es vor allem darum, den Ex-Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva hinter Gitter zu bringen. Greenwald bringen die Enthüllungen nun selbst in Bedrängnis.

SPIEGEL: Herr Greenwald, ein brasilianischer Staatsanwalt hat Anklage gegen Sie erhoben und wirft Ihnen die „Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung“ vor. Ist das eine Art Racheaktion vonseiten des Justizministers Sérgio Moro?Greenwald: Ich weiß nicht, ob er dahintersteckt, es gibt keine Beweise. Aber der Staatsanwalt, der das Verfahren gegen mich eingeleitet hat, ist derselbe, der vor zwei Monaten den Präsidenten der brasilianischen Anwaltskammer angeklagt hat, weil dieser Moro kritisiert hatte. Die Justiz hat seine Vorwürfe nicht akzeptiert. Dieser Staatsanwalt missbraucht also ganz klar seine Macht, möglicherweise mit Einverständnis von Moro und Präsident Bolsonaro.

SPIEGEL: Der Staatsanwalt behauptet, dass Sie den Whistleblower angeleitet hätten, die gehackten Nachrichten zu löschen, nachdem er sie Ihnen zugespielt hatte, damit er so eine mögliche Strafverfolgung erschwert.Greenwald: Die Bundespolizei, die Sérgio Moro untersteht, hat unser Vorgehen monatelang untersucht. Sie ist schon vor zwei Monaten zu dem Schluss gekommen, dass es keine Beweise gibt, dass ich irgendein Verbrechen begangen hätte. Ich bin ein professioneller Journalist und habe mich an die Spielregeln gehalten. Sie brauchen sich nur die Unterhaltung anzusehen: Die Quelle fragt mich, ob sie die Unterhaltungen löschen soll. Ich habe ihm ausdrücklich gesagt: „Ich kann Dir keinen Rat geben. Ich kann Dir nicht empfehlen, was Du tun sollst.“ Wer den Umgang mit der Quelle kriminalisiert, kriminalisiert den Journalismus.

SPIEGEL: Ein Richter am Obersten Bundesgericht hatte bereits vor Monaten verfügt, dass gegen Sie nicht ermittelt werden darf. Hat der Staatsanwalt nicht gegen diese Entscheidung verstoßen?Greenwald: Natürlich. Etwa einen Monat nach unserer ersten Veröffentlichung ging eine Nachricht durch die Presse, wonach meine Finanzen untersucht werden sollten. Das wurde ganz klar von Moro oder seinen Leuten gestreut. Eine politische Partei in Brasilien zog deshalb vor das Oberste Bundesgericht und forderte, dass es dieses Vorgehen unterbinden sollte, weil es einen Verstoß gegen die Pressefreiheit darstellt. Daraufhin verbot der Richter Gilmar Mendes weitere Ermittlungen gegen mich. Wie kann ich also angeklagt werden, wenn gegen mich nicht ermittelt werden darf?

SPIEGEL: Wie werden Sie jetzt juristisch vorgehen?Greenwald: Die Rechtslage in Brasilien ist so, dass eine Anklage der Staatsanwaltschaft erst dann gültig ist, wenn der zuständige Richter sie akzeptiert. Meine Anwälte haben ihn gebeten, die Anklage zurückzuweisen. Ich bin zuversichtlich, weil es bereits diesen Präzedenzfall gibt.SPIEGEL: Sie haben viel Erfahrung im Umgang mit Whistleblowern. Glauben Sie, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen den Angriffen auf Sie und zum Beispiel dem Prozess gegen Julian Assange?Greenwald: Es gibt Unterschiede, aber auch einige Ähnlichkeiten. Im Fall Assange hatte dessen Quelle Chelsea Manning bereits alle Informationen zusammengestellt, bevor sie diese an Assange weiterleitete. In meinem Fall hatte die Quelle ebenfalls bereits alle Informationen vorliegen. Deshalb kann man mir nicht vorwerfen, dass ich am Hacken beteiligt war. Es stellt sich also die Frage, ob es in Wirklichkeit nicht darum geht, dass die Regierung den Journalisten kriminalisieren will.SPIEGEL: Das Risiko für Journalisten, wegen ihrer Arbeit verklagt zu werden, hat also zugenommen.Greenwald: Aus diesem Grund rufe ich Journalisten dazu auf, die Gefahr einer gerichtlichen Verfolgung ernster zu nehmen. Assange hatte versucht, die Urheberschaft Chelsea Mannings zu vertuschen, um sie zu schützen. Das nutzt die Trump-Regierung jetzt aus, um ihm vorzuwerfen, dass er für das Verbrechen mitverantwortlich ist. Die brasilianische Regierung geht auf ähnliche Weise gegen mich vor. Damit wäre ich dann Komplize der Verschwörung.SPIEGEL: Bolsonaro hatte Ihnen schon im vergangenen Jahr gedroht, dass Sie im Gefängnis enden würden. Können Sie in diesem vergifteten politischen Klima überhaupt noch arbeiten?Greenwald: Wir müssen uns immer wieder klarmachen, dass Bolsonaro nicht an die Demokratie glaubt. Das politische Klima in Brasilien ist also sehr repressiv. Auf der anderen Seite gibt es aber auch viel Widerstand vonseiten der Medien, der Justiz, des Parlaments und der Bürger. Das Vorgehen Bolsonaros hat eine große Diskussion über die Zukunft Brasiliens ausgelöst: Bleibt es eine Demokratie oder driftet es in etwas Dunkles ab?SPIEGEL: Haben die Drohungen gegen Sie zugenommen?Greenwald: Die Drohungen sind Teil einer jahrelangen Kampagne gegen mich und meinen Ehemann David Miranda, der als Abgeordneter einer Linkspartei im Kongress sitzt. Wir benötigen deshalb bewaffnete Leibwächter und bewegen uns nur in gepanzerten Autos. Seit einem Jahr verlässt keiner von uns das Haus ohne bewaffnete Leibwächter. Es hängt viel politische Gewalt in der Luft.SPIEGEL: Sind Sie zuversichtlich, dass die Justiz in Ihrem Fall fair und unabhängig entscheidet?Greenwald: Wenn ich nicht zuversichtlich wäre, hätte ich hier schon meine Zelte abgebrochen. Andererseits ist die brasilianische Justiz viel unabhängiger geworden. Viele Richter sind willens gegen die Exzesse der Regierung Bolsonaro und Sérgio Moro vorzugehen. Darauf setze ich meine Hoffnung.SPIEGEL: Sie besitzen noch viel Material, das Ihnen Ihre Quelle zugespielt hat. Wird es weitere Enthüllungen geben?Greenwald: Daran arbeiten wir gerade. Ich werde nicht aufhören zu berichten. Dieser Fall zeigt doch, wie viel Arbeit es gibt, wie korrupt die Behörden sind und wie sehr Transparenz nötig ist.SPIEGEL: Der Staatsanwalt wirft Ihnen auch vor, dass Sie finanziell von den Enthüllungen profitieren.Greenwald: Ich habe keine Ahnung, was der Staatsanwalt meint. Meine Quellen haben nie Geld gefordert, wir haben ihnen auch nie Geld gegeben. „The Intercept“ verkauft keine Anzeigen oder Abonnements.SPIEGEL: Fürchten Sie, dass Ihre Quellen verurteilt werden?Greenwald: Mehrere Leute sitzen bereits in Untersuchungshaft. Aber ich weiß nicht einmal, ob die Justiz gegen die Richtigen ermittelt. Wer immer die Informationen zugänglich gemacht hat, hat der brasilianischen Demokratie einen großen Dienst erwiesen.
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