Pyrotechnik-Vorstoß des HSV: Zündstoff – DER SPIEGEL – Sport

Am Dienstag gab es weißen Rauch vom DFB: Der Hamburger SV darf am Wochenende im Stadion eine vom Verein orchestrierte Pyroshow zeigen. Zehn Rauchtöpfe sollen am Samstag beim Heimspiel des Zweitligisten gegen den Karlsruher SC im Bereich zwischen der Nordtribüne und des Spielfelds abgebrannt werden.

Es ist der Versuch, in enger Zusammenarbeit mit der Ultraszene einen für alle Beteiligten akzeptablen Weg bei diesem heiklen Thema zu finden – einen Ausweg aus einem festgefahrenen Kreislauf, der wie folgt abläuft: Fans eines Vereins zünden Pyrotechnik im Stadion, Leuchtfackeln, Rauchtöpfe, manchmal Böller. Es folgt die Verurteilung der Vereine durch den Deutschen Fußball-Bund. Ein paar Tausend Euro Strafe hier, ein paar Zehntausend Euro da, jüngst gab es sogar eine Sanktion im sechsstelligen Bereich.Die einen verurteilen das Abfackeln als „schlimme Bilder, die niemand sehen will“. Andere feiern es als Teil der „lebendigen Fußballkultur“. Schon vor zehn Jahren wurde von 55 deutschen Ultragruppen die Kampagne „Pyrotechnik legalisieren! – Emotionen respektieren!“ gestartet, die Debatte ist aber noch viel älter.

Vom Fleck kam der deutsche Fußball bei diesem Thema bisher aber nicht so recht, es sind immer die gleichen unbeantworteten Fragen: Können immer härtere Strafen der Verwendung von Pyrotechnik in deutschen Stadien beikommen? Können Vereine überhaupt verhindern, dass ihre Anhänger die Utensilien ins Stadion schmuggeln? Und: Ist Pyrotechnik überhaupt ein Problem?Pyro ist vor allem eine Sache der Auswärtsfahrer, sagen die Vereine

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HSV-Fans brennen 2018 Pyrotechnik beim DFB-Pokalspiel in Wiesbaden ab
Thomas Frey/ picture alliance/dpa

„Pyrotechnik ist ein elementares Stilmittel der Ultrakultur, auf das diese Gruppen niemals verzichten werden“, sagt der HSV-Fanbeauftragte Cornelius Göbel, der das Projekt vorantreibt und dabei auch vom Vorstandsvorsitzenden Bernd Hoffmann unterstützt wird: „Sie sagen: ‚Ihr vermarktet doch unsere Choreos und die gute Stimmung und verdient damit viel Geld.‘ Und aus ihrer Sicht gehört Pyro eben auch dazu.“

„Der Status Quo ist für niemanden zufriedenstellend. Es gibt unter den Vereinen etliche, die nach neuen Wegen suchen.“

VfL Bochum

In einer SPIEGEL-Umfrage unter Erst- und Zweitligisten wird deutlich: Pyro ist vor allem eine Sache der Auswärtsfahrer. Der FC Bayern spricht von „zwei bis drei Fällen im Gästeblock pro Saison“, der VfL Bochum („neun Vorfälle im Gästebereich in der laufenden und der vergangenen Saison“), Borussia Mönchengladbach („der Einsatz von Pyrotechnik passiert zu 99 Prozent im Gastbereich“), RB Leipzig, Bayer Leverkusen und Hannover 96 sehen das ähnlich.140.000 Euro Strafe für den HSV nach einem Vorfall im Hamburger Derby

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Pyroeinsatz im Hamburger Derby
REUTERS

Die Pyroaktionen der Fans kosten die Vereine Geld. Eine kleine Strafenübersicht der vergangenen Saison:

In dieser Saison stachen vor allem die Strafen gegen den HSV und St. Pauli heraus, die das DFB-Sportgericht nach dem Derby verhängte: 140.000 Euro für den HSV, 90.000 Euro für den Stadtrivalen. Gegen dieses Urteil hat der Kontrollausschuss Einspruch eingelegt, er findet die Strafen zu niedrig. Am Rande der Urteilsverkündung sagte der DFB-Richter Hans E. Lorenz einen bemerkenswerten Satz: „Wir müssen akzeptieren, dass wir durch diese Urteile die Missstände nicht beseitigen können.“

„Man kann nicht vollends ausschließen, dass Pyrotechnik ihren Weg ins Stadion findet, wenn die kriminelle Energie hoch genug ist – beispielsweise durch Schmuggel von Pyrotechnik in Intimzonen oder Schuhsohlen.“

Auch einige Vereine sehen das so: Der FC Bayern hält Strafen für „kein wirksames Mittel“. HSV-Fanbeauftragter Göbel sagt: „Der bisher praktizierte Ansatz, durch hohe Strafen für die Vereine Druck auf die Anhängerschaft auszuüben, ist aus unserer Sicht nicht zielführend und bezwingt die Problematik nur kurzfristig.“Der DFB hat die Ausnahmegenehmigung für den HSV unter Auflagen erteilt. Der Test müsse durch „lokale Ordnungsbehörden uneingeschränkt genehmigt“ werden und der HSV sich klar „zu seiner Haftung und Verantwortung für den Fall eines Schadensereignisses“ bekennen. Die Hamburger Feuerwehr hatte den Antrag geprüft, die Innenbehörde wies ausdrücklich darauf hin, dass man „jeglichen Einsatz von Pyrotechnik im Zuschauerbereich von Stadien“ nach wie vor ablehne.

„Pyrotechnik hat unserer Auffassung nach nichts in einem Stadion zu suchen. Schon gar nicht unter Berücksichtigung dessen, dass wir viele Familien und Kinder im Stadion haben und die bislang bestehende friedliche Fankultur und das entsprechende Stadionerlebnis für all unsere Fans mit allen Mitteln aufrecht erhalten wollen.“

RB Leipzig

Besonders interessant wird am Samstag die Frage sein, ob die Ultras mitspielen. Oder ob sie den Vorstoß als weiteren Versuch der Eventisierung ihrer Fußballkultur sehen – und entsprechend gegensteuern. „Wir glauben, dass es grundsätzlich eine Akzeptanz innerhalb der Ultras für unseren Ansatz gibt“, sagt Göbel: „Wir sind im ständigen Austausch und uns sicher, dass bei unserem Test nicht im Hintergrund 20 Fackeln im Block gezündet werden.“Skeptischer wird das in Mönchengladbach gesehen: „Kontrollierte Pyrotechnik durch einen zugelassenen Pyrotechniker in einem gesicherten Bereich gemeinsam mit einem Feuerwehrmann in voller Montur, ist nicht das Bild, das die Ultras sich vorstellen.““Diese Spirale hat zu einer Radikalisierung geführt“

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Pyrotechnik beim HSV-Heimspiel gegen Borussia Mönchengladbach (2018)
DPA

Dass die Fronten im Pyrostreit verhärtet sind, hat der DFB auch selbst zu verantworten. Der Verband hatte 2011 einen runden Tisch mit Ultragruppierungen zum Thema Pyro platzen lassen. „Die abgebrochenen Gespräche von 2011 haben die Erzählung der Ultras genährt, dass Kompromisse und Gespräche mit dem Verband nicht funktionieren“, sagt Politikwissenschaftler Jonas Gabler, der sich seit zehn Jahren mit Fußballfankultur beschäftigt: „In der Folge hatten viele Gruppen erst recht Pyrotechnik gezündet, das führte wiederum zu einem Schulterschluss von Verband, Polizei und Vereinen gegen Pyrotechnik. Diese Spirale hat zu einer Radikalisierung geführt und bei den Ultras eine starke Widerstandsmentalität gefördert. Das war ein Fehler des Verbands und der Politik, mit deren Folgen man immer noch zu kämpfen hat.“Uneinig sind sich nicht nur Verband und Ultras beim Thema Pyrotechnik, sondern auch die Klubs in der Bewertung des Hamburger Vorstoßes. Hoffenheim hält „nichts“ davon, Hannover sieht Pyrotechnik „aus gutem Grund“ verboten, „weil es die Sicherheit der Zuschauer gefährdet“. Mönchengladbach glaubt, der Vorstoß „konterkariere die große Linie der Sicherheitsbeauftragten und des DFB“. In Leipzig hat man eine „Null-Toleranz-Haltung“.

„Es gibt keine Alternative zu einem ligaweiten Konsens.“

1. FC Köln

Andere Vereine sind dem HSV-Vorstoß gegenüber aufgeschlossener. Einer davon ist der FC Schalke 04, der bereits selbst mehrere, mit allen Beteiligten abgestimmte Pyro-Choreografien erlaubt hat. Man beobachte die Situation in Hamburg interessiert. Bochum verfolgt jedweden „alternativen Vorstoß mit Interesse“. Darmstadt, das ebenfalls kleinere Pyroaktionen im Stadion genehmigt hat, teilt mit: „Wenn es in Absprache mit den Behörden möglich ist, die Sicherheit aller Stadionbesucher zu gewährleisten, stehen wir derartigen Vorstößen wohlwollend gegenüber.“ Heidenheim findet den Ansatz „sehr spannend“.139 Verletzte durch Pyrotechnik in der vergangenen Saison

Pyro im Volksparkstadion
DPA

Gern hätte man die Sichtweise derjenigen erfahren, die regelmäßig im Stadion Pyros abbrennen. Doch es gehört zum Selbstverständnis der meisten Ultragruppen, sich Journalisten gegenüber nicht zu erklären. Viele befragte Vereine berichten, dass das Thema in ihren Fanszenen kontrovers diskutiert werde. Das Hamburger Fanprojekt teilt auf Anfrage mit: „Natürlich gibt es keine einheitliche Meinung zu Pyrotechnik im Stadion. Die einen sind dafür, andere strikt dagegen, viele befürworten Pyrotechnik unter bestimmten Voraussetzungen.“ Fanforscher Gabler sagt: „Je nachdem, wie nahe Fans den Ultras stehen, ob gedanklich oder im Stadion, steigt die Akzeptanz. Die Diskussion wird dann differenzierter.“

„Viele unserer Fans stehen der Atmosphäre, die mit einem sicheren Umgang mit Pyrotechnik geschaffen wird, offen gegenüber, lehnen sie aber aufgrund der Geldstrafen ab. Grundsätzliche Gegner sorgen sich vornehmlich um die Sicherheit.“

Darmstadt 98

Gefahr ist das entscheidende Thema bei Pyrotechnik. Laut dem „Jahresbericht Fußball“ der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze, die unter Fans umstritten ist, gab es in der vergangenen Saison in der 1. und 2. Bundesliga unter Polizisten, Fans, Unbeteiligten und Ordnern 139 Verletzte durch Pyrotechnik. In der Saison davor waren es 25 gewesen. Der große Sprung lässt sich zum Teil durch einen Vorfall erklären: 75 Polizisten hatten im Juni nach einem Fanmarsch von Hertha BSC über Verletzungen durch Rauch geklagt.Eine Zunahme von Pyrovorfällen in ihren Stadien verneinten die meisten Vereine. Die Gesamtzahl der bei Bundesligaspielen Verletzten betrug laut ZIS-Statistik in der vergangenen Saison 1127 Personen. HSV-Mann Göbel sagt: „Natürlich gibt es auch HSV-Fans, die Pyros ablehnen, oder Stadionbesucher, die sich über die Rauchentwicklung beschweren.“ Es sei völlig klar, dass unkontrolliert gezündete Pyrotechnik im Block gefährlich sei. „Insbesondere wenn Pyrotechnik geworfen oder in Form von Böllern eingesetzt wird. Auch Leuchtspuren haben keine Akzeptanz“, sagt Göbel: „Da ziehen wir eine ganz klare Linie.“
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