Sextapes von Macrons Wunschkandidat: Affaire fatale – DER SPIEGEL – Politik

Irgendwann waren die Dinge am vergangenen Freitag wohl nicht mehr aufzuhalten, irgendwann entschied Benjamin Griveaux, mit zitternder Stimme seinen Rücktritt als Bürgermeisterkandidat von Paris zu verkünden. Aus Rücksicht auf seine Familie, so sagte er, und weil er ihr all das, was jetzt noch kommen würde, bliebe er Kandidat, nicht mehr zumuten wolle. 

Zehntausende hatten bis dahin schon ein Video gesehen, das den ehemaligen Regierungssprecher und Vertrauten von Emmanuel Macron angeblich beim Masturbieren zeigt. Griveaux, so hieß es, soll sich selbst gefilmt haben, um die Sequenz einer jungen Frau zu schicken, mit der er ein Verhältnis gehabt habe. Der Politiker dementierte den Vorgang nicht, bestätigte aber auch nicht die Echtheit der Aufnahmen. Am Samstag ließ er über seinen Anwalt eine Anzeige gegen unbekannt wegen „Verletzung des Privatlebens“ erstatten.  Außereheliche Affären waren bisher in Frankreich kein Rücktrittsgrund für Politiker, allerdings gab es auch noch nie so ausführliches Bildmaterial dazu. Nun aber war seit Dienstag der Penis von Griveaux auf der erst vor Kurzem gegründeten Website Pornopolitique.com zu sehen – das zumindest behauptete der Betreiber der Seite, der russische Aktivist Piotr Pavlenski. 

Angriff auf das heilige PrivatlebenPavlenski wurde bekannt durch spektakuläre Protestaktionen: Aus Solidarität mit den verfolgten Mitgliedern von Pussy Riot ließ er sich den Mund zunähen. Ende 2013 nagelte er die Haut seines Hodensacks auf dem Roten Platz in Moskau fest – als, so erklärte er,  Geste des Protestes gegen die Machtpolitik Putins. Mittlerweile gibt es nur noch wenig Zweifel daran, dass der Russe auch hinter der Veröffentlichung der Sexvideos steht. 

Bereits Anfang der Woche hatte Pavlenski die Filme bei einem Treffen in Paris zwei Journalistinnen des französischen Internetportals „Mediapart“ angeboten und auch einen Kontakt zu der angeblichen Geliebten von Griveaux in Aussicht gestellt. Die Journalistinnen schauten sich das angebotene Material an und lehnten dankend ab, weil „das Privatleben von Politikern heilig ist“, wie sie später in der Nachrichtensendung C-News erklärten. 

Die Freundin als KomplizinEinen Tag später waren die Videos dann auf Pornopolitique.com zu sehen. Der Russe begründete die Veröffentlichung mit der Scheinheiligkeit des Politikers Griveaux, der sich im Wahlkampf um das Pariser Rathaus als vorbildlicher Familienvater dargestellt und „traditionelle Familienwerte für seine politische Propaganda“ benutzt habe. Griveaux ist mit einer 38 Jahre alten Anwältin verheiratet und Vater zweier kleiner Kinder. Im vergangenen Frühjahr ließ er sich mit seiner damals im siebten Monat schwangeren Frau für das Wochenmagazin „Paris Match“ fotografieren. In der Tat war das Motiv des liebenden, fürsorglichen Familienvaters fester Bestandteil seiner Kampagne und wohl auch der Versuch, seinem Image als arrogant und kalt wirkender Politiker entgegenzuwirken.  

Wenn nun aber stimmt, was französische Zeitungen seit dem frühen Sonntagmorgen schreiben, dann ist Griveaux Opfer einer der schmutzigsten Kampagnen geworden, die es im politischen Frankreich je gab. Denn am Wochenende wurde nicht nur der seit einiger Zeit in Frankreich lebende Piotr Pavlenski festgenommen. Auch seine Freundin, eine angeblich 29-jährige Französin aus Metz, wurde, zunächst nur als Zeugin, von der Polizei befragt. Anschließend nahm man auch sie vorübergehend fest. Vieles spricht wohl dafür, dass sie die Empfängerin der Sexvideos war und gezielt von Pavlenski auf den Politiker Griveaux angesetzt wurde. Angeblich waren der Russe und die Französin seit über einem Jahr ein Paar. Solidarität mit GriveauxDas Entsetzen über die Sextapes und ihre Folgen ist groß im politischen Paris. Politiker aller Parteien erklärten sich am Wochenende solidarisch mit Griveaux; selten war sich die politische Klasse in den vergangenen Wochen, die vom Streit um die umstrittene Rentenreform geprägt waren, so einig. Mit Griveaux stürzt nun zum ersten Mal ein Politiker über Vorgänge aus dem in Frankreich so heiligen Privatleben, die keinerlei strafrechtliche Relevanz haben. „Diese Episode steht auf außergewöhnliche Weise für die Amerikanisierung des politischen Lebens in Frankreich“, schrieb „Le Monde“ in seiner Samstagsausgabe. Nach Griveaux‘ Rückzug bleiben zwei Fragen: Erstens, warum konnte sich der Macron-Vertraute Griveaux so sicher fühlen, intime Videos zu verschicken, sollten diese tatsächlich von ihm stammen – aus Hybris, Naivität oder Dummheit? Und  zweitens, gehen die Sextapes tatsächlich nur auf den Aktivisten Piotr Pavlenski und seine mittlerweile ebenfalls verhaftete Freundin zurück – oder werden die Ermittlungen in den kommenden Tagen noch zu weiteren Mittätern führen? 

Macrons Regierungspartei sucht derweil einen Ersatzkandidaten für die Bürgermeisterwahl, bis Anfang kommender Woche soll er oder sie benannt sein. Die Chancen, das Pariser Rathaus zu erobern, stehen nun noch schlechter für La République en marche (LREM). Der erste Wahlgang für die Kommunalwahlen findet schon in einem Monat, am 15. März statt. Bereits Griveaux landete laut einer Umfrage aus dem Januar nur abgeschlagen auf Platz drei, hinter der amtierenden sozialistischen Bürgermeisterin Anne Hidalgo und der konservativen ehemaligen Justizministerin Rachida Dati. Es ist wenig wahrscheinlich, dass es einem anderen Kandidaten oder einer Kandidatin gelingen könnte, das Rennen in kurzer Zeit noch zu drehen. So könnten die Kommunalwahlen zur nächsten großen Niederlage für die Regierungspartei werden, bisher hat LREM wenig Aussichten, in einer der größeren Städte des Landes zu gewinnen. Und auch in kleineren Gemeinden und Orten ist die junge Partei kaum verankert. Die Hauptstadt Paris, in der einst Jacques Chirac im Rathaus saß, bevor er ins Elysée einzog, könnte seine amtierende Bürgermeisterin Hidalgo behalten – zumal sie wohl mit der Unterstützung der Grünen rechnen kann.
Icon: Der Spiegel

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