Ungarn: Orbán will Oettinger anheuern – DER SPIEGEL – Politik

Eine Frage, über die in Brüssel stets gerätselt wird, ist diese: Welchen neuen Job wird der ehemalige deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) nach seinem Abschied aus der EU-Hauptstadt annehmen?

Oettinger war kurz als neuer Chef des kriselnden Automobilverbandes VDA im Gespräch, er selbst betonte immer wieder, er wolle eine Beratungsfirma gründen und sich dann seine Klienten aussuchen.Einer davon könnte nun offenbar Viktor Orbán heißen.Ungarns umstrittener Regierungschef will Oettinger als Co-Vorsitzenden für seinen neu gegründeten Nationalen Rat für Wissenschaftspolitik gewinnen, berichten ungarische Medien. Das Gremium soll demnach die Regierung in Forschungsfragen beraten und die Vergabe von Geldern überwachen, nachdem die Regierung Orbáns im vergangenen Jahr die staatliche Kontrolle über zahlreiche Forschungsinstitute verschärft hatte.

Oettinger bestätigte im Gespräch mit dem SPIEGEL entsprechende Berichte: „Ich bin selbstverständlich bereit, meine Erfahrung einzubringen, und prüfe das Angebot genau“, so der CDU-Politiker. Oettinger war diese Woche zu Gesprächen in Budapest, hat aber noch keinen Vertrag unterschrieben. Unklar ist, ob der Posten bezahlt sein wird.

Das Angebot ist aus vielen Gründen problematisch, immerhin wird Orbán vorgeworfen, die Wissenschaftsfreiheit in seinem Land immer stärker einzuschränken. Zuletzt musste die „Central European University“ des aus Ungarn stammenden US-Milliardärs George Soros ihre internationalen Studienprogramme auf Druck der ungarischen Regierung nach Wien verlegen.

Zudem verabschiedete das Parlament in Budapest im vergangenen Jahr ein Gesetz, mit dem Forschungsinstitute aus der Akademie der Wissenschaft herausgelöst und stärker unter staatliche Kontrolle gestellt werden sollten. Ungarns Regierung begründete den Schritt mit dem Wunsch nach mehr Effizienz, andere vermuteten hinter dem Vorstoß eher den Versuch Orbáns, kritische Wissenschaftler zum Schweigen zu bringen.Der neue Rat für Wissenschaftspolitik ist ein weiterer Baustein im Umbau des akademischen Systems. Oettinger wäre das einzige Mitglied in dem Gremium, das nicht aus Ungarn stammt.Der frühere baden-württembergische Ministerpräsident betonte, er wolle sich auf keinen Fall für Orbáns Feldzug gegen unabhängige Wissenschaftler einspannen lassen. „Ich werde nicht für ein Gremium arbeiten, das die Wissenschaftsfreiheit nicht genügend achtet“, sagte er. Er wolle sich nun das Statut des Rates anschauen und weitere Informationen zukommen lassen. Zu den Mitgliedern des Rates soll laut ungarischen Medien unter anderem auch der Direktor eines Max-Planck-Instituts zählen.

Grundsätzlich hat Oettinger aus seiner Nähe zu Orbán nie einen Hehl gemacht – trotz zum Teil heftiger Kritik. Im Mai 2016 beispielsweise flog er in einem Privatflieger mit dem kremlnahen Lobbyisten Klaus Mangold zu einem Treffen mit Orbán. Oettinger sagte damals, es habe keinen passenden Linienflug nach Budapest gegeben.Unvergessen auch das Argument, mit dem Oettinger Vorwürfe konterte, er habe den Treff mit Mangold nicht als Lobbytermin veröffentlicht, wozu er eigentlich verpflichtet gewesen wäre: Es habe sich dabei nicht um ein Gespräch gehandelt, sondern um einen Mitflug, teilte Oettinger mit.Europaparlamentarier sehen Oettingers künftiges Engagement kritisch. „Herr Oettinger sollte sich genau überlegen, ob er in die Dienste eines Regierungschefs tritt, der die Wissenschaftsfreiheit mit Füßen tritt“, sagt etwa Daniel Freund von den Grünen.   Da Oettinger seinen Job als EU-Kommissar erst vor Kurzem beendete, muss auch die EU-Kommission grünes Licht geben, bevor er einen möglichen neuen Posten antreten darf.
Icon: Der Spiegel

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