Hamburg-Wahl: Chaotisch-Demoralisierte Union – die CDU stürzt ab – DER SPIEGEL – Politik

Immerhin nicht einstellig. Darüber sind sie an diesem Abend schon froh in der CDU-Zentrale. Es ist ein so katastrophales Ergebnis für die Christdemokraten bei der Hamburger Bürgerschaftswahl, dass selbst Generalsekretär Paul Ziemiak, dessen Aufgabe es eigentlich ist, auch die schlimmsten Zahlen noch ein wenig schön zu reden, sagt, es gebe „nichts schön zu reden“. Ein „bitterer“ Tag für seine Partei. Aber Ziemiak hat es auch mächtig eilig, schon nach gut anderthalb Minuten ist sein Statement beendet, Fragen sind nicht zugelassen.

Die CDU ist an diesem Abend auch eine ziemlich sprachlose Partei.Die gut elf Prozent in der Stadt, in der Ole von Beust 2008 noch fast 43 Prozent holte, bedeuten das zweitschlechteste Unionsergebnis bei Landtagswahlen, nur 1951 in Bremen schnitt man mit neun Prozent noch mieser ab. Aber nach den katastrophalen vergangenen Wochen hätte es eben sogar noch schlimmer kommen können.

Vor allem wegen Thüringen. „Das, was in Thüringen passiert ist und alle Diskussionen, die mit Thüringen in Zusammenhang waren, waren alles andere als Rückenwind für die Wahlkämpfer der CDU in Hamburg.“ So drückt es Generalsekretär Ziemiak in seiner Kurzbewertung aus.

In Thüringen hat die dortige CDU-Landtagsfraktion in den vergangenen Wochen ohne Ende politisches Kapital zerstört, das fliegt der Partei nun bundesweit um die Ohren. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass sich die CDU-Zentrale und namentlich die Noch-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer in der Causa ebensowenig mit Ruhm bekleckert haben. Kramp-Karrenbauer hat das so geschwächt, dass sie vor zwei Wochen überraschend ihren Verzicht auf die nächste Kanzlerkandidatur der Union und bis Ende des Jahres ihren Abschied als CDU-Chefin verkündete.Thüringen und die Vorsitzenden-Frage quälen die CDU noch viel mehr als das Hamburger ErgebnisWie klärt sich das Thüringer Problem, und wer führt künftig die Partei an? Das sind die Fragen, die die Partei am Sonntagabend noch viel mehr quälen als das katastrophale Ergebnis in Hamburg.

Aber der Reihe nach: In Thüringen, zur Erinnerung, hat zunächst die dortige CDU-Landtagsfraktion gemeinsam mit der AfD und der FDP den Liberalen Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten gewählt – gegen den ausdrücklichen Ratschlag der Bundespartei. Ein Teil der Erfurter CDU-Fraktion sieht darin bis heute kein Fehlverhalten. Der Vorschlag des Ex-Ministerpräsidenten Bodo Ramelow von der Linkspartei, die frühere CDU-Regierungschefin Christine Lieberknecht kommissarisch ins Amt zu wählen, um dann rasch Neuwahlen herbeizuführen, scheiterte allerdings ebenfalls an den christdemokratischen Abgeordneten. Dabei hätte dies die Bundespartei unter bestimmten Voraussetzungen akzeptiert – im Gegensatz zum aktuellen Plan der CDU-Fraktion, Linken-Mann Ramelow mit den für eine Mehrheit fehlenden Stimmen wieder ins Amt zu wählen.

„Dass die CDU vier Monate lang eine Regierungsbildung verhindert, ist das schlimmste, was wir den Bürgern bieten können“, sagt ein führender Christdemokrat. So ist die Lage.

Aber diese Lage ist eben mitnichten geklärt. Generalsekretär Ziemiak und andere Spitzen-Christdemokraten hatten am Samstag an den Bundesparteitagsbeschluss der CDU erinnert, laut dem politische Zusammenarbeit weder mit der Linkspartei noch der AfD erlaubt ist, und klar gestellt, dass der neue Plan der Thüringer Parteifreunde nicht akzeptabel sei.Darunter war auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, einer der möglichen Kandidaten für die Kramp-Karrenbauer-Nachfolge, die am Ende wohl auch die Unionskanzlerkandidatur bedeuten wird. Offiziell den Arm gehoben hat bislang nämlich nur der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen. Spahn und der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet werden zwar gehandelt als Bewerber und haben in der vergangenen Woche sogar Gespräche dazu mit der Noch-Parteichefin geführt, genau wie der Dritte im Bunde, Ex-Unionsfraktionschef Friedrich Merz. Aber auch wenn Merz sein Interesse zumindest über Umwege bekundete – offiziell hat noch keiner aus dem Trio seine Kandidatur für den CDU-Vorsitz erklärt.Wie könnte eine Teamlösung aussehen?Merz will unbedingt antreten, Laschet eigentlich nur, wenn er keinen Gegenkandidaten hat (was mit Röttgens Bewerbung ohnehin obsolet ist), Spahn wäre wohl bereit, auf eine Kandidatur zu verzichten, wenn es die sogenannte Teamlösung gibt. Wie die allerdings aussehen soll und wer dabei am Ende Parteivorsitzender würde, ist die knifflige Frage, die offenbar nie oder noch nicht geklärt werden kann. Ein offenes Rennen mehrerer Kandidaten, glauben viele Spitzenchristdemokraten, würde der Partei jedenfalls schaden.Und so schlittert die Partei mit einer sich selbst der Restautorität beraubten Vorsitzenden und einem unklaren Nachfolgetableau in die Woche nach der Hamburg-Pleite, in der sich erst recht die Frage stellt: Und was wird nun mit Thüringen?Es geht wohl am Ende um eine Grundsatzfrage, die die Partei spalten könnte: Soll man mit der Linken künftig zusammenarbeiten, aber auf Distanz zu AfD bleiben, allein aus staatspolitischer Verantwortung? Die Meinungen dazu gehen weit auseinander.

Am Montagvormittag, wenn zunächst das CDU-Präsidium und anschließend der Bundesvorstand tagen, will Kramp-Karrenbauer den Fahrplan für ihre Nachfolgeregelung vorlegen. Aber da die Verständigung der Herren Merz, Laschet und Spahn noch nicht abgeschlossen scheint, dürfte sie erstmal nur die Sache mit dem Sonderparteitag erörtern: Den wird es im Frühsommer, ob nun mit einem oder mehreren Kandidaten, zur Vorsitzendenwahl wohl in jedem Fall geben.Niemand in der Thüringer CDU hat ProkuraUnd auch Thüringen wird am Montag Thema in den Gremien sein, zumal mit Präsidiumsmitglied Mike Mohring der amtierende Fraktions- und Landeschef im Konrad-Adenauer-Haus erwartet wird. Allerdings wünscht sich mancher aus der CDU-Spitze eher jemanden mit Prokura, um den Fortgang in Thüringen zu besprechen: Mohring wird aus beiden Ämtern ausscheiden und hat in den vergangenen Monaten aus Sicht der Bundes-CDU ohnehin wenig zur Lösung des Problems beigetragen.Nur: Es gibt in der Landtagsfraktion und auch sonst in der Thüringer CDU niemanden, der auch nur ansatzweise Prokura hätte.Mancher würde allerdings behaupten, in der Bundespartei sei es aktuell auch nicht viel besser.
Icon: Der Spiegel

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