Krisensitzung am Wochenende Handballnationaltrainer Prokop vor dem Aus

Christian Prokop wird für das schlechte Abschneiden bei der EM verantwortlich gemacht, die Nationalspieler stellen sich gegen den Trainer. Jetzt soll die Entscheidung fallen, ob er bleibt. Wahrscheinlich ist das nicht.

Handball-Nationaltrainer Prokop

Freitag, 16.02.2018  
12:42 Uhr

Vergangenen Freitag feierte Hans Robert Hanning, in der Welt des Handballs stets „Bob“ genannt, in einem Berliner Restaurant seinen 50. Geburtstag. Unter den Gästen war auch der Trainer Dagur Sigurdsson, mit dem Hanning mit den Füchsen Berlin (Pokalsieger 2014, EHF-Pokalsieger 2015) und mit der deutschen Nationalmannschaft (Europameister 2016) große Erfolge gefeiert hatte.

Sigurdsson, der inzwischen die japanische Nationalmannschaft coacht, flog eigens ein und begrüßte den Jubilar – so berichten es jedenfalls Gäste, die dabei waren – mit einer Portion isländischem Charme: „Herzlichen Glückwunsch. Wenn ihr Christian Prokop entlasst, kannst du ja gleich mit zurücktreten.“

In den vergangenen Jahren hat sich Hanning als starker Mann im deutschen Handball positioniert – und als Sprachrohr. In der Szene können sich viele eine Handball-Welt ohne Hanning kaum mehr vorstellen.

Exakt dies scheint nun jedoch möglich, da Hanning in der Aufarbeitung des EM-Desasters, wie Eingeweihte berichten, sein Schicksal als Vizepräsident des Deutschen Handballbundes (DHB) mit der Zukunft des Bundestrainers Christian Prokop verknüpft. Hanning hatte Prokop fast im Alleingang mit einem Fünfjahresvertrag bis 2022 ausgestattet. „Unser Wunsch ist, mit Christian Prokop weiterzuarbeiten“, hatte Hanning in Kroatien gesagt.

Bob Hanning

Doch momentan erscheint es nur noch als theoretische Option, dass Prokop die Nationalmannschaft auch bei der Heim-Weltmeisterschaft im Januar 2019 trainiert.

Noch versuchen einige Verantwortliche wie der DHB-Sportvorstand Axel Kromer, den tiefen Graben zwischen Mannschaft und Coach zu schließen. Das Duo Kromer/Hanning will nach Informationen des SPIEGEL am Wochenende am Hamburger Flughafen weitere Gespräche mit wichtigen Nationalspielern führen, darunter Andreas Wolff, Steffen Weinhold, Patrick Wiencek (alle THW Kiel) und Hendrik Pekeler (Rhein-Neckar Löwen). Am Montag trifft sich das DHB-Präsidium in Hannover, um über die Zukunft des Bundestrainers zu beraten.

„Es wird zeitnah eine Präsidiumssitzung stattfinden“, bestätigt DHB-Vorstandschef Mark Schober, der die aktuellen Entwicklungen aber nicht kommentieren wollte. „Noch ist gar nichts entschieden“, sagt Uwe Schwenker, dem als Präsidenten der Handball-Bundesliga eine Schlüsselrolle als Moderator zwischen DHB und Liga zukommt. Die Lage ist ausgesprochen heikel.

Es habe bei der EM „irgendwie nicht gepasst“, sagte Julius Kühn (Melsungen) in der „Hessischen Niedersächsischen Allgemeinen“. „Wir waren als Mannschaft davon überrascht, dass er Finn Lemke zunächst nicht nominiert hat.“ So wie die gesamte Handball-Öffentlichkeit, da Lemke in der Hierarchie des Teams einen zentralen Part einnahm.

Co-Trainer Alexander Haase soll dem Bundestrainer lange zugeredet haben, den Abwehrchef mitzunehmen, vergeblich. Prokop sei beratungsresistent, werfen ihm Kritiker vor. Wichtige Spieler der Mannschaft, auch das wird immer klarer, wollen unter Prokop nicht weiterarbeiten. Sie trauen dem Trainer nicht zu, dem großen Druck einer Heim-WM standzuhalten, auch für sein taktisches Dauerfeuer während des Trainings und in den Auszeiten entwickeln sie wenig Verständnis.

Sollte das DHB-Präsidium dennoch an Prokop festhalten, drohen Rücktritte vieler Leistungsträger. In diesem Fall stünde ein angeschlagener Bundestrainer vor den Trümmern einer Mannschaft. Kaum vorstellbar, dass er mit nur wenigen Freundschaftsländerspielen, die noch bleiben, eine schlagkräftige Truppe für die WM aufbauen kann.

Finn Lemke

So oder so steht der deutsche Handball vor einer Zäsur. Das Problem für den DHB besteht darin, dass eine Freistellung Prokops mehr als eine Million Euro kosten könnte. 400.000 Euro müsste der Verband sofort abschreiben, da der Plan gescheitert wäre, die Ablösesumme in Höhe von einer halben Million auf die fünf Vertragsjahre Prokops zu verteilen. Und dann sind da noch die ausstehenden Gehälter, die die „Sport Bild“ auf rund 220.000 Euro pro Jahr taxiert.

Der DHB könne sich eine Freistellung des Bundestrainers leisten, hat Hanning zwar nach der EM im ZDF-Sportstudio erklärt. Doch für einen Verband, der deutlich weniger als zehn Millionen Euro Jahresumsatz erzielt, wäre das ein schwerer finanzieller Rückschlag. Finanzielle Erwägungen dürften in der Bundestrainerfrage keine Rolle spielen, sagt Axel Geerken, der Manager der MT Melsungen. „Wenn man nur vor diesem Hintergrund mit Prokop weitermacht, dann ist die Gefahr groß, dass die Folgen der Weltmeisterschaft für den deutschen Handball noch viel teurer werden.“

Bei einer ähnlichen Platzierung wie bei der EM (Rang neun) wäre die von Hanning seit Jahren ausgegebene Vision vom Olympiasieg 2020 schon im Januar 2019 utopisch. Der deutsche Handball steht an einem Scheideweg.

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