„Maybrit Illner“ zu Tafeln „Wir brauchen eine Atempause“

Maybrit Illner wollte zum Tafel-Streit diskutieren – und lenkte die Debatte fast unwidersprochen zurück zur Flüchtlingsfrage. Der Gast, der eventuell für einen sinnvolleren Drall hätte sorgen können, sagte kurzfristig ab.

ZDF/Svea Pietschmann
Moderatorin Illner (3.v.l.) mit ihren Gästen

Freitag, 09.03.2018  
03:03 Uhr

„Das Verhalten der Leute, dieses Geschiebe und Geschubse, hat zum Unwohlsein der anderen geführt, die jetzt nicht mehr kommen.“ Das sagte Jörg Sartor über die Tafel in Essen – er könnte damit aber auch die SPD gemeint haben.

Angekündigt und eingeladen zu „Maybrit Illner“ war Franziska Giffey von der SPD, wo derzeit großes Geschiebe und Geschubse um Ministerien und Posten herrscht. Weshalb die designierte Familienministerin, wie Illner sagt, „heute Abend was anderes zu tun“ hat und nicht komme.

An ihrer Stelle und mit Verspätung aus Stuttgart eingeflogen wird Leni Breymaier, um die Position der Sozialdemokratie zu vertreten: Der „eigentliche Konflikt, den wir in dieser Gesellschaft haben, ist der zwischen Reich und Arm“. Illner: „Da spricht die SPD-Politikerin.“ Gags darüber, dass SPD-Kanzler Gerhartz IV Schröder im Grunde als Vater der Tafel gefeiert werden müsste, kommen nicht so gut an.

Hübsch auch, dass in letzter Zeit so viele vierschrötige Anpacker im Fernsehen zu sehen sind, mit unmöglichen Stachelfrisuren, Kassengestellen und Dialekt, die eigentlichen Macher der Tafeln – sozialdemokratische Urgesteine der Kieselklasse sozusagen. Diesmal ist es Rudi Löffelsend von der Flüchtlingshilfe der Caritas, der pragmatisch aus seiner Praxis berichtet.

Darum aber geht es Illner an diesem Abend nicht. Anders als bei „Hart aber fair“ am Montag dreht die Moderatorin ihre Sendung zunächst konsequent weg von der Armuts- und hin zur Flüchtlingsfrage. Da kann Annalena Baerbock, „frisch bestallte Parteivorsitzende bei den Grünen“ (Illner), noch so gerne „das grundsätzliche Problem“ thematisieren wollen: „Warum kommen so viele Menschen an die Tafel?“

Illner bleibt hart: „Verdienen junge Männer, die sich im Zweifel etwas dazuverdienen können, die gleiche Fürsorge wie ein älterer Mensch oder eine Mutter mit zwei Kindern?“ Baerbock: „Wenn Sie mit ‚junge Männer‘ Flüchtlinge meinen“, tja, ja, klar. Grundgesetz. Kann man nichts machen. Aber, insistiert Illner: „Gibt der Staat den Flüchtlingen zu viel Geld?“

Das sieht nicht einmal Paul Ziemiak von der Jungen Union so: „Das ist ganz, ganz knapp zum Leben.“ Nicht gefällt ihm allerdings, dass von dem Knappen bisweilen noch deutsches Geld in die Heimat überwiesen werde, weshalb er bisweilen Sachleistungen für geboten hält. Solange das Asylverfahren noch geprüft werde und Flüchtlinge in den Aufnahmezentren lebten, „finde ich Sachleistungen richtig, um nicht zusätzliche Anreize zu schaffen“.

Breymaier hat neulich im Schaufenster ein Handtäschchen für 500 Euro gesehen und dann um die Ecke den Verkäufer der Obdachlosenzeitung, „das ist das Problem“. Ziemiak hält dagegen: „Das ist ein bisschen zu einfach, das ist Populismus.“ Der Anstieg von Tafeln sei „kein Anstieg von Armut“ in Deutschland. Sondern ein Zeichen dafür, dass „wir nicht vernünftig mit Lebensmitteln umgehen“.

Video aus Essen: „Viele sind überrascht, dass sie weggeschickt werden“

Ruhe in die Runde bringt die Theologin und Journalistin Friederike Sittler von der Initiative „Laib und Seele“ aus Berlin. Sie räumt ein: „Ich habe in dieser Sache meine gesamte Sozialromantik verloren“, stellt aber klar: „Es gibt keine Hilfe erster und zweiter Klasse“. Auch sie meint, was Ziemiak sagt, nämlich dass es keinen Hunger gebe in Deutschland: „Menschen, die zu uns kommen, machen sich das Leben ein bisschen leichter“, weil dann noch Geld übrig bleibe – sei’s für die Enkelin, sei’s für die Familie in Aleppo. Den Vorwurf, sie entlaste damit die Regierung, sieht sie nicht: „Wir machen damit die Armut auch sichtbar.“

Einen Logenplatz mit Blick auf die Armut in seiner Stadt hat auch Bernhard Matheis. Wenn schon Franziska Giffey, bis dato Bezirksbürgermeisterin von Neukölln, nichts beitragen mag zur Debatte, dann tut das eben der CDU-Bürgermeister vom anderen Ende der Republik. Denn nach Freiberg, Cottbus, Salzgitter, Delmenhorst und Wilhelmshaven gibt es nun auch in Pirmasens einen Zuzugsstopp für Geflüchtete. 42.000 Einwohner, Arbeitslosenquote von mehr als zwölf Prozent, rund 1300 Flüchtlinge.

Illner will ein wenig Empörung hervorkitzeln und wissen, ob Angela Merkel ihre „Jahrhundertaufgabe“ nun den Kommunen in den Schoß gelegt hätte. Matheis bejaht, sieht es aber sachlich: „Die Flüchtlinge sind jetzt dort angekommen, wo Integration stattfinden muss.“ Es sei auch nicht wahr, „dass wir keine weiteren Flüchtlinge aufnehmen wollen“. Wer die Integration stemmen wolle, müsse mit seinen Sorgen aber auch gehört werden.

So gebe es in Pirmasens – und sicher nicht nur dort – Kindergartengruppen mit 15 Kindern, in denen acht verschiedene Sprachen gesprochen werden. Eine vernünftige Arbeit sei unter solchen Bedingungen nicht mehr zu leisten, sagte Matheis, Königssteiner Schlüssel hin oder her: „Wir brauchen eine Atempause.“

Es wäre interessant gewesen zu sehen, ob es der künftigen Bundesfamilienministerin von der SPD gelungen wäre, dieser Sendung einen sinnvolleren Drall zu geben. So aber hat Maybrit Illner eine Diskussion, die andernorts längst schon wesentlich weiter ist, weitgehend unwidersprochen wieder auf die Flüchtlingsfrage zurückbiegen können. Bravo.

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