Wirtschaftsbilanz des Kreml Aufstieg und Fall der Putinomics

Wladimir Putin steuert am Sonntag auf eine vierte Amtszeit als Präsident zu. Nach 18 Jahren an der Macht fällt seine Wirtschaftsbilanz ernüchternd aus: Auf Russlands einst rasende Aufholjagd folgte Stagnation.

Samstag, 17.03.2018  
08:28 Uhr

Wladimir Putin steht bei den Präsidentschaftswahlen in Russland am Sonntag vor einem ungefährdeten Sieg. Umfragen sehen ihn bei über 60 Prozent. Die Mehrheit der Russen kann sich ein Russland ohne Putin nicht vorstellen.

Ähnlich unumstritten wie in der eigenen Bevölkerung war Putin lange auch bei einer entscheidenden Zielgruppe im Ausland: Westliche Wirtschaftsvertreter lobten bei jeder Gelegenheit Putins Errungenschaften und Absichten, die tatsächlichen wie die vermeintlichen. Nach den Parlamentswahlen 2011 etwa hatten gut dokumentierte Wahlfälschungen in Moskau bis zu hunderttausend Menschen auf die Straße getrieben. Der damalige Geschäftsführer des Ostausschusses der Deutschen Wirtschaft hingegen glaubte, sogar „die ersten freien Wahlen in Russland gesehen“ zu haben.

2013 dann – kurz nach dem drakonischen Urteil gegen Pussy Riot und zwei Wochen nach einer Razzia in einem russischen Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung – verkündete der damalige VW-Chef Martin Winterkorn in den „Tagesthemen“, Putin sei ein „Mann, der in Russland die Demokratie einführen will“.

Der Ton in der Wirtschaft ist inzwischen zurückhaltender. Die Entwicklung sei „ernüchternd“ gewesen seit Putins Rückkehr in den Kreml 2012, sagt Wolgang Büchele, Vorsitzender des Ostausschusses. Die ambitionierten Wahlversprechen des Kreml sei „mit den Rezepten der Vergangenheit nicht zu schaffen“, sondern nur „mit einem beherzten Kurswechsel“. Putin hatte vor der Wahl unter anderem angekündigt, die Armut im Land zu halbieren. Sie war zuletzt sprunghaft gestiegen.

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Putins Wirtschaftswunderland

Putin hatte sein Amt im Jahr 2000 mit der Agenda eines Wirtschaftsreformers angetreten. Es gehe um „die Prinzipien der Stärkung des Staates und der marktwirtschaftlichen Reformen“. In den zehn Jahren nach Putins Amtsantritt wuchs Russlands Wirtschaftsleistung in absoluten Zahlen von 260 Milliarden Dollar auf 1,9 Billionen Dollar, eine Verachtfachung. Die Arbeitslosigkeit sank auf fünf Prozent, die Einkommen wuchsen dreimal schneller als die Produktivität. 1999 lebten noch sechs Prozent der Russen von weniger als zwei Dollar pro Tag, anderthalb Jahrzehnte später kaum noch jemand.

Das war die Zeit, in der sich Wirtschaftsvertreter aus dem Westen angewöhnten, von Russlands großem Potenzial zu schwärmen. Erfüllt wurden die Erwartungen selten. Ein Beispiel: der russische Automarkt. Er ist ein passabler Indikator für die Entwicklung des Wohlstands in der breiten Bevölkerung – und der Grund, warum alle großen deutschen Autobauer über die Jahre eigene Fabriken in Russland gebaut haben.

Im Jahr 2007 rechnete der Wirtschaftsprüfungskonzern PWC vor, Russland mit seinen 140 Millionen Einwohnern werde bald schon Deutschland als größten Automarkt Europas ablösen. 2008 sollte es soweit sein. Als das Ereignis ausblieb, war die Rede von 2011, später 2013, zuletzt 2016. Auch die Boston Consulting Group war noch vor kurzem sicher, der russische Automarkt werde bis 2020 auf 4,4 Millionen Fahrzeuge anschwellen, getrieben von der boomenden Konjunktur.

Russlands BIP liegt heute auf dem Wert von 2008

Die Realität sieht anders aus. 2017 war der russische Automarkt mit 1,6 Millionen Neuzulassungen weiter entfernt vom Volumen des deutschen (3,45 Millionen) als im Jahr 2005. Da war Putin gerade einmal fünf Jahre im Amt.

Die Einnahmen aus Öl- und Gasverkäufen schieben die russische Konjunktur nicht mehr an. Schon 2013 – das Barrel Öl kostete noch 110 Dollar, Sanktionen waren nicht in Sicht – sank das Wachstum auf 1,3 Prozent. Als der Ölpreis dann 2014 auf 40 Dollar fiel, rutschte das Land in die längste Rezession seit den frühen Neunzigerjahren.

Der von manchen Beobachtern im Westen erwartete Zusammenbruch der wirtschaftlichen Ordnung blieb damals aus. Und: Einige Branchen haben in den vergangenen Jahren eine beachtliche Erfolge errungen. Russische IT-Firmen etwa zählen zu den innovativsten weltweit. Das Land hat auch im vergangenen Jahr die USA als größter Weizenexporteur abgelöst. Zum ersten Mal hat Russland mehr mit Agrarexporten verdient, als mit Waffenverkäufen (mehr über den Landwirtschafsboom erfahren Sie hier: „Sanktionen? Super!“).

Trotzdem wuchs die Wirtschaft 2017 gerade einmal 1,8 Prozent. Die Prognosen für 2018 und 2019 liegen bei 1,5 bis 2 Prozent. Für Russland, das eigentlich Augenhöhe mit den entwickelten Industrieländern sucht, ist das ein spärlicher Wert. In Dollar gerechnet lag die Wirtschaftskraft Russlands im vergangenen Jahr niedriger als im Jahr 2008 (siehe Grafiken).

Russlands Wirtschaft scheint regelmäßig an eine gläserne Decke zu stoßen – trotz ihres unbestritten großen Potenzials. Der Grund ist die Stärkung der Rolle des Staates in den vergangenen zwei Jahrzehnten. Um die Macht der Oligarchen und Räuberkapitalisten zu brechen, hat der Kreml immer mehr Wirtschaftsbereiche in Staatshand konzentriert. Damit wollte Putin die Probleme der Neunzigerjahre lösen.

Doch die Strategie, die zu Beginn seiner Präsidentschaft durchaus nachvollziehbar war, ist inzwischen selbst zum größten Problem geworden. Bis zu 70 Prozent der gesamten russischen Wirtschaftskraft entfallen heute auf schwerfällige, staatlich kontrollierte Strukturen. Um Russlands Wachstum zu entfesseln, müsse sich der Kreml „aus der Mehrheit seiner Industriebeteiligungen zurückziehen und mehr Wettbewerb zulassen“, fordert der Ostausschuss der Deutschen Wirtschaft.

Wahrscheinlich ist das nicht. Der seit Putins Amtsantritt im Jahr 2000 stetige Rückgang der Zahl der Armen im Land hat sich umgekehrt, seit 2014 steigt ihre Zahl wieder. Für das Ansehen des Präsidenten im Amt hat das bislang kaum spürbare Folgen. Putins Russland ließ nach dem Ölpreisverfall den Rubel gegen Euro und Dollar dramatisch abwerten. Das half der Wirtschaft, die Krise zu überstehen: Importe aus dem Ausland wurden teurer, russische Produzenten konkurrenzfähiger. Russlands Industrieproduktion wächst deshalb. Die Zeche zahlten allerdings die Bürger: Die Preise stiegen, die Kaufkraft von Einkommen und Renten ist stark gesunken.

Putins Rückhalt in der Bevölkerung ist dennoch ungebrochen. Zuletzt gaben 81 Prozent der Bevölkerung an, zufrieden zu sein dem Staatsoberhaupt.

Seit der Annexion der Krim im Jahr 2014 messen die meisten Russen Putin nicht mehr wie früher am Fortschritt der Wirtschaft – sondern zuerst an den tatsächlichen und vermeintlichen Erfolgen der russischen Außenpolitik. Der Druck, die Wirtschaftspolitik zu ändern, ist auch deshalb gering.

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