Die Lage am Samstag Liebe Leserin, lieber Leser,

Entfremdung ist ein bitteres Wort. Etwas war mal gut, Nähe, Zugehörigkeit, dann geht es auseinander. Man wird einander fremd. Das ist unser Titelthema, in der neuen Ausgabe des SPIEGEL. Deutsche, die lange in Deutschland leben, die sich zugehörig wähnten, als Deutsche mit Wurzeln in anderen Ländern, spüren eine neue Distanz, spüren Ablehnung, spüren die Entfremdung, die ihnen entgegenschlägt, von anderen Deutschen. Sie erkennen das im Fall Özil, sie kennen das aus ihren eigenen Leben. Im SPIEGEL sprechen sie darüber.

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Heft 31/2018

Die Özil-Affäre und das Problem mit der Integration

Wir haben aber auch den Eindruck, dass sich in der Mitte der Gesellschaft Widerstand erhebt, gegen die Entfremdung, gegen die Ablehnung, gegen den Rassismus und die Verrohung des Diskurses. Auch diese Menschen kommen im neuen Heft zu Wort.

Und natürlich geht es um Mesut Özil selbst, um seine Berater, den DFB, der sich so hilflos zeigte im Umgang mit dem ehemaligen Nationalspieler. Dessen Berater haben seinen Rücktritt sehr schlau inszeniert, choreografiert, ein bisschen oberschlau sicherlich. Gleichwohl, Özil ist das Symbol einer Entfremdung und einer Debatte, die hoffentlich zur Besinnung führt.

Die Zukunft der Verspätung

Harry Weber

Ich schreibe dieses Morning Briefing im Zug, in einem ICE von Hamburg nach Berlin, der bislang zehn Minuten Verspätung hat. Das ist noch maßvoll, aber es fehlt auch die Hälfte der Waggons, aus unbekannten Gründen, weshalb sich Fahrgäste um Sitzplätze gebalgt haben. Zwei Männer, aus der Mitte der Gesellschaft, einer davon Bayer, gerieten heftig in Streit, andere mischten sich ein. Deutsche Bahn 2018.

DER SPIEGEL

Im Video: Mit diesen Projekten will die Deutsche Bahn mehr Kunden gewinnen will.

Es soll besser werden, ja, diesmal wirklich. Versprochen war es ja schon oft. Mein Kollege Gerald Traufetter hat bei der Bahn recherchiert, wie deren Zukunft aussehen soll und damit auch unsere, als Fahrgäste. Digitalisierung soll alles besser machen, smarte Bahnstrecken, smarte Waggons. Wir werden sehen.

Die Seelenlage eines Feindbilds

Peter Frischmuth/ argus

Claudia Roth ist Grüne, ist Vizepräsidentin des Bundestags, ist Feindbild der Rechten. Im Parlament sitzt sie den Abgeordneten der AfD gegenüber, leitet die Sitzungen, in denen sie ausfallend werden. Aber in dieser Rolle muss Roth sich mäßigen, muss halbwegs neutral bleiben, was nicht gerade ihrem Naturell entspricht.

Meine Berliner Kollegin Ann-Katrin Müller hat Claudia Roth in der noch jungen Legislaturperiode häufig besucht, hat mit ihr über die Sitzungen, die Anfeindungen gesprochen, und natürlich ihre Seelenlage. Lesen Sie diesen Bericht über Verrohung und den Umgang mit Verrohung.

Hier im Zug hat sich eben der eine Mann, der Nicht-Bayer, beim anderen entschuldigt. Ein smarter Move, ein kleines Zeichen gegen die Verrohung. Die Mitte ist noch nicht ganz verloren.

Unser bester Rechner

Volker Lannert/ Universität Bonn

Ich weiß nicht, wie Sie in Mathe waren, ich hatte im Abitur eine 4. Zu spät habe ich begriffen, dass Mathematik viel mit Schönheit zu tun hat. Ein Mann, der diese Schönheit herstellen kann wie kaum ein zweiter, ist der Deutsche Peter Scholze, der schon als junger Mann Professor in Bonn ist. Er hat beste Aussichten, demnächst die Fields-Medaille zu bekommen, die höchste Auszeichnung für Mathematiker.

Eines seiner Themen sind perfektoide Räume, und nun erwarten Sie bitte nicht von mir, dass ich Ihnen erkläre, was das ist. Mit einer 4 ist das unmöglich. Mein Kollege Manfred Dworschak aus dem Ressort Wissenschaft hat garantiert besser abgeschnitten, jedenfalls hat er ein schönes, verständliches Porträt von Scholze geschrieben.

Der Schaffner kommt und sagt, die andere Hälfte des Zugs habe es wegen eines technischen Defekts nicht nach Hamburg geschafft. Sie stehe nun „irgendwo in der Walachei“.

Vater und Tochter

Dass es seltsame Zufälle gibt, wissen Sie, hören Sie oft. Hier kommt noch einer: Zufällig haben wir Bahman Nirumand und Mariam Lau im Blatt, Vater und Tochter, in zwei Geschichten, die nichts miteinander zu tun haben.

Egon Teske

Nirumand war 68er, ein Freund Rudi Dutschkes in Zeiten, als eher auf dem linken Flügel Verrohung sichtbar wurde. Zusammen wollten sie einen Sendemast sprengen, ließen das aber. Nirumand ist eine Nebenfigur in einer Geschichte von Michael Sontheimer, die mich ziemlich gerührt hat. Es geht um die freundschaftliche Beziehung der beiden Rudis, unseren Gründer Rudolf Augstein und Rudi Dutschke, den rebellischen Studentenführer.

Akten des Berliner Landesamts für Verfassungsschutz und des SPIEGEL-Archivs belegen, dass Augstein den SPIEGEL-Verlag angewiesen hatte, Dutschke über Jahre finanziell zu unterstützen. Nach einem Attentat war er gesundheitlich angeschlagen. Sontheimer zitiert Augstein mit dem Satz: „Man hilft doch gerne.“ Ein Satz gegen die Verrohung.

Jörg Carstensen/ DPA

Mariam Lau steht im Mittelpunkt einer Geschichte, die Jan Fleischhauer über die Wochenzeitung „Die Zeit“ geschrieben hat. Dort war ein Text von ihr erschienen, in dem sie die Arbeit der freiwilligen Helfer im Mittelmeer kritisch betrachtet. Für einen großen Teil der Leserschaft war das eine Zumutung, eine besonders hässliche Verrohung, vor allem die Überschrift „Oder soll man es lassen?“. Die „Zeit“ wurde mit Zorn überschüttet, was zu einigem Ärger in der Redaktion führte. Fleischhauer erzählt von den Hintergründen.

Wir sind in Berlin angekommen, die Walachei bleibt mir erspart. Die Verspätung wurde von zehn auf fünf Minuten gesenkt. Es geht aufwärts.

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Ich wünsche Ihnen ein sonniges Wochenende.

Ihr Dirk Kurbjuweit

Quelle