Nato-Forderungen an Deutschland Der Zwei-Prozent-Fetisch

Die Verteidigungsausgaben, welche die Nato von ihren Mitgliedern fordert, sind willkürlich und irrational. Trotzdem bleibt die Forderung berechtigt: Deutschland muss mehr für die Sicherheit Europas tun.

Reinhard Krause / REUTERS
Donald Trump beim Nato-Gipfel in Brüssel (2018)

Donnerstag, 04.04.2019  
17:57 Uhr

Vom ersten Nato-Generalsekretär Lord Ismay ist die Äußerung überliefert, das Bündnis sei gegründet worden, „um die Amerikaner drinnen, die Sowjets draußen und die Deutschen kleinzuhalten“. 70 Jahre nach Gründung der Allianz sind die ersten beiden Anliegen so aktuell wie eh und je. Das dritte, Deutschland betreffende, wurde dagegen von der Geschichte überholt, mehr noch, es hat sich in sein Gegenteil verkehrt.

Heute ist es zu einem der vordringlichsten Anliegen der Nato geworden, die Deutschen groß zu machen. Sie sollen, so sehen es die Alliierten, endlich damit aufhören, sich selbst kleinzuhalten und dafür jene militärischen Fähigkeiten entwickeln, die Deutschlands politischer und wirtschaftlicher Bedeutung entsprechen.

Das durfte Außenminister Heiko Maas in diesen Tagen in Washington erleben. Er wurde beim 70. Geburtstagsfeier des Bündnisses von den US-amerikanischen Vertretern, allen voran Vizepräsident Mike Pence regelrecht abgekanzelt.

Der Grund: Die jüngsten Haushaltspläne von Finanzminister Olaf Scholz (SPD) sehen zwar für das kommende Jahr einen Anstieg des Verteidigungsetats um 4,5 Prozent auf 45,1 Milliarden Euro vor. Mittelfristig ab 2021 plant Scholz aber, die Verteidigungsausgaben wieder zu senken. Rutscht Deutschland nicht in eine Rezession, würde es sich damit wieder weiter von dem Ziel entfernen, das sich die Alliierten beim Gipfel in Wales 2014 gesetzt hatten: „sich innerhalb von zehn Jahren auf den Richtwert von zwei Prozent“ ihrer Wirtschaftsleistung zuzubewegen.

Werden Scholz‘ Eckdaten umgesetzt, sinkt Deutschlands Quote von aktuell 1,37 im Jahr 2023 voraussichtlich wieder auf 1,23 Prozent. Und das, obwohl Kanzlerin Angela Merkel den Verbündeten im vergangenen Jahr zugesagt hatte, Deutschland werde bis 2024 zumindest 1,5 Prozent erreichen.

Die Bundesregierung wehrt die Kritik der Verbündeten ab: Sicherheit lasse sich nicht nur mit Verteidigungsausgaben messen, heißt es, dazu gehörten etwa auch Entwicklungspolitik oder diplomatische Initiativen, die Konflikte verhindern. Man müsse zudem die tatsächlichen Fähigkeiten berücksichtigen und die Bereitschaft, sich an internationalen Einsätzen zu beteiligen.

Das Zwei-Prozent-Ziel ist irrational

All das ist richtig: Das Zwei-Prozent-Ziel ist eine politische, keine militärische Zahl. Sie ist willkürlich gesetzt und richtet sich weder an den tatsächlichen Fähigkeiten noch am Bedarf der Allianz aus, sondern am Bruttosozialprodukt. Griechenland etwa gehört nur dank seiner schwachen Wirtschaftsleistung zu den Musterknaben der Nato. Das Zwei-Prozent-Ziel ist irrational.

Seit Donald Trump die Deutschen im Wochenrhythmus maßregelt, ist es zu einem Fetisch geworden. Und zum Symbol einer Allianz, die vor allem mit sich selbst beschäftigt ist.

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Hinzu kommt: Verteidigungsausgaben sind schwer einheitlich zu berechnen. Was genau zählt dazu? Und was nützen die Ausgaben der Nato? Frankreich etwa wendet allein 24 Prozent seines Verteidigungsetats für Pensionszahlungen auf, die USA stellen nur einen Bruchteil ihres gigantischen Rüstungsbudgets der Nato zur Verfügung, die Deutschen dagegen fast alles. Manche Länder zählen Aufwendungen für Polizei dazu, andere nicht.

In seinem Bericht „Dollars zählen oder Werte messen?“ schlug das renommierte Center for Strategic and International Studies (CSIS) im vergangenen Jahr eine Reihe von Kriterien vor, nach denen der Beitrag der Mitglieder zur Allianz bemessen werden könnte. Dazu zählten die Wissenschaftler etwa Einsatzbereitschaft und die tatsächliche Teilnahme an Nato-Einsätzen und Manövern, aber auch die Auswirkungen von Wirtschaftssanktionen gegen Nato-Gegner auf einzelne Mitglieder und die Aufnahme von Flüchtlingen.

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Sinnvoller als vom Input wäre es also, vom Output her zu denken. Zudem bräuchte es endlich ein strategisches Konzept der Nato, von dem sich der Bedarf ableiten ließe. Was soll die Nato können? Was braucht sie, um die Sicherheit ihrer Mitglieder zu garantieren? Was braucht die Bundeswehr, um einen angemessenen Beitrag zu leisten?

Aber auch wenn das Zwei-Prozent-Ziel die falsche Richtgröße ist, bleibt die Kritik am deutschen Beitrag in der Sache berechtigt. Deutschlands gegenwärtiger Einsatz für die Sicherheit Europas reicht nicht aus. Während des Kalten Krieges hat die Bundesrepublik fast immer zwischen 3 und 5 Prozent seiner Wirtschaftsleistung für Verteidigung ausgegeben. Noch 1990 lag die Quote bei 2,7 Prozent. Die Welt von heute ist nicht sicherer als vor 30 Jahren: Das Spannungsverhältnis zu Russland, der militärische Aufstieg Chinas, die Aufrüstung im Nahen Osten, die Krisenländer in Nordafrika, der neue Kriegsschauplatz im Cyberspace bedrohen Europas Sicherheit.

Deutschland ist auch deshalb gefragt, weil die USA unter Trump ihre Sicherheitsgarantien für den alten Kontinent wiederholt in Frage gestellt haben. Der deutsche Beitrag ist deshalb nicht nur ein Gebot der Fairness, er ist nötig, um Deutschlands und Europas Sicherheit zu gewährleisten.

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