Missbrauchsverdacht Neuer Beschuldigter im Fall Lügde

Der Missbrauchsfall in Lügde weitet sich aus: Ein 21-Jähriger steht ebenfalls unter Verdacht, Kinder missbraucht zu haben. Von den ersten Beschuldigten wollen zwei offenbar vor Gericht aussagen.

Spurensicherung auf Campingplatz in Lügde (Februar): Immer neue Erkenntnisse

Mittwoch, 08.05.2019  
14:31 Uhr

Im Zusammenhang mit dem Missbrauchsfall in Lügde gibt es einen weiteren Beschuldigten. Das geht aus einem unveröffentlichten Bericht der nordrhein-westfälischen Landesregierung für den Rechtsausschuss hervor, das Dokument liegt dem SPIEGEL vor. Demnach hat die Staatsanwaltschaft in Detmold am 12. April ein Verfahren gegen einen 21-jährigen Mann eingeleitet, wegen „des Verdachts des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern sowie des Besitzes von kinderpornografischen Schriften“.

Offenbar kamen die Ermittler durch schriftliche Angaben des Hauptbeschuldigten Andreas V. auf die Spur des 21-Jährigen. Der Mann soll laut der Staatsanwaltschaft „geistig eingeschränkt“ sein, er soll unter gesetzlicher Betreuung stehen und in einer Behinderteneinrichtung leben. Mitte April habe die Polizei sein Zimmer dort durchsucht, die Auswertung eines sichergestellten Datenträgers dauere an. Bei den Ermittlern bestehe zudem der Verdacht, dass der 21-Jährige selbst Opfer sexuellen Missbrauchs geworden ist.

Laut dem Bericht der Staatsanwaltschaft wurde am 17. April zudem ein Verfahren gegen eine 63-jährige Frau eingeleitet. Bei der Beschuldigten handele es sich um die Mutter von zwei Kindern, die von Andreas V. missbraucht worden sein sollen. Es bestehe bei der Frau „der Anfangsverdacht einer Beihilfe zum sexuellen Missbrauch“, die Mutter soll im Fall ihrer neunjährigen Tochter die Taten von V. begünstigt haben.

Auf SPIEGEL-Anfrage äußerte sich die Polizei Bielefeld nicht zu den beiden Verfahren, stattdessen veröffentlichte sie eine Pressemitteilung, in der „zwei weitere Beschuldigte im Ermittlungskomplex Lügde“ bestätigt wurden. Man teilte zudem mit, das Verfahren gegen die Mutter sei von der Staatsanwaltschaft mittlerweile eingestellt worden.

„Der Fall wird immer größer“, sagt Hartmut Ganzke, der innenpolitische Sprecher der SPD im Landtag. Die Opposition fordert inzwischen den Rücktritt des Innenministers Herbert Reul (CDU). Ganzke sagt, die neuen Entwicklungen im Ermittlungskomplex würden zeigen, dass „der Innenminister die Ermittlungen viel zu spät an das Polizeipräsidium Bielefeld abgegeben“ habe. Zunächst war die Kreispolizeibehörde Lippe für den Fall zuständig, dort hatte es jedoch mehrere schwere Ermittlungspannen gegeben.

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Auf dem Campingplatz „Eichwald“ in Lügde sollen mehrere Männer über 40 Kinder und Jugendliche missbraucht haben. Insgesamt gibt es inzwischen acht Beschuldigte. Die Anklage soll in Kürze an die Verfahrensbeteiligten verschickt werden, der Prozess vor dem Detmolder Landgericht soll dann in wenigen Wochen beginnen. Die Polizei Bielefeld hat laut dem Bericht der Staatsanwaltschaft bislang fünf Millionen Foto- und circa 218.000 Video-Dateien ausgewertet. Dabei seien rund 31.000 Bilder und 11.000 Videos dem Bereich Kinder- und Jugendpornografie zugeordnet worden.

Zwei Verdächtige sitzen neben dem Hauptbeschuldigten Andreas V. in Untersuchungshaft:

Der mutmaßliche Komplize Mario S., ebenfalls ein Dauercamper in Lügde, schweigt bislang. Sein Anwalt Jürgen Bogner sagte nun, er gehe davon aus, dass sein Mandant im Prozess aussagen werde. Der Anwalt spricht von „Opferschutz“, den Kindern könnte dadurch eine eigene Aussage erspart werden. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft geschah der erste nachgewiesene Missbrauchsfall 2008. Mario S., sagt sein Anwalt, sei nach seiner Kenntnis allerdings erst seit 2016 „involviert“. Er kenne jedoch die Anklage noch nicht.
Der mitbeschuldigte Stader Handwerker Heiko V. hat gegenüber der Polizei einen Teil der Vorwürfe eingeräumt. Er wolle im Prozess umfassend aussagen, sagt sein Anwalt Jann Henrik Popkes. Der Handwerker soll an mindestens zwei Live-Chats teilgenommen haben, bei denen mutmaßlich Kinder durch Andreas V. missbraucht wurden. Sein Mandat habe gesagt, er bedauere, was geschehen sei, sagt Popkes. Der Mann aus Stade habe den Kontakt zum Hauptbeschuldigten abgebrochen, als dieser ihn nach den Chats zu sich eingeladen habe. „Er wollte eine gewisse Schwelle nicht überschreiten“. Popkes hat für seinen Mandanten Haftbeschwerde eingelegt. Weil V. sich von Mithäftlingen bedroht fühle, gebe es für ihn Schutzmaßnahmen, erklärt die JVA-Leitung auf Anfrage, so nehme er etwa nicht an Gemeinschaftsaktionen teil.

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