Eishockey-Nationalteam bei der WM Sie wollen mehr

Vier Spiele, vier Siege, der beste Turnierstart seit 1930 – bei der Eishockey-WM läuft es für das deutsche Team bislang nach Wunsch. Mit dem Erreichen des Viertelfinals soll noch nicht Schluss sein.

MARTIN DIVISEK/EPA-EFE/REX
Bisher gab es viel zu jubeln im DEB-Team

Donnerstag, 16.05.2019  
16:28 Uhr

Leon Draisaitl ist kein Mann der großen Worte oder Gesten. Selbst nach Toren zeigt der 23-Jährige kaum Emotionen. Doch am Mittwoch im slowakischen Kosice war das anders. Als er den Puck 27 Sekunden vor Ende dieses aufregenden Eishockeyabends im Tor der Gastgeber unterbrachte, breitete Draisaitl seine Arme aus, als stünde er an der Reling der Titanic, da lächelte er und umarmte seine Mitspieler.

Es war das Tor zum 3:2-Sieg der deutschen Nationalmannschaft gegen die Slowakei. Obwohl sie keine zwei Minuten vor Schluss 1:2 zurückgelegen hatte. Am Ende gab es den vierten Erfolg im vierten Spiel dieser Eishockey-WM. Das Viertelfinale ist so gut wie sicher, die Qualifikation für die Olympia 2022 in Peking ebenfalls. Und nebenbei steht der beste Turnierstart seit 1930.

Franz Reindl, Präsident des Deutschen Eishockey Bundes, fühlte sich an Olympia-Silber im Vorjahr in Südkorea erinnert: „Die wollen mehr, das merkst du in der Kabine.“ Von einer erneuten Medaille sind die Deutschen natürlich weit entfernt. Erst jetzt kommen die „richtigen“ Gegner: Kanada (Samstag), USA (Sonntag) und Finnland (Dienstag). Es wäre keine Sensation, wenn die deutsche Mannschaft diese Spiele verlieren würde. Und auch ein Aus im Viertelfinale gegen Schweden oder Russland wäre keine Überraschung.

Kulturwandel im Duell mit den Großen

Doch selbst, wenn es so kommt, ist dieses Turnier der nächste Schritt einer Entwicklung. Der neue Bundestrainer Toni Söderholm scheint das Team auf ein neues Level geführt zu haben. Bereits unter Vorgänger Marco Sturm hatte es einen Kulturwandel gegeben: Da ging die DEB-Auswahl auch gegen große Nationen nicht mehr aufs Eis, um die Niederlage im erträglichen Rahmen zu halten, sondern um zu gewinnen. Selbst im Olympia-Halbfinale gegen Kanada ließ Sturm konsequent forechecken. Mit Erfolg.

Martin Rose Getty Images
Leon Draisaitl ist der Star im deutschem Team

Unter Söderholm ist eine weitere Komponente hinzugekommen: Er will Probleme spielerisch gelöst sehen. Den Puck unkontrolliert aus der eigenen Zone zu bringen, scheint fast unter Strafe zu stehen, klare Pässe, gern auch noch mal hinter dem eigenen Tor entlang, oder sicheres Rauslaufen stehen im Plan. Danach soll die neutrale Zone schnell überbrückt werden, um sicher ins Angriffsdrittel zu kommen. Auch dort ist Scheibenkontrolle Trumpf, mit vielen kurzen Pässen und Positionswechseln.

Der mutige Ansatz sorgte zwar bereits für mehrere Puckverluste und Großchancen für die Gegner, in allen Spielen gab es Phasen, in denen wenig funktionierte. Doch Söderholm denkt gar nicht daran, von seinem Plan abzurücken. Das ist recht mutig für den neuen Bundestrainer, der in Sturms große Fußstapfen tritt. Und der im Herbst in sein zweites Jahr als Cheftrainer gestartet war – beim SC Riessersee, einem Traditionsverein, der seine besten Zeiten lange hinter sich hat.

Warum ein 41-Jähriger aus der dritten Liga?

Warum holt der DEB einen 41-jährigen Finnen aus der dritten Liga, fragten sich viele. Doch innerhalb des Teams gab es keine Zweifler. Söderholm sei nach Sturm die „logische Konsequenz“ gewesen, sagte Kapitän Moritz Müller am Mittwochabend: „Toni ist jung, mutig, hat einen klaren Plan.“

Monika Skolimowska DPA
„Jung, mutig, ein klarer Plan“: Trainer Toni Söderholm

Dass Söderholm ein Nobody aus der dritten Liga war, ist auch nur die halbe Wahrheit. Im Vorjahr hatte er den SC Riessersee – Kooperationspartner des EHC Red Bull München, Söderholms letztem Klub als Aktiver – mit vielen jungen Spielern zur Vizemeisterschaft in der zweiten Liga geführt. Danach wurde er als „Trainer des Jahres“ ausgezeichnet. Nur aus finanziellen Gründen ging es eine Liga nach unten. Im Red-Bull-Kosmos gab es große Pläne mit Söderholm. Doch dann fragte der DEB an.

Söderholm sagte zu, weil er das Potenzial erkannte. Sein System ist natürlich vor allem deshalb umsetzbar, weil die aktuelle Generation zahlreiche junge, schnelle und technisch starke Spieler kennt. Leon Draisaitl und Dominik Kahun aus der NHL, Markus Eisenschmid, Frederik Tiffels, Lean Bergmann und Moritz Seider aus der DEL, Marc Michaelis aus der College-Liga in den USA.

Aber auch erfahrenere Spieler wie Matthias Plachta, Patrick Hager, Leo Pföderl, Yasin Ehliz, Yannic Seidenberg oder Moritz Müller sind Teil der Transformation. Zudem sind alle drei Torhüter – Mathias Niederberger, Niklas Treutle und der derzeit angeschlagene NHL-Mann Philipp Grubauer – sichere Rückhalte.

Da wächst etwas heran im deutschen Team. Für die Zukunft, aber auch aktuell in der Slowakei. Mit dem Erreichen des Viertelfinals ist das Ziel offiziell erreicht, und der Blick auf die kommenden Gegner verheißt nichts Gutes, aber eines wollte Verteidiger Seidenberg festgehalten wissen: „Das Turnier ist noch nicht zu Ende.“

Quelle