Brandstifter im Nahen Osten Feuer als Waffe

Ob in Israel, im Irak oder in Syrien: Das Feuerlegen kehrt als Mittel der Kriegsführung in den Nahen Osten zurück. Die Taktik der Täter ähnelt sich, ihre Motive sind verschieden.

REUTERS/Amir Cohen

Donnerstag, 13.06.2019  
10:06 Uhr

Der drohende „Flächenbrand in Nahost“ gehört zu den Floskeln, die man sich als Journalist sparen sollte. Doch an dieser Stelle ist sie mal angebracht: Denn in den vergangenen Wochen sind im Irak, in Syrien und in Israel Hunderte Quadratkilometer Ackerland abgebrannt.

Im Irak hat es seit Anfang Mai auf über 1000 Quadratkilometern gebrannt.
In Syrien verwüsteten Brände seit Anfang Mai mindestens 400 Quadratkilometer Land.
In Israel brannte es zwischen Mai 2018 und Mai 2019 auf rund 35 Quadratkilometern in der Nähe des Gazastreifens.

Fast alle Brände wurden absichtlich entfacht. Von Terroristen, von Armeen, von Erpressern. Sie haben diese mittelalterlich anmutende Kriegstaktik zurück in den Nahen Osten gebracht.

Militante Palästinenser: Brandstiftung als Terrortaktik

Im April 2018 begannen militante Palästinenser, Drachen und Ballons mit brennbaren Flüssigkeiten über den Grenzzaun gen Israel fliegen zu lassen. Anlass waren die Proteste rund um den sogenannten Marsch der Rückkehr. Nach Angaben der israelischen Feuerwehr haben die fliegenden Molotowcocktails mehr als 2000 Brände verursacht – keine existenzielle Bedrohung für Israels Landwirtschaft, aber sie terrorisieren die Bevölkerung in der Nähe des Gazastreifens. Gleichzeitig provozieren sie, anders als Raketenangriffe auf israelische Städte, keine militärische Antwort der israelischen Armee.

Die meisten dieser Brandanschläge reklamiert die Gruppe „Zawaris Söhne“ für sich. Die Täter beziehen sich damit auf Mohamed al-Zawari; der Tunesier galt als Chef des Drohnenprogramms der Hamas und wurde 2016 in der tunesischen Stadt Sfax erschossen. Die Hamas macht den israelischen Auslandsgeheimdienst Mossad für die Tat verantwortlich.

Facebook-Seite „Zawaris Söhne“
Mitglied von „Zawaris Söhne“ mit Brennballons im Gazastreifen

„Zawaris Söhne“ brüsten sich auf Facebook mit ihren Taten, ihre Mitglieder posieren mit Guy-Fawkes-Masken. Nach Einschätzung der israelischen Behörden hat die Hamas erhebliche Kontrolle über die Gruppe – danach kann sie die Angriffe verstärken oder stoppen, wie es ihr passt. Auch nach der jüngsten Waffenruhe zwischen Hamas und Israel Anfang Mai ließen „Zawaris Söhne“ noch Brandballons Richtung Israel fliegen.

„Islamischer Staat“: Brandstiftung als Mittel der Erpressung

Die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) ist im Irak und in Syrien zwar nicht mehr in der Lage, Land zu erobern. Aber sie kann Land verwüsten. Das haben die Dschihadisten zuletzt dutzendfach getan. Nach einer Auswertung der Rechercheplattform „Bellingcat“ sind allein im Mai bei rund 50 Feuern mehr als tausend Quadratkilometer Ackerland und Obstplantagen in den nordirakischen Provinzen Diyala, Kirkuk und Ninawa abgebrannt.

In seinem wöchentlichen Propaganda-Newsletter „al-Naba“ brüstete sich der IS Ende Mai und Anfang Juni gleich zwei Mal damit, dass seine Kämpfer Getreidefelder auf riesigen Flächen niedergebrannt hätten. Das Land gehöre schiitischen oder kurdischen Bauern – oder aber sunnitischen Stämmen, die mit der Regierung in Bagdad kooperieren, behauptet der IS.

Der IS nennt die Terroraktionen zynisch „Ernte“. Ziel ist es, Nicht-Sunniten aus dem Gebiet zu vertreiben. Zudem wollen die Islamisten Geld erpressen. Bauern im Irak berichten, der IS wie auch normale Kriminelle würden ihnen mit dem Niederbrennen ihrer Felder drohen, sollten sie kein Geld zahlen.

Für die Brandstiftungen nutzen die Dschihadisten einfachste Mittel. In seiner Propaganda zeigt der IS, wie man schon mit einem Brennglas ein Getreidefeld anstecken kann. In anderen Fällen nutzten die Terroristen kleinere Sprengsätze. Feuerwehrleute berichten, dass die Brandstifter mitunter weitere Sprengfallen in den Feldern verstecken, um die Löscharbeiten zu sabotieren.

Syrische Armee: Brandstiftung durch geächtete Munition

Die Provinz Idlib war immer eine der Kornkammern Syriens. Doch in diesem Jahr verlieren viele Bauern ihre Ernte. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) hat Satellitenbilder ausgewertet und kommt zu dem Schluss, dass es allein seit dem 10. Mai auf mehr als 400 Quadratkilometern gebrannt hat.

HRW hat dokumentiert, dass die syrische, aber auch die russische Luftwaffe mehrfach völkerrechtlich geächtete Brandmunition eingesetzt und dadurch Ackerbrände ausgelöst haben. In anderen Fällen waren die Feuer offenbar Kollateralschäden von Kämpfen. Auch in dem Gebiet, das unter Kontrolle des Regimes steht, sind in den vergangenen Wochen Brände ausgebrochen – offenbar ausgelöst durch Artilleriebeschuss der Rebellen in Idlib.

Maxar Technologies/ AP
Satellitenaufnahme von brennenden Feldern in Idlib

Die Folgen sind dramatisch: Die Getreidepreise in der Region sind in den vergangenen Wochen deutlich gestiegen. Auch die Zahl jener Menschen, die auf humanitäre Hilfe von außen angewiesen sind, dürfte sich erhöhen. Das Uno-Amt für die Koordination humanitärer Angelegenheiten äußerte sich „tief besorgt“: Die Versorgung von Millionen Menschen stehe auf dem Spiel.

Seit Anfang der Woche sind auch im Nordosten Syriens zahlreiche Getreidefelder in Brand gesetzt worden. Das Gebiet steht unter Kontrolle der von kurdischen Milizen dominierten „Syrischen Demokratischen Kräfte“. Hier machen sich verschiedene Parteien gegenseitig für die Feuer verantwortlich: Einige beschuldigen türkische Grenztruppen der Brandstiftung, andere vermuten das syrische Regime hinter den Brandstiftungen. Und wieder andere beschuldigen Gegner des Assad-Regimes, die verhindern wollten, dass die Kurden Getreide an die syrische Regierung verkauften.

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