Nationalistische Ausschreitungen in Rumänien „Krieg der Toten“ in den Karpaten

In Rumänien gibt es Streit um einen Soldatenfriedhof. Der liegt im mehrheitlich ungarisch besiedelten Teil Siebenbürgens, rumänische Nationalisten beanspruchen ihn für sich. Zwischen den Ländern eskaliert der Fall zur Krise.

Egyed Ufo Zoltan/AFP
Rumänische Nationalisten auf dem Friedhof im Dorf Valea Uzului

Samstag, 15.06.2019  
16:16 Uhr

Das Úz-Tal ist ein abgeschiedener Ort in einem der hintersten Winkel Siebenbürgens. Gelegen in den Tannenwäldern der Ostkarpaten, erreichbar nur über einen Schotterweg voller Schlaglöcher. Strom gibt es hier kaum, Mobiltelefone haben keine Netzanbindung.

Bisher dürfte das Tal den meisten Rumänen kein Begriff gewesen sein. Doch nun beherrscht der Ort die Schlagzeilen. Vergangene Woche kam es hier zu gewalttägigen Übergriffen auf Angehörige der ungarischen Minderheit, die in der Region leben – die schwersten derartigen Auseinandersetzungen seit 1990: Hunderte rumänische Nationalisten und Fußball-Hooligans stürmten einen ungarischen Soldatenfriedhof im Úz-Tal. Sie randalierten, prügelten auf Gendarmen und ungarische Teilnehmer einer friedlichen Kundgebung ein, dazu zelebrierten orthodoxe Priester eine Messe.

Der Vorfall löste umgehend eine diplomatische Krise zwischen Ungarn und Rumänien aus. Zugleich kündigte die Minderheitenpartei „Demokratischer Bund der Ungarn in Rumänien“ (UDMR) ihre parlamentarische Unterstützung der sozialliberalen Bukarester Regierungskoalition auf und beteiligte sich an einem Misstrauensantrag, über den kommende Woche abgestimmt wird.

„Gut geplante Provokation“

In der Öffentlichkeit wurden Erinnerungen an den „Schwarzen März“ von 1990 wach. Damals hetzten Ultranationalisten und Ex-Securitate-Offiziere Rumänen gegen Minderheiten-Ungarn auf. Es hieß, diese würden eine Abspaltung des bis 1920 zu Ungarn gehörenden Siebenbürgens anstreben. In der Folge kam es zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen Rumänen und Ungarn in der Stadt Neumarkt (Targu Mures). Fünf Menschen starben, Rumänien stand am Rand eines Bürgerkrieges.

Wer genau diesmal im Hintergrund agierte, ist unklar. Die rumänische Bürgerrechtlerin Smaranda Enache von der Organisation Liga Pro Europa bezeichnet den Aufmarsch des nationalistischen Mobs gegenüber dem SPIEGEL jedoch als eine „offensichtlich gut geplante und gezielte Provokation“.

Enache wurde im März 1990 in Neumarkt von rumänischen Extremisten zur Staatsfeindin erklärt und mit Lynchjustiz bedroht. „Es gibt in Rumänien seit 1990 einen Nationalismus und minderheitenfeindlichen Anti-Ungarismus, der im Umfeld von Wahlen oder politischen Krisen immer wieder hochkocht“, sagt Enache mit Blick auf die kürzliche Europawahl und die Inhaftierung von Liviu Dragnea, Ex-Chef der regierenden Sozialdemokraten und einst mächtigster Mann Rumäniens.

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Anlass ist diesmal der Streit um den Soldatenfriedhof im Úz-Tal. Er liegt auf dem Gebiet der Gemeinde Csíkszentmárton im Kreis Harghita, in dem überwiegend Angehörige der ungarischen Minderheit leben. Nach dem Ersten Weltkrieg wurden im Úz-Tal Hunderte Soldaten begraben, die meisten Ungarn, daneben auch Österreicher, Italiener, Rumänen und andere. In der kommunistischen Zeit verkam der Friedhof, nach 1990 kümmerte sich die Gemeinde Csíkszentmárton um seine Rekonstruktion und Instandhaltung.

Anti-ungarische Stimmung in den Netzen

Vor einigen Wochen ließ die Nachbargemeinde Darmanesti des Kreises Bacau auf dem Friedhof 50 Kreuze für gefallene rumänische Soldaten errichten, obwohl mehrere zuständige Behörden sowie das „Nationale Amt für Heldengedenken“ (ONCE) dafür keine Genehmigung erteilt hatten. Kurz darauf hüllten Unbekannte die neuen Kreuze in schwarze Plastiksäcke – eine Aktion ungarischer Extremisten, wie es in Medien hieß. Das rief, mitten im Europawahlkampf, rumänische Ultranationalisten auf den Plan. Sie heizten in sozialen Netzwerken die anti-ungarische Stimmung an. Mit dabei auch: Rumäniens ehemals liberaler Ex-Präsident Traian Basescu, der seiner „Partei Volksbewegung“ (PMP) ein nationalistisch-xenophob-populistisches Profil verpasst hat.

Es dauerte nicht lange, bis der „Krieg der Toten“ offen ausbrach: Für den 6. Juni, in Rumänien der militärische „Tag des Helden“, hatten rumänische Nationalisten zu einem Gedenkmarsch im Úz-Tal aufgerufen. Sie trafen dort auf Hunderte Ungarn, die ihnen betend den Zugang zum Friedhof versperrten. Lediglich einige Dutzend Gendarmen waren anwesend. Bislang konnte das Innenministerium nicht schlüssig erklären, warum angesichts der absehbaren Eskalation kein massiveres Polizeiaufgebot präsent oder gleich das gesamte Tal für Kundgebungen gesperrt war.

Nach den Ausschreitungen goss der UDMR-Chef Hunor Kelemen Öl ins Feuer, indem er wütend erklärte, Rumänien habe „sein wahres Gesicht“ gezeigt. Eine Äußerung, für die er sich später entschuldigte. Insgesamt jedoch reagierte ein beträchtlicher Teil der rumänischen Öffentlichkeit, anders als 1990, besonnener. So riefen zum Beispiel viele bekannte rumänischen und ungarische Publizisten dazu auf, den Friedhof im Úz-Tal zu einem gemeinsamen Gedenkort zu gestalten.

„Darin zeigt sich, dass unsere Zivilgesellschaft sich entwickelt hat“, sagt die Bürgerrechtlerin Smaranda Enache. „Dennoch sind die Ausschreitungen im Úz-Tal ein warnendes Beispiel, besonders in einer Zeit, in der Populismus erstarkt und die Regierungen mancher EU-Länder nach rechtsaußen abgleiten.“

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