Carola Rackete gegen Italiens Innenminister Für Salvini die Höchststrafe

Twitter und Facebook sind für Matteo Salvini wichtige Populismus-Werkzeuge. Diese will „Sea-Watch“-Kapitänin Carola Rackete dem italienischen Innenminister mit ihrer Klage nehmen.

Gregorio Borgia / AP
Italiens Innenminister Salvini: Mal aggressiv, mal charmant – und immer gnadenlos populistisch

Donnerstag, 11.07.2019  
22:48 Uhr

In Italien gibt es kaum einen Weg, Matteo Salvini zu entkommen. Von früh bis spät sendet der Innenminister auf allen ihm zur Verfügung stehenden Kanälen, unterstützt von einem hochprofessionellen Social-Media-Team. Es ist ein kreatives Durcheinander, aggressiv, charmant, gnadenlos populistisch – und ziemlich oft ziemlich unterhaltsam.

Zum Beispiel an diesem Donnerstag: Der Tag beginnt mit dem Foto eines Projektils, das per Drohbrief an ihn geschickt wurde, addressiert an den „Duce“ Matteo Salvini. Später folgt ein Bild des Heiligen Benedikts als Schutzpatron Europas. Zwischendurch ein Video, in dem der Vizepremier gut gelaunt seinen Bürgern zuwinkt („Schönen Donnerstag, gute Arbeit, gutes Studium, gute Kaffeepause, gute Erholung!“). Ein weiteres, in dem er neue Herrchen für 117 Hunde sucht. Und dann gibt es immer wieder Erfolgsmeldungen über seinen unermüdlichen Kampf gegen illegale Migranten und kriminelle Ausländer – als er etwa der Staatspolizei zum Schlag „gegen die nigerianische Mafia von Palermo“ gratulierte.

Ein Gegenmittel haben Salvinis politische Gegner bis heute nicht gefunden. Von links bis rechts gibt es niemanden, der die sozialen Medien auch nur annähernd so effizient bespielt und eigene Themen so erfolgreich im Gespräch hält.

Diffamierende, wenn nicht gar bedrohlichen Vorfälle

Mit ihrer Klage gegen Salvini will „Sea-Watch“-Kapitänin Carola Rackete den Rechtspopulisten deshalb an seiner empfindlichsten Stelle treffen. In dem Schriftstück wirft sie ihm schwerwiegendes diffamierendes Verhalten und Anstiftung zu einem Verbrechen vor. Außerdem beantragt Rackete, seine Social-Media-Kanäle zu beschlagnahmen.

Sendepause. Es wäre die Höchststrafe für Salvini.

Sie fordere die „vorsorgliche Beschlagnahme“ jener Informationsseiten, über die die herabsetzenden Inhalte verbreitet würden, heißt es in Racketes Klage. Auf mehreren Seiten zitiert sie die Angriffe des Innenministers, der sie immer wieder als „Verbrecherin“ und „Komplizin von Menschenhändlern“ beschimpfte. Oder als „Kapitänin eines Piratenschiffs, die bewusst versucht habe, fünf italienische Soldaten zu töten, als sie in Lampedusa anlegte und mit einem Motorboot der Sicherheitsbehörden zusammenstieß.

Video-Interview mit Carola Rackete: „Keine Hilfe, von niemandem, nichts“

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Die Worte des Vizepremiers hätten zu einer massiven, bisher zum Glück nur verbalen Gewaltspirale geführt, schreibt die Kapitänin. Dies drücke sich ihr gegenüber in tausenden diffamierenden, wenn nicht gar bedrohlichen Vorfällen aus. Sie könne nur Angst haben vor den Worten eines Mannes, der eine so wichtige öffentliche Rolle ausübe wie der Minister. Dessen Äußerungen schadeten, so Rackete, „in schwerster Weise meiner Reputation und bedeuten ein Risiko für meine Person und meine Unversehrtheit“.

„Wenn Salvini uns unsere Werkzeuge nimmt, nehmen wir ihm seine Werkzeuge“

Der Konflikt zwischen der Kapitänin und dem „Capitano“, wie Salvini von seinen Fans bejubelt wird, spitzt sich damit weiter zu. Wer erwartet hatte, dass sich die Wogen nach Racketes Freilassung am Dienstag vergangener Woche glätten, sah sich getäuscht.

Bei Sea-Watch sieht man die geforderte Beschlagnahme der Twitter- und Facebook-Accounts allerdings auch als eine Art Rache – nachdem Italien das Rettungsschiff der Hilfsorganisation konfisziert hatte. „Wenn Salvini uns unsere Werkzeuge wegnimmt, nehmen wir ihm seine Werkzeuge weg,“ sagte Ruben Neugebauer, Sprecher von Sea-Watch, dem SPIEGEL.

Wie die Sache juristisch ausgeht, wird sich zeigen. Politisch jedenfalls dürfte der abermals eskalierte Streit Salvini nicht schaden. Italienische Meinungsforscher haben ihm gerade erst bescheinigt, dass ihm die Auseinandersetzung mit Rackete in den Umfragen nutze.

Und so stürzte er sich am Donnerstag wieder mit Wonne auf das Thema. „Die deutsche Kommunistin hat bei der Staatsanwaltschaft beantragt, meine Facebook- und Twitterseiten zu schließen“, schrieb er auf Instagram: „Es gibt keine Grenzen der Lächerlichkeit.“ Mehr als 54.000 Nutzer gaben ihm dafür bis Donnerstagabend ein „Like“. Auch auf Facebook kassierte „grandissimo Matteo“, wie ihn eine Nutzerin nannte, dafür zahllose Lächel- und Herz-Emojis. „Jetzt habe ich aber wirklich Angst“, hatte er dort neben drei tränenlachende Smileys getextet.

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