Carina Witthöft über ihre Tennis-Auszeit „Du bist umgeben von Menschen, die dir gar nichts gönnen“

Sie war eine der großen Tennishoffnungen, stand unter den Top 50 der Welt. Anfang des Jahres hat Carina Witthöft entschieden, eine Auszeit zu nehmen – und wird dafür scharf kritisiert: Darf man sein Talent so vergeuden?

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Carina Witthöft vor zwei Jahren bei den French Open

Sonntag, 21.07.2019  
17:03 Uhr

Im August 2018 traf Carina Witthöft bei den US Open auf Serena Williams – vor 20.000 Zuschauern im Arthur-Ashe-Stadium, der größten Tennisarena der Welt. Ein Dreivierteljahr später tritt die 24-jährige Hamburgerin in der 2. Bundesliga für den Club an der Alster an. Lokalderby gegen Horn-Hamm, ein paar Dutzend Zuschauer stehen am Rand.

Witthöft, bis vor Kurzem eine der größten Hoffnungen im deutschen Frauentennis, hat diesen Szenenwechsel selbst gewählt. Im Frühjahr verkündete sie, eine Turnierpause einzulegen, „solange ich mich physisch und mental nicht bei hundert Prozent fühle, um konkurrenzfähig zu sein“. Seither ist sie in der Weltrangliste aus den Top 50 auf Rang 387 abgestürzt.

Und die Tenniswelt streitet, ob man das darf: sein Talent einfach wegwerfen.

Das zumindest werfen ihr Fans und Experten vor. Barbara Rittner, Head of Women’s Tennis beim Deutschen Tennisbund, hielt eine Brandrede auf Tennisnet.com: Bei Witthöft fehle ihr „dieses Durchhaltevermögen, das die Generation davor hatte“. Sie habe sich nie aus ihrer Komfortzone gewagt, um an einer der renommierten Tennisakademien zu trainieren: „Carina Witthöft hat immer gesagt: Nein, mein Hamburg möchte ich nicht verlassen.“

Vergleiche mit Australiens Nick Kyrgios

Auch in anderen Reaktionen klang es oft so, als würde sich da jemand erdreisten, sein Potenzial nicht voll auszuschöpfen. Sein Talent zu vergeuden. Es ist derselbe Reflex, der bei Nick Kyrgios greift: Was der Australier alles schaffen könnte, würde er nur richtig trainieren!

Man kann Carina Witthöft im „Tennis Park Witthöft“ in Hamburg-Jenfeld treffen. Ihr Vater hat hier in den Neunzigerjahren eine Tennisschule eröffnet, am Eingang zum Büro hängt ein Werbeposter: „Trainiere mit einem Profi – 100 Euro pro Stunde“. Was die „Bild“-Zeitung zu der hämischen Zeile animierte: „Nach Absturz in der Weltrangliste: Tennis-Beauty Witthöft kann man jetzt für 100 Euro mieten.“

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Vor nicht einmal einem Jahr war noch Serena Williams ihre Gegnerin

Witthöft tritt nach einer absolvierten Trainingseinheit frisch geduscht auf die Klubterrasse. Am Nachmittag steht sie selbst noch als Trainerin auf dem Platz. „Das macht mir großen Spaß. Ich kann den Leuten weiterhelfen, davon bin ich überzeugt.“ Sie setzt sich oberhalb der neun Tenniscourts an einen Glastisch, Hobbyspieler grüßen im Vorbeigehen, Bulldogge Teddy streicht ihr um die Beine. Witthöft wirkt zufrieden.

Und doch merkt man ihr an, dass sie der Wirbel der letzten Wochen nicht kalt lässt. Sie fühle sich in die Position gedrängt, sich rechtfertigen zu müssen – zu persönlich sei die Kritik ausgefallen.

Ob sie unterschätzt habe, was ihr Schritt für Reaktionen nach sich zieht? Ob sie nachvollziehen könne, dass Tennisanalysten ihr derart bittere Kommentare nachschicken? „Ich verstehe, dass die Leute sich fragen, wie es mit meiner Zukunft weitergeht“, sagt sie. „Es ist nun mal ein bisschen in der Schwebe, wann und ob ich zurückkomme.“

„Man hat diese negative Energie“

Dann berichtet sie von den Entbehrungen der Profitour: Jede Woche in den Flieger zu steigen, jede Woche in einem anderen Hotelzimmer zu schlafen, jeden Morgen die anderen Spielerinnen beim Frühstück zu treffen, Rivalinnen, nicht Freundinnen. „Du bist die ganze Zeit umgeben von Menschen, die dir gar nichts gönnen. Man hat die ganze Zeit diese negative Energie.“

Dazu kamen körperliche Probleme, eine hartnäckige Patellasehnenreizung am Knie, Rückenbeschwerden, zuletzt eine Bänderverletzung. Bei den Australian Open musste sie aufgeben, ihr bislang letztes Match auf der Profitour. „Ich habe anderthalb Jahre angeschlagen gespielt“, sagt Witthöft. Diesen Stress möchte sie ihrem Körper nicht mehr zumuten.

Witthöft habe ihren Weg verloren, sagt Rittner. Dabei wirkt die 24-Jährige, als hätte sie sich aufgemacht, ihren eigenen Weg zu finden. Eine Frau, der ein vom Tennis diktiertes Leben womöglich nicht reicht. Die immer gleichen Abläufe, die immer gleichen Routinen, sagt Witthöft: „Morgens auf die Anlage, Stunde Training, Mittag essen, noch mal eine Stunde Training, Dinner – das war es dann.“

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Für Witthöft dreht sich nicht mehr alles nur um den Tennisball

Für Menschen, denen nicht das Talent einer Carina Witthöft vergönnt ist, mögen das Luxussorgen sein. Doch mit dem Talent ist es so eine Sache. Man könnte es als Tortendiagramm begreifen, mit verschiedenen Komponenten. Ballgefühl und eine günstige körperliche Konstitution spielen da hinein. Mentale Stärke. Aber eben auch die Fähigkeit, sich zu fokussieren, alles andere hintanzustellen und die Eintönigkeit eines Profilebens auszuhalten.

Wie Witthöft ihr Leben derzeit gestaltet, können Fans und Follower über die sozialen Medien verfolgen. Auf Instagram sind Bilder vom Skilaufen zu sehen (wegen des hohen Verletzungsrisikos sonst ein No-go für Spitzensportler), vom Stand-up-Paddling, von Ausflügen mit Freunden und Familie und hin und wieder auch vom Tennisplatz. Ein ziemlich normales Portfolio für eine 24-Jährige. „Ich interessiere mich eben für viele Dinge, für Mode zum Beispiel“, sagt sie und zeigt ein Foto von einem Mantel, den sie selbst genäht hat.

Zu viele Selfies, zu wenig Tennis?

Ein Wirtschaftsportal unkte im Februar, Witthöft sei in die „Influencer-Falle“ getappt, seit sie sich in die Hände der Vermarktungsagentur Jung von Matt/Sports begeben habe. Zu viele Selfies, zu wenig Tennis? Der Berater-Deal wurde allerdings bereits im Frühjahr 2017 abgeschlossen. Ihren ersten WTA-Titel gewann Witthöft im Oktober desselben Jahres in Luxemburg, ihr höchstes Ranking erzielte sie im Januar 2018.

Witthöft wundert sich nicht mehr über solche Ferndiagnosen – verärgert ist sie trotzdem: „Es geht niemanden etwas an, was für Entscheidungen ich treffe. Ich trage am Ende die Konsequenzen.“ Und was, wenn sie ihren Rückzug eines Tages bereuen wird? „Es war jetzt in diesem Moment definitiv die richtige Entscheidung.“

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Witthöft 2017 bei den Australian Open

„Es ist ihr Leben“, sagt auch Rittner und klingt dabei weniger verständnisvoll als tief enttäuscht. Die Chefin des deutschen Damentennis steht unter Druck, zu offenkundig sind die Nachwuchssorgen. Die Generation um Angelique Kerber hat die 30 überschritten, derzeit steht keine deutsche Spielerin unter 29 Jahren in den Top 100. Witthöfts Rückzug mache sie „unheimlich traurig, weil sie so viel Talent hat“.

Doch Talent ist nicht alles, das zeigen andere prominente Beispiele: Andre Agassi fiel 1997 in ein Motivationsloch und auf Rang 141 ab. Tennis-Wunderkind Jennifer Capriati kämpfte mit Depressionen, als sie sich mit Mitte 20 von der Tour zurückzog. Und unlängst eröffnete Mischa Zverev, 31 Jahre alt, er habe einen Burn-out erlitten und wollte eigentlich nur noch zu Hause sein.

Womöglich hat Witthöft die Zeichen einfach rechtzeitig erkannt und sich für ein anderes Leben entschieden. Aber welche Rolle soll Tennis darin einnehmen? „Ich weiß es noch nicht“, sagt sie. Trainerin will sie nicht werden, vielleicht ein Studium, ein Comeback schließt sie auch nicht aus. Was sie allerdings ausschließt: „Würde ich Rittners Rat folgen und eine Akademie in Süddeutschland aufsuchen, ich würde morgen mit dem Tennis aufhören.“

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