Ausweitung der Kurzarbeit Was taugen Heils Pläne gegen die drohende Rezession?

Deutschland steuert auf einen wirtschaftlichen Abschwung zu. Um Jobs zu sichern, plant Arbeitsminister Hubertus Heil ein neues Gesetz. Doch bei Experten ist das Konzept des SPD-Politikers umstritten.

Hendrik Schmidt/DPA
Arbeit an einem Gasbrennkessel: Maschinen- und Anlagenbauer bekommen die schwächelnde Konjunktur oft als erstes zu spüren

Dienstag, 13.08.2019  
19:30 Uhr

Der Abschwung läuft. Die Frage ist nur, wann er auch bei den Beschäftigten ankommt. Noch ist die Situation am Arbeitsmarkt gut. 1,39 Millionen Stellen sind unbesetzt. Viele Unternehmen haben Probleme, Personal zu finden.

Doch Arbeitsminister Hubertus Heil zeigt sich davon unbeeindruckt. Er hat nun Pläne für ein Gesetz vorgestellt, das die Unternehmen für eine Krise wappnen und dessen Name offenbar beeindrucken soll: „Arbeit-von-morgen-Gesetz“.

Viel ist über die Idee des SPD-Politikers bislang nicht bekannt. Die Pläne, mit denen er Arbeitsplätze sichern will, beinhalten aber vor allem zwei Säulen:

Weiterbildung fördern. Besonders vom Strukturwandel betroffene Branchen sollen von einem Transformationszuschuss profitieren, Arbeitslose und Beschäftigte sollen einen Berufsabschluss nachholen können. Aber auch Beschäftigte, die in einer Firma keine Perspektive haben, sollen sich in dem Unternehmen noch weiterbilden können und dabei unterstützt werden. Heil nennt das eine Perspektivqualifizierung. Die Pläne knüpfen an das seit Januar gültige Qualifizierungschancengesetz an. Heil spricht nun von einem „Instrumentenkasten, damit wir dafür sorgen, dass die Beschäftigten den Anschluss nicht verlieren“.
Der Bezug von Kurzarbeitergeld soll erleichtert und auch an die Weiterbildung geknüpft werden. Für Beschäftigte, die Kurzarbeitergeld beziehen und sich in der Zeit weiterbilden, sollen laut dem Konzept, das dem SPIEGEL vorliegt, auch die Sozialversicherungsbeiträge des Arbeitgebers übernommen werden. Bislang zahlen Betriebe mit. Außerdem soll die Bezugsdauer von bislang zwölf Monaten verlängert werden.
Das klingt gut. Doch entspricht es auch den Bedürfnissen von Wirtschaft und Arbeitnehmern?

Viele deutsche Unternehmen stehen derzeit vor riesigen Problemen: Digitalisierung, Energiewende, E-Mobilität machen einen Strukturwandel dringend nötig, Donald Trumps Strafzölle und der bevorstehende Brexit erschweren den Welthandel – und nun kommt auch noch der konjunkturelle Abschwung hinzu.

Die ersten Branchen reagieren bereits. Bei manchen Zulieferzweigen im Fahrzeugbau herrscht bereits in jedem dritten Unternehmen Kurzarbeit, in der Textilbranche bei jedem vierten. Kürzlich kündigte etwa auch der Industriebetrieb Saarstahl in Völklingen diesen Schritt an.

„In einer Rezession kann es sinnvoll sein, Kurzarbeitergeld zu zahlen, wenn man Betriebe über eine Auftragsdelle hinwegbringen will“, sagt Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesarbeitsagentur. „Was nicht sinnvoll ist, ist, dass immer, wenn die Konjunktur etwas schlechter läuft, die Regeln für Kurzarbeit neu diskutiert werden.“ Die Regeln sollten dauerhaft und transparent für alle gelten. „Denn auch ohne gesamtwirtschaftlichen Abschwung gibt es Betriebe mit Problemen.“

Mit dem von der Bundesagentur für Arbeit (BA) bezahlten Kurzarbeitergeld waren nach der Finanzkrise 2008 Hunderttausende Jobs gerettet worden. Wenn Unternehmen vorübergehend die Arbeitszeit senken müssen, springt unter bestimmten Bedingungen die BA ein – und zahlt einen Großteil der Gehälter weiter. Aktuell ist das Phänomen in Deutschland klein. BA-Vorstand Daniel Terzenbach sagte noch Ende Juli: „In der Krise hat jeder 20. Arbeitnehmer Kurzarbeitergeld bezogen, jetzt ist es jeder 1000.“ Fraglich ist aber, wie lange das noch so bleibt.

Dass die SPD den Bezug von Kurzarbeitergeld erleichtern will, ist klar. Mittlerweile zeigen sich auch erste Politiker vom Koalitionspartner CDU offen für Änderungen: „Kurzarbeitergeld nehmen schon 48.000 Menschen in Anspruch“, sagte Mittelstandsexperte Carsten Linnemann dem SPIEGEL. „Das ist noch nicht so wie 2009, wird aber in einigen Bereichen genutzt. Man muss vorbereitet sein.“

Trittbrettfahrer ökonomisch kein Problem

Andere Experten warnen vor Aktionismus. Man dürfe nicht voreilig „die großen arbeitsmarktpolitischen Kaliber einsetzen“, sagt etwa Hilmar Schneider, Direktor des Bonner Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit (IZA). Er gibt mit Blick auf die Krise nach 2008 zu bedenken: „Damals war es eine vorübergehende, durch Einbruch der Finanzmärkte ausgelöste Schwäche. Heute haben wir es mit strukturellen Veränderungen der ganzen Wirtschaft zu tun, für die Kurzarbeitergeld womöglich nicht die richtige Antwort ist.“ Wenn Betriebe strukturelle Probleme hätten, gebe es schnell Allianzen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften – zu Lasten der Allgemeinheit. So sei Kurzarbeitergeld auch dafür genutzt worden, betriebliche Personalpolitik zu erleichtern – beispielsweise um Abfindungen zu sparen. „Wo man die Inanspruchnahme leichter gestaltet, ruft man Akteure auf den Plan, die das sonst vielleicht gar nicht genutzt hätten“, warnt Schneider.

Weniger besorgt ist IAB-Forscher Weber: Weil Arbeitskräfte knapp sind, seien Betriebe nach wie vor motiviert, Personal zu halten, sagt er. Und selbst wenn jemand das Kurzarbeitergeld anders nutzen würde, als es gedacht ist, sei dies kein Problem: „Mitnahmeeffekte sind aus ökonomischer Sicht gar nicht so kritisch zu sehen. Das mag anderen Unternehmen gegenüber zwar ungerecht sein, aber es ist auch Geld, das in Zeiten der Rezession in den Wirtschaftskreislauf kommt.“

Bundesagentur für Weiterbildung?

Sinnvoll ist es laut Weber auch, die Kurzarbeit mit Weiterbildung zu kombinieren. „Was wir haben, ist ein Konjunkturabschwung, der sich mit dem strukturellen Wandel hin zu E-Mobilität und Digitalisierung überlappt. Wenn jetzt Zeit für Weiterbildung da ist, dann sollte diese Zeit auch genutzt werden“, sagt der IAB-Forscher.

IZA-Leiter Schneider ist da skeptischer: „Die Bundesagentur für Arbeit ist angesichts der guten konjunkturellen Lage auf der Suche nach einer neuen Legitimationsgrundlage. Sie entwickelt sich zu einer Bundesagentur für Weiterbildung.“ Das sei ein Zeichen, dass es der deutschen Wirtschaft gut gehe. „Doch die Idee, dass man Weiterbildungsbehörde wird, die besser als die Unternehmen selbst weiß, was die Unternehmen brauchen, überzeugt mich nicht so ganz.“ Wenn der Aufschwung ende, genüge es, mit den bewährten Instrumenten zu agieren.

Uwe Anspach/dpa
Hubertus Heil mit BA-Chef Detlef Scheele: Instrumentenkasten, damit Beschäftigte Anschluss halten?

Die vorgeschlagene Perspektivqualifizierung indes lehnen beide Experten ab. „Es sollen Arbeitnehmer an Betriebe gebunden werden, für die keine Perspektive besteht. Das erinnert an planwirtschaftliche Vorstellungen“, kritisiert Schneider. „Was heißt das denn, wenn Arbeitnehmer mit der Kategorie ‚keine Perspektive‘ in irgendwelche Maßnahmen gesteckt werden, aber noch beim Unternehmen bleiben sollen? Wer soll das überhaupt feststellen?“ IAB-Forscher Weber sagt: „Solange es im Betrieb noch Perspektiven gibt, müssen diese auch durch Qualifikation unterstützt werden. Aber wenn nur eine Fiktion aufrechterhalten wird, dann sollten die Menschen besser auch formell in die Arbeitssuche gehen.“

Was auch immer die Koalition am Ende beschließt: Die Rücklagen der Bundesagentur für Arbeit sind gefüllt, rund 0,65 Prozent des Bruttoinlandsprodukts wurden zurückgelegt, das sind gut fünf Milliarden Euro. IAB-Forscher Weber versichert: „Die BA ist finanziell auf eine Rezession vorbereitet.“

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